Zwischen dem Kanzler und dem Oppositionsführer herrscht mittlerweile eine Rivalität, wie es sie selten gab. Sowohl Scholz als auch Merz könnten ein Interesse daran haben, die Situation bis zur nächsten Wahl auf ein Duell hinauslaufen zu lassen.
Spricht man Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) dieser Tage auf den jeweils anderen an, ist die Reaktion ähnlich. Oft ist es ein kühles Lachen, gefolgt von einer abfälligen Bemerkung. Die Stimmung zwischen Kanzler und Oppositionschef: maximal genervt. „Friedrich Merz ist mittlerweile sogar richtig sauer“, sagt ein Vertrauter des CDU-Vorsitzenden.
Das Verhältnis ist schon länger gestört. Seit Beginn der Legislatur lästert der eine über die Charakterschwächen des anderen, klagen beide unisono über die schlechte Zusammenarbeit – erst hinter verschlossenen Türen, dann offen. Die Chemie stimmt einfach nicht. Mittlerweile ist ein Punkt erreicht, der Zweifel daran erkennen lässt, dass Merz und Scholz überhaupt nochmal ordentlich miteinander umgehen können.
Dass man einander in der Politik nicht mag, kommt regelmäßig vor. Dass die persönliche Abneigung zwischen zwei so zentralen Figuren derart groß ist, eher selten.
Merz und Scholz eint dasselbe Schicksal
Die zwei Hauptfiguren eint jedoch ein Schicksal: Beide haben sich mit Mühen an die Spitze ihrer Partei gekämpft. Weder Scholz noch Merz waren wirklich gewollt. Der SPD-Politiker musste zusehen, wie seine Partei 2019 zwei andere, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, zu Parteichefs wählte. Erst danach schaffte er es noch, die Kanzlerkandidatur für sich zu entscheiden. Merz ist ungefähr zur selben Zeit gleich zwei Mal daran gescheitert, Parteivorsitzender zu werden, ehe die CDU ihn per Mitgliederentscheid an die Spitze hob.
Hinzu kommt, dass weder Scholz noch Merz wirklich sicher sein können, dass sie langfristig dort bleiben, wo sie gerade stehen. Genauer: Dass die Partei sie lässt. Trotz aller Beteuerungen, der vielen Floskeln („Olaf Scholz ist unser Kanzler“; „die Fraktion steht geschlossen hinter Merz“) kann sich weder der eine noch der andere sicher sein, dass seine Partei ihn bei der kommenden Bundestagswahl zu ihrem Spitzenkandidaten erklärt. Kommt die wechselseitige Rivalität den beiden Männern da vielleicht sogar gelegen?
Im Januar gibt der Bundeskanzler seine Abneigung gegenüber Merz erstmals demonstrativ zum Besten. Ganz öffentlich, im Plenum des Deutschen Bundestags. Eigentlich sollte er bei der Generaldebatte über die aktuelle Regierungspolitik der Ampel reden. Es hätte einige Themen gegeben. Etwa die zu dem Zeitpunkt noch ungeklärte Haushaltslage für das laufende Jahr, die geplanten Wirtschaftshilfen oder die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine.
Der Kanzler aber entscheidet sich an diesem Mittwochmorgen anders – und geht zum Frontalangriff auf Merz über. Scholz, sonst kein emotionaler Politiker, einer, an dem Kritik abprallt, drischt während seiner Rede untypisch hart auf Merz ein. Dass dieser jeden Tag gegen die Bundesregierung austeile, sei zwar sein gutes Recht, „aber wenn Sie dann mal kritisiert werden, dann sind Sie eine Mimose!“, ruft Scholz. Und weiter: „Ich finde, wer boxt, der soll kein Glaskinn haben. Aber Sie haben ein ganz schönes Glaskinn, Herr Merz.“
Scholz wirbelt wild mit den Armen. Die SPD johlt. Und der Oppositionsführer? Starrt den Kanzler mit einer Mischung aus Entsetzen und Süffisanz an.
Dass das Verhältnis gestört ist, hat lange nur einen gestört: Merz
Denn was Scholz in diesem Moment, bewusst oder unbewusst, macht: Er begibt sich auf Augenhöhe mit Merz, duelliert sich mit ihm. Lange hatte der CDU-Chef sich an Scholz aufgerieben, ohne Reaktionen hervorzurufen. Dass das Verhältnis gestört ist, schien dabei nur einen der beiden zu nerven: Merz. Der Kanzler machte hingegen den Eindruck, den Parteivorsitzenden der CDU nicht wirklich ernst zu nehmen. Da gab es klar zwei Ebenen.
Aber jetzt? Lässt Scholz sich plötzlich auf den Zweikampf ein.
Für Merz, der von seiner Partei nach wie vor nicht zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde, ist das ein Vorteil. Ihm wird eine Rampe gebaut. Scholz ruft ihn quasi zu seinem Gegenkandidaten aus, bevor die CDU es tut. Im Merz-Lager ist das aufgefallen, aber auch im Rest der Union. Die Annahme: So läuft es automatisch auf den Vorsitzenden als Kanzlerkandidaten hinaus. Wenn Scholz für die SPD antritt und sich der Zweikampf weiter zuspitzt, ist Merz am Ende der klare Gegenspieler.