Madrid Als die EU-Regierungschefs sich im Sommer auf den europäischen Wiederaufbaufonds einigten, ließ sich der spanische Regierungschef Pedro Sánchez bei seiner Rückkehr aus Brüssel mit Applaus von seinem Kabinett feiern. Die viertgrößte Volkswirtschaft der EU erhält 70 Milliarden Euro an nicht rückzahlbaren Hilfen aus dem europäischen Wiederaufbaufonds – mehr als jedes andere Land. Das Geld soll helfen, die Folgen der Coronapandemie zu bekämpfen und die spanische Wirtschaft zukunftsfähig zu machen. Doch die Vergabe der EU-Milliarden nimmt keine Fahrt auf.
27 Milliarden Euro davon wollte Sánchez gleich in diesem Jahr ausgeben. Doch bis Oktober sind nach Berechnungen des Ökonomen Raymond Torres auf Foundation des Regierungsportals gerade einmal Ausschreibungen im Wert von 5,7 Milliarden Euro auf den Weg gebracht worden – 20 Prozent des Plans. Unternehmen beklagen die schleppende Umsetzung. Die Regierung verdoppelt nun ihre wöchentlichen Sitzungen und will bis Jahresende Gasoline geben.
„Wenn die Gelder nur langsam fließen und damit der kurzfristige Impuls für die Konjunktur ausbleibt, muss die Qualität der Projekte umso besser sein“, sagt Ökonom Torres, Chef für Konjunkturanalyse bei der Stiftung spanischer Sparkassen, Funcas. „Die Vorhaben müssen dann wirklich den Umbau der spanischen Wirtschaft anstoßen.“ Bislang allerdings sei davon noch nichts zu sehen, die Gelder sind bis dato vor allem in einfach umzusetzende Vorhaben geflossen wie die energetische Isolierung von Gebäuden.
Die Konzerne sind frustriert. Sie haben ihre Pläne für die erwarteten Ausschreibungen bereits in der Schublade liegen – und warten darauf, dass es losgeht. Den Autobauern immerhin hat die Regierung versprochen, bis Ende des Jahres die Ausschreibung für das E-Auto zu starten. Erst dann können die Unternehmen ihre Angebote für die in der Ausschreibung spezifizierten Projekte einreichen. Im nächsten Schritt vergeben die spanischen Behörden die Aufträge und erst dann fließt das Geld aus Brüssel an die Firmen.
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In der Luftfahrtbranche ist dagegen noch alles offen. Der Flugzeughersteller Airbus kritisierte in der vergangenen Woche in einem internen Bericht die „mangelnde Koordination und Führung zwischen den Behörden“ bei der Vergabe der Gelder aus dem Wiederaufbaufonds, wie die Zeitung „El País“ berichtet. Die offizielle Place des Konzerns ist freilich eine andere. Man verstehe, dass die großen Projekte „und ihre komplexe Koordinierung zwischen der Branche und der EU durch die spanische Regierung“ Zeit brauche, heißt es auf Anfrage bei Airbus.
Enel kürzt Investitionen für Spanien
Die Luftfahrt ist eines von bislang fünf strategischen Projekten („Perte“), für die die spanische Regierung eine Artwork Schnellspur etablieren will, um deren Umsetzung zu beschleunigen. Bisher hat das Kabinett formal zwei Perte beschlossen: Bereits im Juli hat sie beschlossen, das für die Entwicklung des E-Autos zu tun und vor wenigen Tagen auch einen Perte für die Gesundheitsbranche beschlossen. Konkrete Ausschreibungen gibt es aber noch keine. Der Perte für die Airlinebranche indes befindet sich nach offiziellen Angaben noch „in Prüfung“.
Nicht nur Airbus ist frustriert. Der italienische Energiekonzern Enel hat seine Investitionen in Spanien bis zum Jahr 2023 wegen der Verzögerung bei der Mittelvergabe aus dem europäischen Wiederaufbaufonds bereits gekürzt. Der Konzern will in den kommenden drei Jahren 400 Millionen Euro weniger ausgeben, weil noch nicht absehbar sei, wann und wie die EU-Gelder eingesetzt würden.
