Frankfurt Geldpolitik ist ein Thema für Experten – und das gilt erst recht für die theoretische Foundation, mit der die Notenbanker ihre Geldpolitik begründen. Weil die Währungshüter einen immensen Einfluss auf Preise, Arbeitslosigkeit und Finanzmärkte haben, kann eine falsche Theorie im Umkehrschluss eine Menge Unheil anrichten.
Vor dem Hintergrund ist eine neue Studie der Ökonomen Phurichai Rungcharoenkitkul and Fabian Winkler von der US-Notenbank (Fed) in Washington hochrelevant. Sie stellt ein wesentliches Argument für die sehr niedrigen Zinsen infrage. Umgekehrt könnte sie auch für das Tempo der anlaufenden Zinserhöhungen Bedeutung haben. Kurz gesagt: In der Vergangenheit haben die Notenbanken möglicherweise die Zinsen zu weit nach unten gedrückt, jetzt könnte das Gegenteil passieren – wobei die Studie selbst die zweite Schlussfolgerung nicht explizit zieht.
Der Titel des Beitrags lautet „The Pure Fee of Curiosity By way of a Corridor of Mirrors“. Die These lautet: Die Notenbanken orientieren sich in ihrer Geldpolitik an einem Zinsniveau, das sie im Wesentlichen selbst beeinflussen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie schauen quasi in ein Spiegelkabinett und sehen vor allem sich selbst.
Die entscheidende Größe ist der „natürliche Zins“, oder genauer der „reale Gleichgewichtszins“, im Fachjargon abgekürzt als r*. Es handelt sich um den realen, additionally nach Abzug der Inflation gerechneten Zinssatz, bei dem die Wirtschaft ausgelastet ist, aber nicht heiß läuft – es herrscht additionally Vollbeschäftigung, aber keine Inflation.
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Nach der gängigen Theorie ist dieser Zinssatz von strukturellen Faktoren abhängig. Geldpolitik hat im Allgemeinen keinen unmittelbaren Einfluss. Wenn eine Notenbank die Wirtschaft unterstützen möchte, muss sie durch Anpassungen ihres Leitzinses ein Niveau unterhalb von r* erreichen. Wenn sie die Wirtschaft und damit auch die Inflation bremsen möchte, muss sie ihr Zinsniveau höher als r* ansetzen.
Spätestens seit der großen Finanzkrise, sagen die meisten Geldpolitiker, ist r* immer weiter gesunken – deswegen mussten die Notenbanken ihre Zinsen immer weiter senken bis an die Nullzinslinie oder noch tiefer. Der Sachverhalt wird dadurch verkompliziert, dass r* gar nicht direkt gemessen, sondern nur indirekt hergeleitet werden kann.
Aus dem Zins r* wird der Zins r**
Die neue Studie basiert auf einem Neukeynesianischen Modell, dem in der Theorie konventionellen Denkmodell, und unvollständigen Informationen. Die Autoren ergänzen das Modell um einen wichtigen Punkt: die Erwartungsbildung des privaten Sektors, additionally der Unternehmen und Verbraucher.
Die Erwartungen des privaten Sektors bezüglich der langfristigen Entwicklung des Gleichgewichtszinses sind entscheidend für die Schlussfolgerungen des Modells. Dieser Zins wird von den Autoren als r** bezeichnet. Der gegenwärtige Gleichgewichtszins rückt in den Hintergrund. Kurz gesagt: Es kommt auf r** an, nicht mehr auf r*.
Der springende Punkt: Die Erwartungen von Firmen und Verbrauchern werden wesentlich von der Notenbank selbst beeinflusst. Senkt sie oder erhöht sie ihre Zinsen, erweckt das den Eindruck, als gehe sie von einem entsprechend veränderten Gleichgewichtszins aus. Die Zentralbank, so das Modell weiter, beobachte dann die Veränderungen im Verhalten des privaten Sektors und leite daraus wieder Rückschlüsse für ihre eigene Einschätzung des Gleichgewichtszinses ab: So entsteht eine mehrfache Rückkoppelung und ein sich selbst verstärkender Effekt angepasster Zinsen.
Die beiden Fed-Ökonomen haben ein gängiges Modell mit entsprechenden Annahmen gefüttert und kommen zu dem Ergebnis, dass damit die vor allem in den vergangenen zehn Jahren hartnäckig niedrigen Zinsen sehr intestine erklärt werden. Aufgrund der beschriebenen Suggestions-Effekte haben die Währungshüter additionally selbst dazu beigetragen, dass der gleichgewichtige Zins zuletzt gefallen ist. Das geringere Degree seit der Finanzkrise sei daher nicht allein auf exogene Faktoren zurückzuführen, sondern zum Teil auf die Notenbank selbst.
Heißt das, dass die Notenbanker sich komplett geirrt haben? Nein, nicht direkt. Aber vielleicht, dass sie einige Rückkoppelungseffekte ihrer Geldpolitik unterschätzen.
Radikalere Angriffe in der Vergangenheit
Es hat zuvor schon radikalere Angriffe auf die gängigen Denkmodelle der Notenbanker gegeben. Im Jahr 2016 etwa stellt der Ökonom Stephen Williamson auf der Web site der Fed St. Louis eine Theorie vor, die behauptet: Hohe Zinsen sorgen für eine hohe Inflation, niedrige Zinsen für eine niedrige Inflation – das ist das Gegenteil der üblichen Auffassung. Die Theorie bezieht sich auf den US-Ökonomen Irving Fisher, der von 1867 bis 1947 gelebt hat.
Kurz gesagt lautet die Begründung: Die realen Zinsen werden allein von strukturellen Entwicklungen der Wirtschaft bestimmt. Wenn zum Beispiel der nominale Zins bei drei Prozent liegt und die Inflation bei zwei Prozent, dann ergibt das einen realen Zins von einem Prozent. Hebt die Notenbank dann den nominalen Zins auf vier Prozent an, muss die Inflation auf drei Prozent steigen, damit der reale Zins sich wieder auf seinem alten Niveau von einem Prozent einpendelt. Wie Williamson andeutet, ist es möglich, dass kurzfristig die Geldpolitik so wirkt wie die Notenbanken annehmen – hohe Zinsen dämpfen die Inflation –, während langfristig genau umgekehrt der „Fisher-Effekt“ dominiert.
Ein anderes Beispiel: Claudio Borio, Leiter der geldpolitischen Abteilung bei der Financial institution für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), glaubt, dass die Inflation von äußeren Faktoren wie etwa Globalisierung und Technisierung abhängt und von den Notenbanken kaum beeinflusst werden kann. Damit würden die Notenbanken nur die nominalen – und letztlich auch die realen – Zinsen beeinflussen, aber nicht die Preise.
Interessant ist die nun erschienene Studie der Fed-Ökonomen vor allem deshalb, weil sie nicht radikal alle bisherigen Konzepte auf den Kopf stellt, aber trotzdem zu einem ungewöhnlichen Ergebnis kommt. Klar ist jedenfalls: Die Geldpolitiker müssen sich nicht nur den zurzeit hohen praktischen Herausforderungen stellen. Sie müssen immer auch ihre Theorien überprüfen – weil diese enorme praktische Auswirkungen haben.
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