Wenn es heißt, Klimaschutz müssten wir uns erst einmal leisten können, fragt sich Luisa Neubauer von Fridays for Future, wie wir uns die Kosten der kommenden Klima-Unglücke leisten wollen. Ein Gastbeitrag.
Es ist etwas verloren gegangen in den vergangenen Monaten. Vor wenigen Jahren noch umarmte Markus Söder Bäume – über die demokratischen Parteien hinweg war man sich einig: Es gibt einen Klimakonsens. Und heute?
Zwar machen sich große Mehrheiten im Land weiterhin Sorgen über die voranschreitende Klimaerhitzung. Aber in der Politik werden neue Töne angeschlagen. Christian Lindner erklärt, dass man sich Klimaschutz erst mal leisten können muss. Friedrich Merz findet, es sei vor allem nicht wirklich dringend. Höchste Zeit, einmal klarzustellen, wovon wir hier eigentlich sprechen.
Ein Blick nach Straßburg, hier ereignete sich vor wenigen Wochen ein historischer Moment: Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte reichten Tausende Seniorinnen eine Klage ein, in der sie der Schweizer Regierung vorwarfen, durch mangelnden Klimaschutz ihre Gesundheit zu gefährden, weil gerade ältere Menschen von Erkrankungen in Hitzewellen betroffen sind. Die Schweizer Seniorinnen gewannen, so etwas gab es noch nie.
Zur Person
Luisa Neubauer (27) ist das bekannteste Gesicht der globalen Klimabewegung Fridays For Future in Deutschland. Außerdem ist sie publizistisch tätig. Sie ist in Hamburg aufgewachsen und Mitglied der Grünen.
Der Kontinent, der sich am schnellsten erhitzt, ist Europa, und Forscher und Forscherinnen warnen, dass wir uns hier viel zu sehr auf der Illusion ausruhen, dass wir hier in Europa „sicher“ seien. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Wirtschaft, unsere Städte, die Landwirtschaft, die jungen und alten Menschen, wir alle sind nicht gut genug auf das vorbereitet, was die Klimakatastrophe anrichten wird.
Klimaschutz heißt: Alle Menschen haben das Recht, vor vermeidbaren Katastrophen geschützt zu werden. Menschen haben ein Recht darauf, dass ihre Umwelt sie nicht krank macht. Dass dreckige Luft bei Kindern kein Asthma hervorruft, dass Großeltern nicht in Hitzewellen sterben, dass Eltern nicht durch Verkehrslärm wach liegen und sich fragen müssen, wie sie nur den nächsten Tag bewältigen können.
Es beruhigt dabei wenig, dass Klimaschutz im europäischen Wahlkampf von einigen Parteien demonstrativ abgelehnt wird. Man hört dann etwa: „Zu viel Klimaschutz überfordert die Menschen.“ Diese Parteien würde ich gerne fragen: Glaubt irgendwer ernsthaft, dass die Klimakrise und ihre Folgen niemanden überfordern? Während ich diesen Text schreibe, packen Menschen im Ahrtal ihre Sachen, weil sie nach wiederholten Fluten auch in diesem Jahr dort nicht mehr sicher leben können. Der Aufbau nach der Katastrophe im Jahr 2021 wurde von immer neuen Hochwassern gelähmt. Wären nicht gerade die Konservativen hier gefragt, die so häufig von Heimat und Sicherheit sprechen? Die müssten doch im Angesicht dessen auf den Barrikaden stehen und dafür einstehen, dass Klimafolgen in Deutschland nicht länger die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben.
Mit Blick auf die Europawahl hört man Stimmen, die jetzt sagen: „Erst die Demokratie, dann das Klima.“ Doch so einfach ist es nicht. Denn ohne Klimaschutz lässt sich auch die Demokratie nicht ausreichend verteidigen. Warum?
Der rechte Rand profitiert von Ängsten und Sorgen
Demokratien brauchen gesellschaftlichen Zusammenhalt, sozialen Frieden und vor allem Atempausen, in denen mal nicht gegen Krisen gekämpft werden muss. Eine endlos eskalierende Klimakrise sieht keine Atempause vor, sondern sie katapultiert uns alle in immer mehr Probleme. Es ist kein Zufall, dass Rechtsradikale seit Monaten hochengagiert Klimaschutzmaßnahmen attackieren – und alle, die sich damit gemein machen. Der rechte Rand profitiert von Ängsten und Sorgen und nutzt die Unsicherheit der Menschen durch vermeintlich einfache Antworten aus, die die Krise aber niemals lösen werden.
Ihnen ist an Dauerkrise gelegen, nicht an Lösungen. Niemanden sollte es wundern, dass sich der rechte Rand nicht anders zu helfen weiß, als immer wieder die Erkenntnisse der Klimawissenschaft zu leugnen. Denn gelebter und gerechter Klimaschutz ist alles, was die Demokratiefeinde hassen: internationale Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Schutz der Schwächsten hier und überall, Verteidigung der Freiheit vor Klimagefahren, Menschenwürde für alle.
„Aber Klimaschutz muss man sich erst mal leisten können“, wird dann gerne in den Raum geworfen. 30 Milliarden Euro hat die Flut im Ahrtal an Schäden verursacht, eine Katastrophe, wie wir sie in Deutschland immer öfter sehen werden. Wer soll das zahlen? Wo wird dann gekürzt? Ich denke an Christian Lindner und seinen Haushalt – wer ernsthaft an stabilen Staatsfinanzen interessiert ist, der müsste ganz vorne mit dabei sein, wenn es darum geht, unbezahlbare Klimakatastrophen zu verhindern, die Staatskassen und Wirtschaft gleichermaßen gefährden. Demokratien brauchen Bildung, eine stabile Wirtschaft und soziale Absicherung, das geht nur mit Investitionen. Die Klimakrise frisst Geld. Ein weiteres gefundenes Fressen für die Rechtsradikalen.