Die Mitglieder der Plattform beeinflussten bereits gemeinsam Börsenkurse, nun wollen sie die Arbeitswelt verändern.
(Foto: mauritius photographs / SOPA Photos Restricted / Alamy)
Düsseldorf Ein missglücktes Interview einer Reddit-Moderatorin und massenhaft wütende Reaktionen darauf haben die wichtigste On-line-Plattform der Anti-Arbeits-Bewegung zum Stillstand gebracht. Am Mittwoch wurde das Reddit-Discussion board „r/antiwork“, das zuletzt etwa 1,7 Millionen Nutzer vor allem aus den USA hatte, geschlossen.
Zuvor hatte Doreen Ford, eine der Moderatorinnen des Boards, dem US-Sender Fox Information ein verunglücktes Interview gegeben. Ford habe „nicht einmal die Hauptziele des Subreddits zusammenfassen“ können und mit ihrem unvorbereitet wirkenden Auftritt der Bewegung insgesamt geschadet, kritisierten aufgebrachte Nutzer in teils ausfälliger Sprache.
Dieses Urteil verbreitete sich in der On-line-Group rasant. Ford und weitere Moderatoren fingen daraufhin ihrerseits an, Beiträge zu löschen, die das Moderatorenprinzip von Reddit infrage stellten oder Fords Rücktritt forderten. Am Mittwoch folgte dann die vorläufige Schließung.
Obwohl es „r/antiwork“ schon seit 2013 gibt, stieg die Zahl der Mitglieder im Herbst 2021 sprunghaft an und verdoppelte sich allein in den vergangenen drei Monaten. Grund dafür ist die Unzufriedenheit mit dem Zustand des US-Arbeitsmarktes während der Coronapandemie.
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Die Nutzer diskutierten in dem Discussion board unter dem Slogan „Arbeitslosigkeit für alle, nicht nur für die Reichen“. Sie waren nicht mehr bereit, übliche Arbeitsbedingungen und Löhne zu akzeptieren, und bekannten sich zum Teil dazu, das kapitalistisch geprägte Wirtschaftssystem abschaffen zu wollen.
Anhänger der Bewegung ermutigten sich gegenseitig, ihre Jobs zu kündigen und nicht länger in klassischen Angestelltenverhältnissen tätig zu sein, sondern sich selbstständig zu machen. Ziel ist es meist, mehr freie Zeit zur Verfügung zu haben. Antiwork-Pionierin Ford arbeitete zum Beispiel zehn Jahre lang im Einzelhandel, bevor sie auf den Job als Hundesitterin umstieg.
Reddit-Aktivisten sorgten für Furore an der Börse
Nach der Sperre ist unklar, wie es mit dem wichtigen Sprachrohr der Bewegung weitergeht. Mitglieder einer anderen Reddit-Gruppe hatten Anfang vergangenen Jahres an der Börse für Aufsehen gesorgt. Kleinanleger trieben nach Diskussionen auf „r/wallstreetbets“ die Kurse von „Meme-Aktien“ wie dem angeschlagenen Videospielhändler Gamestop und der Kinokette AMC in einer koordinierten Aktion in die Höhe, um Hedgefonds zu bestrafen, die diese Aktien leerverkauft hatten.
>> Lesen Sie hier: Ein Jahr nach der Gamestop-Rally: Was von den Reddit-Tradern geblieben ist
Da die Reddit-Aktivisten auch in Sachen Arbeitsmarkt bereits Streikimpulse ausgegeben haben, sind sie nicht zu unterschätzen, zumal ihr Zulauf wächst. Die Ideologie der Anti-Arbeits-Bewegung geht auf marxistische Theorien zurück. Aber auch die technologische Entwicklung, die dazu führt, dass viele ihre Tätigkeit als sinnlos empfinden, befeuert den Pattern.
Im vergangenen Jahr haben viele Amerikaner ihren Job aufgegeben. Rund 4,5 Millionen waren es allein im November – laut „Monetary Instances“ battle das die höchste Kündigungsrate seit Beginn der Aufzeichnungen des Arbeitsministeriums im Jahr 2001.
Die Daten zeigen, dass viele Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz wahrscheinlich verließen, nachdem sie ein besseres Angebot erhalten hatten. Die Erwerbsquote sei insgesamt jedoch auf einen Wert unterhalb des Niveaus vor der Pandemie gesunken.
Zumindest einige Arbeitnehmer scheinen sich wie Ford während der Pandemie von konventionellen Beschäftigungsformen abgewendet zu haben. Die Investmentbank Goldman Sachs warnte inzwischen, dass die Anti-Arbeits-Bewegung ein „langfristiges Risiko“ für die Erwerbsbeteiligung in den USA darstelle.
Lohnniveau und Jobsicherheit in Deutschland sind höher
In Deutschland befürchten Arbeitsmarktexperten eine solche Entwicklung nicht. Yvonne Lott von der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung hält eine massenhafte Kündigung und Abkehr von traditionellen Beschäftigungsverhältnissen für unwahrscheinlich.
„Zum einen herrscht hier eine insgesamt größere Jobsicherheit als in den Vereinigten Staaten, wo das Prinzip ,rent and hearth‘ gilt“, sagt Lott. Zum anderen liege das Lohnniveau in Deutschland insgesamt deutlich höher, sodass weniger Menschen gezwungen seien, zwei oder gar drei Jobs auszuüben.
Oliver Stettes vom IW Köln verweist darüber hinaus auf unabhängige Studien zur Arbeitnehmerzufriedenheit, etwa von der EU. „Deutschland liegt in den letzten drei Jahrzehnten konstant bei rund 90 Prozent zufriedener Beschäftigter.“
Dennoch gibt Cawa Younosi, Personalchef von SAP Deutschland und Sprecher des Bundesverbandes der Personalmanager, zu bedenken: Auch hierzulande sei der Wunsch nach Sinnhaftigkeit der Arbeit und nach mehr Selbstbestimmung und persönlichen Freiräumen zu beobachten. „Darauf müssen alle Arbeitgeber reagieren – nicht nur in Branchen, in denen bereits akuter Fachkräftemangel herrscht.“
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