EU: Spanien wächst 2021 weniger stark als der Durchschnitt
Durch den spärlichen Fluss der EU-Mittel bleibt auch der starke Impuls für das Wachstum in diesem Jahr aus. Die EU-Kommission geht davon aus, dass Spanien in diesem Jahr nur um 4,6 Prozent wächst – weniger als der EU-Durchschnitt. Und das, obwohl die Wirtschaft in der Pandemie um 10,8 Prozent eingebrochen ist – stärker als in den anderen Ländern. Für die gedämpfte Wachstumsprognose sind aber auch die hohen Strompreise in Spanien sowie globale Lieferengpässe verantwortlich.
Die spanische Regierung weist die Kritik von sich und hält an ihrer Schätzung von 6,5 Prozent Wachstum für dieses Jahr fest. Spanien sei bei der Umsetzung des Wiederaufbauplans am weitesten vorangeschritten, betonte Wirtschaftsministerin Nadia Calviño jüngst. Spanien ist das erste Land, dem die EU-Kommission am vergangenen Freitag die erste reguläre Auszahlung im Rahmen das Wiederaufbaufonds in Aussicht gestellt hat – von zehn Milliarden Euro.
Madrid habe die 52 dafür vereinbarten Ziele und Reformen umgesetzt, heißt es in Brüssel. Die spanische Regierung versucht nun, bei den Investitionen Gasoline zu geben. Das Kabinett trifft sich bis zum Jahresende statt wie üblich einmal jetzt zweimal wöchentlich.
Als Grund für die Verzögerung in der Mittelvergabe sehen Experten unter anderem administrative Flaschenhälse. Die wollte die Regierung für die Wiederaufbaufonds zwar abschaffen – das hat aber bislang nicht funktioniert. Einer Umfrage der Unternehmensberatung EY und der Enterprise-Faculty Esade zufolge gibt zudem ein Fünftel der zuständigen Verwaltungsangestellten und Firmenmanager an, sie hätten keine ausreichenden Informationen über die neuen Fonds. Die Studienautoren bezeichnen diesen Prozentsatz als „auffallend“ und bemängeln unter anderem das Fehlen einer unabhängigen Kontrollinstanz, die die Vergabe der Gelder aus den Fonds beschleunigen könnte.
Ungewohnt scharfe Kritik aus Brüssel
Aber auch die Artwork der Projektvergabe ist in Spanien laut Torres aufwendiger als in anderen Ländern. „Unter anderem sorgen Vorschriften zur Korruptionsbekämpfung dafür, dass alle Particulars für Projekte vor der Vergabe der Hilfsgelder festgezurrt werden müssen, das verlangsamt die Prozesse“, erklärt der Ökonom. „In Italien und Frankreich erfolgt die Vergabe schneller, weil die Kontrolle im Nachhinein stattfindet.“ Allerdings müsse sich erst noch herausstellen, welches Vorgehen erfolgreicher ist. „Wenn Gelder schnell vergeben werden, kann das zu einer schlechteren Qualität der Investitionen führen“, so Raymond Torres.
Die Unzufriedenheit mit den Prozessen in Madrid ist dennoch groß. Kritik kommt in ungewohnt scharfer Kind sogar aus Brüssel. „Der europäische Wiederaufbaufonds hat klar die Aufmerksamkeit und Verwaltungskapazität der meisten Mitgliedstaaten monopolisiert“, sagte Marc Lemaitre, Chef der Generaldirektion für Regional- und Stadtpolitik der EU-Kommission vor einigen Tagen im EU-Parlament.
Spanien aber steche heraus und habe „auf sehr traurige und nahezu unverständliche Weise“ die Vorlage seiner Projekte für rund 36 Milliarden Euro aus den EU-Kohäsionsfonds für die Jahre 2021 bis 2027 auf 2022 verlegt. „Spanien hat zumindest gezeigt, dass es nicht in der Lage ist, zwei Dinge gleichzeitig zu tun“, ätzte Lemaitre.
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