Frankfurt Die Europäische Zentralbank (EZB) steht am 10. März vor einer ihrer schwierigsten Sitzungen. Die sich zuspitzende Russlandkrise verschärft eine Scenario, die vorher schon kompliziert genug warfare: Die Inflation im Euro-Raum ist über fünf Prozent gestiegen, und Daten wie etwa die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte sprechen dafür, dass das noch anhält.
Die deutschen Erzeugerpreise lagen laut Statistischem Bundesamt im Januar, hauptsächlich von der teuren Energie getrieben, um 25 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats, das warfare der höchste Sprung seit 1949. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, rechnet daher bis in den Herbst hinein für Deutschland mit einer Inflation von mindestens fünf Prozent. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale wächst.
Die Kritik an der EZB und ihrer Präsidentin Christine Lagarde, zum Teil mit deutlich populistischen Untertönen, nimmt gerade auch in Deutschland zu. Der Schlagabtausch der Ökonomen auf Twitter, etwa zwischen dem Wirtschafsweisen Volker Wieland und DIW-Chef Marcel Fratzscher, wird rauer. Wieland gehört eher den geldpolitischen „Falken“ an, den Befürwortern einer harten Geldpolitik. Fratzscher zählt zum Lager der „Tauben“, die eher eine lockere Geldpolitik vertreten.
Fest steht: Die Märkte und viele Verbraucher erwarten die geldpolitische Wende. Zugleich stellt sich aber die Frage, ob der Wegfall der geldpolitischen Unterstützung in einer Scenario ratsam ist, die von Krieg und Sanktionen gekennzeichnet ist.
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Und selbst ohne den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ist die EZB in einer schwierigeren Scenario als zum Beispiel die US-Notenbank (Fed), weil hier in Europa neben zu hoher Inflation mittelfristig auch das Abrutschen in niedriges Wachstum und Deflation noch ein Thema sein könnte, wie etwa der Ökonom Ricardo Reis von der London Faculty of Economics warnt.
Nach letzten Äußerungen von Mitgliedern des EZB-Rats dürfte die Notenbank ihre monatlichen Anleihekäufe von zurzeit 20 Milliarden Euro netto in einigen Monaten einstellen. Die Märkte scheinen zurzeit davon auszugehen, dass die EZB in diesem Jahr die Zinsen erhöht, es ist aber fraglich, ob das in der März-Sitzung schon verbindlich beschlossen wird.
In jedem Fall will die Notenbank die Zinsen erst anheben, wenn das bereits genannte, unter dem Kürzel APP bekannte Anleihekaufprogramm auf netto null gestellt ist, additionally nur noch auslaufende Papiere ersetzt werden. Der Stopp des Notfallprogramms PEPP für den März ist bereits beschlossen.
Der entscheidende Zinssatz ist zurzeit der für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB, er liegt bei minus 0,5 Prozent und ist auch für die Minuszinsen auf den Konten der Bankkunden verantwortlich. Der offizielle Leitzins, der für kurzfristige Kredite erhoben wird, liegt bei null, ist zurzeit aber wenig ausschlaggebend, weil die Banken eher zu viel als zu wenig Liquidität haben.
Russland noch nicht einkalkuliert
Nicht nur die Märkte, auch die meisten Ökonomen haben die Russlandkrise und ihre möglichen Folgen in ihren Kalkulationen bis vor Kurzem allenfalls am Rand berücksichtigt. Ricardo Reis hat vor einigen Tagen der EZB schon bescheinigt, sie stehe vor „extrem schwierigen“ Entscheidungen.
In einer virtuellen Veranstaltung der US-Universität Princeton argumentierte Reis, für die EZB gebe es nach wie vor nicht nur ein Inflationsrisiko, sondern immer noch auch die Gefahr, in eine Scenario niedriger Inflation und niedrigen Wachstums zurückzufallen, additionally in das gewohnt schwache Szenario vor der Coronapandemie. Je mehr sich die kriegsbedingten Drohungen verstärken, desto mehr dürfte vor allem die mögliche wirtschaftliche Schwäche ein Thema werden, während zugleich die ohnehin vor allem von den Energiepreisen getriebene Inflation zunächst noch weiter heiß läuft.
Der Ökonom leitet seine Szenarien aus einer Analyse der Kapitalmärkte ab.
(Foto: Sergio Moraes)
Reis, der für seine quantitativen Studien bekannt ist, äußert nicht einfach seine persönliche Meinung, sondern leitet seine Szenarien aus einer Analyse der Kapitalmärkte ab. Er hat dabei vor allem Optionsgeschäfte im Blick, die deutlich machen, welche Erwartungen die Investoren haben.
Sein Befund lautet, kurz gefasst: Die Fed hat die geldpolitische Wende rund ein halbes Jahr zu spät gestartet, bei der EZB ist dagegen keine ausgeprägte Verspätung zu erkennen. Das Basisszenario für die Fed ist immer noch eine Drosselung der Inflation ohne Rezession. Mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit folgt zunächst die Möglichkeit eines Stopps der Inflation plus einer Rezession in den USA und dann auch das Risiko einer für längere Zeit über vier Prozent liegenden Inflation.
Für die EZB ist das Bild noch komplizierter: Auch im Euro-Raum ist weiterhin ein glimpflicher Ausgang möglich, aber aus den Marktdaten lässt sich neben dem Risiko einer zu hohen Inflation immer noch die Gefahr eines Abgleitens ins Gegenteil, eine deflationäre Tendenz, ableiten. Anders gesagt: Bei der Fed ist wenigstens die Richtung klar, bei der EZB kommt es noch mehr darauf an, genau die richtige Steadiness zu halten.
Lagarde schafft Einigkeit
Die Marktanalyse von Reis findet zum Teil auch noch Unterstützung in ökonomischen Argumenten. Zwar sind die Befürworter einer weiterhin weichen EZB-Politik zuletzt etwas leiser geworden und die Befürworter des geldpolitischen Schwenks, der ohnehin zu erwarten ist, werden lauter.
Aber Erik Nielsen zum Beispiel, Chefberater der italienischen Großbank Unicredit, verweist darauf, dass die Inflation im Euro-Raum bisher vor allem von den Energiepreisen getrieben wird, die die EZB kaum beeinflussen kann. Vor allem argumentiert er mit den, anders als in den USA, immer noch moderaten Erwartungen: „Ich erinnere daran, dass die Inflationsprognosen weit überwiegend auf Werte unter zwei Prozent für 2023 und 2024 hindeuten.“
Obwohl Nielsen den EZB-Schwenk kritisch sieht, zollt er in seiner Studie Lagarde hohen Respekt dafür, dass sie es offenbar geschafft hat, den EZB-Rat auf eine recht einheitliche Linie zu bringen. Dafür sprechen unter anderem Äußerungen von EZB-Chef-Ökonom Philip Lane, den Kritiker bislang als „Tremendous-Taube“ gesehen haben. Vor Kurzem unterstrich auch er in einer Rede die Gefahr, dass sich die Inflation verfestigt. Und er merkte an, es sei keineswegs sicher, dass sie auf längere Sicht wieder auf das schwache Vorkrisenniveau zurückfalle.
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