Kontroverse um Bürgerräte
„Nur ein Feigenblatt für die Demokratie“
23.10.2024 – 13:15 UhrLesedauer: 3 Min.
Bürgerräte sollen mehr demokratische Teilhabe ermöglichen. Während die einen das bezweifeln, sind die anderen von der Idee überzeugt.
Wie können Bürger stärker in demokratische Prozesse einbezogen werden? Diese Frage stellt sich Experten und Politikern zunehmend. Die Antwort lautet immer öfter: mithilfe von Bürgerräten. So spricht sich Bundeskanzler Olaf Scholz zum Beispiel dafür aus, einen Bürgerrat zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie einzusetzen.
Auch die Wehrbeauftragte Eva Högl ist eine Befürworterin. Sie fordert einen Bürgerrat, um die Einführung einer Dienstpflicht zu erörtern. Für den Soziologen Steffen Mau könnten Bürgerräte sogar ein „Antidot gegen politische Entfremdung und Parteienverdrossenheit“ sein. Bei t-online-Lesern kommt das Instrument unterschiedlich an.
„Wieso sollten wir Bürgerräte benötigen? Es gibt doch überall Ortsvereine, in denen sich Bürger engagieren können“, sagt Horst Unterstab. „Die Einrichtung von Bürgerräten finde ich sehr gut und wichtig. Ich würde gerne bei wichtigen Themen in so einem Forum mitwirken“, äußert sich hingegen Claudia Hellpap.
„Bürgerräte sind nur ein Feigenblatt für Demokratie“, meint Martin Stoltenberg. Es brauche Fachwissen in den entsprechenden Bereichen sowie allgemeine Lebenserfahrung und Realitätssinn. „All das haben niemals alle Personen eines Bürgerrats. Und sich dann nur auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, kann mehr schaden als nützen.“ Das sehe der t-online-Leser bereits bei den aktuellen Regierungsparteien.
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Reinhard Kleinhenz schreibt: „In unserem Land ist in Sachen Demokratie noch sehr viel Luft nach oben. Mich stört immer häufiger, dass viele Abstimmungen nach parteipolitischen Erwägungen und nicht zum Wohle des Volkes stattfinden.“ Um das Problem zu lösen, könne er sich vorstellen, die Anzahl der Abgeordneten im Bundestag deutlich zu verringern und die übrigen Sitze mit Bürgerräten zu bestücken.
„Damit könnten Argumente im Plenum ausgetauscht und Abstimmungen mit Stimmen der Bürgerräte erfolgen. Den Parteien würde dann das parteitaktische Gehabe nicht mehr durchgehen. Die Mitglieder der Bürgerräte würden bestimmt nicht unvernünftiger abstimmen.“
Andreas Hynek mailt: „Bürgerräte sollten abgeschafft werden, weil ihnen jede demokratische Legitimation fehlt. Der Bundestag und die Parlamente sind bereits unsere Bürgerräte. In unserer Verfassung steht nichts von Bürgerräten.“ Dass die Ablehnung von Bürgerräten abgehoben sei, wie es CDU-Politiker Philipp Amthor vorgeworfen wurde, versteht der t-online-Leser nicht: „Amthor hat völlig recht und spricht für viele Menschen.“
Aileen Kastner ist eine flammende Befürworterin von Bürgerräten: „Ich finde die – zumindest möglichen – positiven Auswirkungen auf das Demokratieerleben so verheißungsvoll, dass ich gar nicht anders kann, als das Format durch eine dicke, rosarote Hoffnungsbrille zu betrachten. Der Gedanke, ich als kleines Licht könnte meine Meinung so auf direktem Wege einbringen, ist wirklich charmant.“
Bürgerräte verkürzten die Distanz zur „großen Politik“ und seien eine spannende Alternative zu anderen Beteiligungsformen wie Demonstrationen oder Parteibeitritten, glaubt die t-online-Leserin. „Es wäre gesellschaftlich so wichtig, dass viele Leute diese Räte als positives, basisdemokratisches Element erkennen und wahrnehmen.“
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„Sprachrohr eines elitären Mainstreams“
Walter Droste befürchtet: „Bürgerräte werden von Leuten besetzt, die Zeit dafür haben, schon als Klassensprecher nervten und Politik vor allem für Kommunikation halten. Insofern sind auch Bürgerräte wieder nur das Sprachrohr eines gutbürgerlichen, elitären Mainstreams, aber nicht der Mehrheit.“
Wollte man tatsächlich direkte Demokratie, müsse man Volksabstimmungen ermöglichen, findet der t-online-Leser. „Ich befürchte, so viel Mitsprache will man dann doch nicht. Es könnte schließlich üble Resultate geben.“ Man solle einfach akzeptieren, dass Deutschland eine parlamentarische Demokratie ist, die kein Konkurrenzorgan zum Parlament brauche, findet Walter Droste.