Frankfurt Erst am vergangenen Donnerstag hat Helene von Roeder ihren baldigen Rückzug beim Immobilienkonzern Vonovia angekündigt. Nun ist klar, wohin es die Digitalvorständin (CTO) zieht: Von Roeder wird am 1. Juli Finanzchefin des Darmstädter Pharma-, Life-Science- und Technologiekonzerns Merck KGaA. Sie löst dort den langjährigen CEO Marcus Kuhnert ab. Der verlässt die Merck-Gruppe aber nicht ganz, sondern bleibt noch ein Jahr im Vorstand der persönlich haftenden Gesellschafterin E. Merck KG.
Die 52-Jährige kennt den Dax-Konzern Merck bereits. Seit 2019 sitzt sie im Aufsichtsrat der Merck KGaA und im Gesellschafterrat der E. Merck KG und war zudem Vorsitzende des Prüfungs- und Finanzausschusses. Macht sie ihre Sache gut, dürfte sie auch eine Kandidatin für die Nachfolge von Belèn Garijo sein. Die CEO wurde im Mai 2021 Vorsitzende der Geschäftsleitung und wäre etwa bei Ende eines fünf Jahre laufenden Vertrags Mitte 2026 65 Jahre alt.
Die Spitzenmanagerin kennt die Finanzwelt bereits von Kindesbeinen. Ihr Vater Max Dietrich Kley war Finanzchef von BASF, Großvater Gisbert Kley saß im Vorstand von Siemens. Und ihr Onkel Karl-Ludwig Kley war neun Jahre lang der Vorsitzende der Geschäftsführung bei Merck in Darmstadt.
Vom Gesellschafterrat wird Helene von Roeder mit sehr lobenden Worten begrüßt. Sie bringe „umfangreiche Expertise im Investment-Banking, Kapitalmarkt und in der Finanzindustrie als solche mit, gepaart mit der natürlichen Neugierde einer Physikerin“, wird Johannes Baillou, Vorsitzender des Gesellschafterrats der E. Merck KG, zitiert. Vor ihrer Zeit bei Vonovia, wo sie ebenfalls über Jahre Finanzchefin war, leitete die Managerin unter anderem das Deutschlandgeschäft der Credit Suisse.
„Ihre langjährige Verbindung zu Merck und ihre Erfahrung als Teil unserer Gremienstruktur werden für einen reibungslosen Übergang und Stabilität sorgen“, so Baillou weiter. Baillou ist auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender der E. Merck KG, die zu 99,9 Prozent im Besitz der Merck-Familie ist. Die E. Merck KG hält als persönlich haftende Gesellschafterin rund 70 Prozent am Gesamtkapital der Merck KGaA.
Als Angehörige der Familie Kley in Industrie und Finanzwelt verwurzelt
Bei Vonovia kam der Abgang von Roeders für viele Außenstehende überraschend. Doch intern hieß es schon länger, dass von Roeder es nicht behagt hatte, dass sie 2022 das Finanzressort an Philip Grosse abgeben musste.
Seitdem war von Roeder für Innovationen und Digitalisierung zuständig – ein Ressort, das ihr offensichtlich weniger nahe liegt. Die Managerin ist tief in der Investmentbankenwelt verwurzelt, hält sich allerdings mit forschen Ansagen in der Öffentlichkeit sichtlich zurück. Sie agiert gerne im Hintergrund und überließ Vorstandschef Rolf Buch die Bühne.
Intern agierte sie jedoch deutlich weniger zurückhaltend. Dass nach der Übernahme der Deutschen Wohnen deren Boss Michael Zahn Ende 2021 dem neu formierten Vonovia-Vorstand fernblieb, wo er als designierter Co-Chef vorgesehen war, soll auch auf die klaren Ansagen der Vorstandsfrau zurückzuführen sein. Von Roeder ging damals Zahn in der ersten gemeinsamen Vorstandssitzung des neuen Gremiums offen an und fragte, wie er sich seinen neuen Arbeitsbereich Portfolio & Asset Management denn vorstelle.
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Zahn war sichtlich irritiert über die Diskussionsfreude bei Vonovia, die ihren Vorstandsvorsitzenden Buch nicht schonte – und ebenso wenig ihn selbst, wie es hieß. Wenige Tage später erklärte Zahn, dass er doch nicht für den Vonovia-Vorstand zur Verfügung stehe.
Schlüsselrolle bei Übernahme der Deutsche Wohnen durch Vonovia
Von Roeder ist dreifache Mutter, die Familie wohnt noch in Frankfurt, zu Vonovia nach Bochum pendelte sie unter der Woche. Studiert hat sie Physik und Astrophysik in München und London. Statistikmodelle und die Welt der Zahlen sind ihr dadurch eng vertraut. Ihre Abschlussarbeit an der University of Cambridge behandelte Aspekte der theoretischen Astrophysik. Ihre berufliche Karriere begann sie 1995 bei der Deutschen Bank in London, wo sie im Risikomanagement für Derivate arbeitete.
Nach Stationen bei der UBS und Morgan Stanley kam sie 2014 schließlich als Deutschlandchefin zur Schweizer Bank Credit Suisse. Dort kümmerte sich von Roeder vor allem um Fusionsberatung und die Finanzierung von Übernahmen. Ihre Kontakt zu den Investoren sind vor diesem Hintergrund exzellent: Dass die milliardenschwere Übernahme von Deutsche Wohnen 2021 letztlich durchging, war auch ihrem Verhandlungsgeschick zu verdanken.
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Bei Merck warten neue Aufgaben auf von Roeder. Der Dax-Konzern mit zuletzt rund 22 Milliarden Euro Umsatz hat sich zwar in der Coronapandemie gut behauptet, aber jetzt muss das Wachstum neu angekurbelt werden.
Denn in der Pharmasparte fehlt es an Produktnachschub, die Elektronikbranche ist zyklisch und die Life-Science-Sparte kehrt nach dem Coronaboom zur Normalität zurück. CEO Garijo hat schon das Interesse an größeren Zukäufen bekundet. Ein Feld, in dem die Expertise von Helene von Roeder helfen wird.
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