Berlin Das erneuerte Selbstverständnis des altehrwürdigen Bundeswirtschaftsministeriums strahlte schon aus, da hatte der frischgebackene Minister Robert Habeck (Grüne) noch nicht einmal das Wort. Sein Vorgänger Peter Altmaier berichtete bei der Amtsübergabe am Mittwoch, dass er seinen Abschiedsbrief zuvor per E-Mail verschickt habe. Er habe Holz sparen und die Umwelt schonen wollen, erklärte Altmaier: „Lieber Robert Habeck, wir gehen mit der Zeit.“
Altmaier magazine mit der Zeit gehen, Habeck aber will für eine neue Zeitrechnung im Bundeswirtschaftsministerium stehen. Das machte er bei der Amtsübergabe deutlich. Nicht weniger, als aus der sozialen Marktwirtschaft eine sozial-ökologische Marktwirtschaft zu machen, formulierte Habeck als Ziel für die nächsten vier Jahre: „Wenn wir das schaffen, werden wir gemeinsam Geschichte schreiben.“
Geschichte geschrieben hat er bereits mit der Neuaufstellung des Ministeriums. Aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geworden. Der Weg zur Klimaneutralität, Habeck soll ihn zentral aus seinem Ministerium managen.
Dafür wird ihm unter anderem die Klimaabteilung des Umweltministeriums zugeschlagen. Das werde es Habeck bei mancher Ressortabstimmung leichter machen, „weil sie einfach nicht stattfinden muss“, kommentierte Vorgänger Altmaier.
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Das lobt auch die Wirtschaftslobby. Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), sagte: „Den Klimaschutz im Wirtschaftsressort anzusiedeln wird der Auffassung des BDI gerecht, dass die Industrie ein zentraler Problemlöser auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft sein kann und will.“
Habeck sprach von „hochgesteckten Zielen“, vor denen er stehe. Bis 2030 müssten die CO2-Emissionen um 65 Prozent reduziert werden. Damit das gelinge, müsse die Arbeit im Ministerium einem „idealistischen Pragmatismus“ folgen. „Die ideologische Debatte soll nicht die Handschrift der nächsten vier Jahre werden.“
„Wettbewerbsfähigkeit ist die Custom dieses Hauses“
Für Altmaier hatte Habeck zum Abschied ein Armband mitgebracht. Damit schloss sich ein Kreis für den nun ehemaligen und den neuen Wirtschaftsminister. 2012 hatten sich die beiden zum ersten Mal getroffen. In Schleswig-Holstein begaben sie sich auf eine Wattwanderung und sprachen unter anderem über das Müllproblem in den Meeren, das auch von Resten aus Fischernetzen ausgelöst wird.
Und aus ebenjenen Fischernetzresten würden inzwischen Armbänder hergestellt. Ein recyceltes buntes Armband für einen scheidenden Bundesminister? Habeck scherzte: „Es ist ein bisschen Hippie, das gebe ich zu. Aber ich komme ja auch aus einer Hippie-Partei.“
Dass sein künftiger Politikstil nicht von hippiemäßigem Ansinnen und Weltverbesserer-Ideologie ohne Blick auf die Wirtschaft geprägt sein wird, machte Habeck mehrfach deutlich. Im Ministerium, darüber sei er sich im Klaren, würden künftig auch Widersprüche aufeinandertreffen. „Wettbewerbsfähigkeit ist die Custom dieses Hauses, und sie ist Bedingung dafür, dass der Wandel gelingt“, sagte Habeck.
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Um wirtschaftlichen Erfolg und Klimaschutz zu vereinen, wolle er es wie beim Skat machen. Er wolle „über die Dörfer gehen“ – ein Stil bei dem Kartenspiel, bei dem ein Spieler nicht gleich mit all seinen Trümpfen versucht, die Gegner zu schlagen, sondern vorsichtig vorgeht.
Keine Schonfrist für den neuen Minister
Er wolle stets den Dialog mit Betroffenen, Umweltverbänden und der Wirtschaft suchen. Auch in Habecks Ministerium soll das der Stil sein, den er prägen will. Er wolle ein Minister sein, der immer ein offenes Ohr hat. „Widersprechen Sie mir, sagen Sie mir, was Sie denken. So werde ich es auch machen, bis Sie meine Fragen irgendwann nerven.“
Vor Habeck stehen keine leichten Aufgaben, und eine Schonfrist wird man ihm nicht einräumen. Auf dem Weg ins Ministerium kündigte er bereits an, dass es kurzfristige Entscheidungen geben werde, etwa zur Unterstützung der von der Coronapandemie geplagten Wirtschaft sowie erste Maßnahmen für den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien.
Sollte Habeck ob der vielen Aufgaben Probleme bei der Nachtruhe bekommen, könnte er zu Altmeiers Präsent greifen – ein Buch hatte der Vorgänger für Habeck im Gepäck: „Wenn Sie nachts nicht schlafen können, nehmen Sie das Buch zur Hand.“ Und der neue Minister überreichte seinem Vorgänger ebenso ein Buch. Trotz des neuen Selbstverständnisses im Wirtschafts- und nun eben auch Klimaministerium, so viel Papier gestatteten sich die Herren dann doch.
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