Islamistischer Terror, Hochwasser, Russlands Krieg: Der Kanzler sieht Deutschlands Sicherheit von innen und außen bedroht. Wenige Tage vor der Europawahl legt Olaf Scholz den Schalter um. Zu spät?
Olaf Scholz beginnt seine Regierungserklärung eher ungewöhnlich: „Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Viele in unserem Land warten voller Spannung auf diesen Sommer.“ Der Kanzler meint die Heim-EM der Fußballnationalmannschaft; er sei überzeugt, Deutschland werde sich dabei „von seiner besten Seite zeigen“.
Islamistischer Terror in Mannheim, reißende Fluten in Süddeutschland, Russlands grausame Gleitbombenangriffe auf die Ukraine – angesichts der vielen Krisen im Moment könnte man kritisch einwenden: Warum redet der Bundeskanzler in so einer ernsten Lage vom Fußball? Das ist natürlich kein Zufall, doch dazu gleich mehr.
Denn der eigentliche Schwerpunkt der Kanzlerrede ist ein anderer: das Sicherheitsgefühl der Bürger in Deutschland, das zuletzt durch mehrere Ereignisse erschüttert wurde. Scholz sieht dabei vor allem drei große Ursachen: das islamistische Attentat in Mannheim, das Hochwasser in Süddeutschland und Russlands neue Offensive in der Ukraine.
Erodierende Sicherheit im Land
Der Kanzler räumt ein, dass zwar zwischen diesen Entwicklungen kein direkter Zusammenhang bestehe, aber „sie beschäftigen uns alle“. Völlig zu Recht wollten die Bürger wissen, wie die Lage sei und was die Bundesregierung unternehme, sagt Scholz. Die „wichtigste Antwort“ darauf sei: „Jede und jeder muss in unserem Land ohne Furcht vor seinen Mitmenschen leben können.“ Das sei das zentrale Versprechen des Rechtsstaats, und man setze es „mit aller Macht“ durch.
Zunächst geht es Scholz um die innere Sicherheit: Der Kanzler beschreibt in – für seine Verhältnisse – scharfen Worten das Terrorattentat in Mannheim, bei dem ein afghanischer Islamist den Polizisten Rouven L. getötet hatte. „Solche Straftäter gehören abgeschoben, auch wenn sie aus Syrien und Afghanistan stammen“, sagt Scholz und verkündet damit eine Wende. „Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben hier nichts verloren“, so der Kanzler weiter.
Der neue Abschiebe-Kurs des Kanzlers war schon im Vorfeld erwartet worden. Damit bricht der Kanzler ein bisheriges Tabu, das Abschiebungen nach Afghanistan verhinderte. Teile der Opposition und die FDP haben schon lange gefordert, Abschiebungen von Schwerstkriminellen auch nach Afghanistan zu erlauben. Doch bisher blockierten SPD und Grüne, mit Verweis auf die dortige Sicherheitslage.
Zwar hat sich die Lage im Taliban-regierten Afghanistan nicht sonderlich geändert, dafür aber die politische Stimmung in Deutschland. Der Aufschrei nach dem Attentat von Mannheim ist nur der jüngste Pendelausschlag einer sich schon länger ausbreitenden gesellschaftlichen Stimmung. Insgesamt 234.000 Ausreisepflichtige leben in Deutschland, davon 46.000 ohne Duldung. Immer wieder scheitern Abschiebungen an rechtlichen Hürden.
Der sozialdemokratische Kanzler hat das anerkannt und versucht nun, vor die Welle zu kommen. Ob er das schafft oder damit zu spät kommt, muss sich zeigen. Scholz kündigte zudem härtere Abschieberegeln an, etwa für Personen, die terroristische Straftaten verherrlichen. Auch warb er für die Ausweitung von „Messerverbotszonen“ in Hotspots und bei Großveranstaltungen.
Scholz schlug in seiner Rede nicht nur konkrete Maßnahmen vor, sondern war auch sichtlich bemüht, rhetorisch neue Akzente zu setzen. So mahnte er etwa, es gebe kein „Faustrecht“ in Deutschland. Wer als Schutzsuchender seinen Status ausnutze, wie der Täter von Mannheim, verwirke diesen Schutz. „Da gibt es Null Toleranz“, so Scholz.
Faustrecht, Null Toleranz, Messerverbotszonen – es sind Begriffe, die eigentlich aus dem rhetorischen Werkzeugkasten der Union stammen und derer sich Scholz hier bewusst bedient („Faustrecht“ wird auch später CDU-Chef Friedrich Merz in seiner Rede verwenden). Ob das die Bürger so kurz vor der Wahl überzeugt? Fraglich. Die meisten dürften sich daran erinnern, dass es unter anderem die SPD war, die noch vor einem Jahr Abschiebungen nach Afghanistan verhinderte.
„Unser Land funktioniert“
Auch die dramatische Hochwasserlage in Bayern und Baden-Württemberg bedroht das Sicherheitsempfinden in Deutschland, so die Diagnose des Kanzlers. Scholz spricht von „Naturgewalten, wie sie sich niemand vorstellen konnte“, und dem menschengemachten Klimawandel als größter globaler Herausforderung. Doch Scholz spricht auch von einer „Flut von Hilfsbereitschaft“, bei der Zehntausende Helfer im Einsatz gewesen seien und auch der Bund „mit allen seinen Kräften“ geholfen habe.