Dieses Dschungelcamp ist anders. Es zeigt die Schwächen im RTL-System der baugleichen Unterhaltungsshows. Nur ein Lichtblick schimmert durchs Dickicht.
Eine Kolumne von Steven Sowa
Normalerweise ist das Dschungelcamp eine faszinierende Heldenreise. So wie bei Djamila Rowe, die im vergangenen Jahr als Nachrückerin für Martin Semmelrogge in die Show kam, mit ihrer verletzlichen und zugleich willensstarken Art punktete und so am Ende die Dschungelkrone eroberte. Die Zuschauer lieben Stars, die über ihre Schatten springen, Ängste überwinden und sich für nichts zu schade sind. Stars, die an der Aufgabe im australischen Dschungel wachsen.
In diesem Jahr ist alles anders. Ausgerechnet in der Jubiläumsstaffel „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ schickt sich keiner der teilnehmenden Promis an, solch eine Metamorphose hinzulegen. Das hat verschiedene Gründe. Eine leidgeplagte und kummervolle Biografie wie Djamila Rowe weist keiner der diesjährigen Promis auf – und entsprechend weniger steil ist ihr Weg hinauf zu den heldenhaften Höhen einer möglichen Dschungelodyssee.
Dschungelcamp nur noch ein Abziehbild anderer Trash-Shows
Der viel wichtigere Grund ist allerdings ein anderer. Im 20. Jahr des Dschungelcamps ist ein Phänomen zu beobachten, das sich RTL selbst herangezüchtet hat: Der Sender entlarvt sich als eine Art Frankensteinfabrik der schlichten Gemüter. Statt hässlicher Fratzen werden äußerlich perfekt anmutende, durchtrainierte Tattoo-Testimonials in diverse Unterhaltungsformate gespült: Von „Bachelor“ über „Temptation Island“ bis „Are You the One?“ gibt es TV-Geschöpfe vom Fließband.
Dort sollen sie mit erotischer Anziehungskraft und krawalliger Zoffattitüde glänzen und ihre stets komplett gleich aussehenden Konkurrenten (Tattoos, Adonis-Körper, Botox-Gesichter) durch möglichst zweifelhaftes, giftiges Verhalten ausstechen. Die Besten der Schlechtesten in diesem Wettkampf der Niedertracht werden dann zu Höherem berufen: in den Trash-Olymp des Fernsehens, das Dschungelcamp.
Wenn das auf die Spitze getrieben wird, nehmen gleich mehrere solcher Fabrikate an „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ teil – und plötzlich ist das Dschungelcamp nicht mehr das, was es mal war. Stattdessen wird es ein Abziehbild der anderen Shows, nur mit etwas mehr Dickicht und ekelhafteren Prüfungen.
Krawallbürste Kim eint unfreiwillig das Dschungelcamp
Dass dabei vor allem Kim Virginia die Gemüter der Zuschauer erhitzt und sogleich das ganze Camp gegen sich aufbringt, ist womöglich ein Lichtblick, der aus diesem Trash-Tunnel der Eintönigkeit hinausweist. Denn Publikum und Mitbewerber scheinen zu erkennen, wie ermüdend monoton die Geschichten um Mike Heiter, seine angeblich unterdurchschnittliche Bestücktheit und alle möglichen anderen „Bums“-Plattheiten sind. Was zunächst wie ein verheißungsvolles Koitus-Komplott wirkte, hat sich als unverdaulicher Kuppel-Kompott entpuppt – denn die Geschichte zwischen Kim und Mike ist nur eine Weitererzählung ihrer gemeinsamen TV-Dating-Vergangenheit.
Das Dschungelcamp als Sequel? Das einst so stolze Reality-Mutterschiff nur noch ein Nachschubtransporter für private Eitelkeiten und toxisch gestörte Lovestorys? Da schrillen die Alarmglocken des IBES-erprobten Publikums. Zwischen all diesem aufgebrühtem Knatsch und Tratsch wächst das Bedürfnis nach Normalität – nach wahrhaftiger Dschungelcamp-Größe. Nach einer Figur, die sich diesem diabolischen Dauerzustand aus Eifersucht und Missgunst entzieht.
Der Prototyp dieser Zwischenbilanz: ein Zopf-tragender Hüne mit baldrianhaftem Sprech- und Bewegungstempo. Fabio Knez wird im Vakuum der Herzenswärme zum Favoriten auf die Krone. Das zeigen auch die t-online-Werte aus der täglichen Dschungelbefragung. Anfangs dümpelte der 30-Jährige in den unteren Gefilden, irgendwo bei niedrigen, einstelligen Umfrageergebnissen herum. Inzwischen führt er die Liste an, mehr als 32 Prozent der Befragten urteilen, er sei aktuell ihr persönlicher Dschungelfavorit.