Frankfurt Die deutschen Versicherer wollen bei der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft eine wichtige Rolle einnehmen. Als institutionelle Investoren haben sie zuletzt große Anstrengungen unternommen, ihre Kapitalanlagen klimaneutraler zu gestalten und nach ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien (ESG) auszurichten. Im Versicherungsgeschäft sehen Makler und Unternehmen dagegen noch deutlichen Nachholbedarf.
„Die Industrieversicherer scheinen mehr bemüht zu sein, ihr öffentliches Bild zu ESG positiv beeinflussen zu wollen, und weniger bemüht, die Transformation der Industrie wirklich zu unterstützen“, beklagt Patrick Fiedler, Vorstandsmitglied des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW).
Fortschritt bei der grünen Transformation könne es aber nur geben, wenn er auch versichert werde, sagt Thomas Olaynig, der bei der Beratungsfirma WTW den Bereich Corporate Risk & Broking im deutschsprachigen Raum und Polen leitet. „Versicherer sollten mehr Mut zeigen, den Wandel der Unternehmen zu begleiten.“
Seine Kollegin Stefanie Schriek, die die Versicherungsberatung von WTW in Deutschland verantwortet, ergänzt, dass die Versicherer bei ihren Kapitalanlagen schon genauer festgelegt hätten, in welche Branchen und Unternehmen sie unter nachhaltigen Gesichtspunkten künftig investieren wollen. Im eigentlichen Versicherungsgeschäft tue sich aber noch deutlich zu wenig.
Es gehe nicht, dass Versicherer bestimmte Risiken einfach ausschließen und „auf der einen Seite keine Kohleprojekte mehr versichern wollen und auf der anderen Seite sagen, dass ihnen Offshore-Windkraftanlagen ebenfalls zu risikoreich sind“, sagt Olaynig. Es werde Zeit, dass sich die Versicherer mehr mit diesen neuen Risiken auseinandersetzen.
Der Versichererverband GDV hält diese Kritik nicht für gerechtfertigt. „Die deutschen Versicherer beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit der Versicherung von nachhaltigen Großprojekten und haben hier viel Know-how aufgebaut“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.
Mangel an Versicherungskapazität ist Hauptkritikpunkt
Für GVNW-Vorstandsmitglied Fiedler, der die Interessen der Unternehmen vertritt, ist der Mangel an Versicherungskapazität der größte Kritikpunkt. Zum Beispiel beobachtet er, dass die Kapazitäten beschränkt oder ganz aufgehoben werden, wenn die versicherten Unternehmen im Bereich Kohle oder Bergbau aktiv sind oder waren.
Bei Kohle, Öl und Gas würden Versicherer meist viel darüber sprechen, was sie ab wann nicht mehr versichern wollen. „Damit sehen wir nur ein negativ konnotiertes, bestrafendes Verhalten der Versicherer“, sagt Fiedler. „Was wir vermissen, ist ein positiver Ansatz zur Transformation mit Mut zum Risiko.“
Ein Sprecher von Zurich Deutschland räumt zwar ein, dass man Ausschlusskriterien für die Bereiche Kohle, Ölsand und Schieferöl sowie die Bohrung und Förderung von Öl und Gas definiert habe.
Es sei aber nicht zielführend, ganze Branchen pauschal auszuschließen, bevor es nachhaltige Alternativen für einzelne Technologien im Markt gebe: „Wir begleiten und unterstützen daher unsere Kunden, auch in derzeit noch CO2-intensiven Branchen, auf ihrem Transformationsweg hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft.“
Laut Fiedler vom GVNW erhalten Unternehmen aber manchmal selbst bei ambitionierten Transformationsplänen keinen Versicherungsschutz, wobei „gerade in solchen Situationen eine besondere Unterstützung durch Versicherer gesellschaftlich wünschenswert wäre“.
Auch Zielkonflikte würden häufig übersehen, wenn beispielweise Kupferminen aus Umweltgesichtspunkten keinen Versicherungsschutz bekämen, ohne Kupfer aber keine Windparks gebaut werden könnten.
Schriek zufolge bemühen sich die Unternehmen in vielen Industrien, umweltfreundlichere Produktionsverfahren mit weniger CO2-Emissionen zu etablieren. Die Versicherer hätten sich aber noch nicht ausreichend darauf eingestellt, dass dadurch auch viele neue Risiken mit unbekannter Schadenhäufigkeit und -schwere entstünden. „Wenn Unternehmen neue Risiken versichern wollen, schaffen es die Anbieter häufig nicht, adäquate Preise hierfür zu setzen“, meint die Beraterin.
Unternehmen wollen mehr Unterstützung bei Energiewendeprojekten
Auch bei der Versicherung von erneuerbaren Energien sehen sich die Unternehmen nicht genügend unterstützt. Fiedler sagt: „Wir sehen eine Zurückhaltung einiger auch großer Industrieversicherer, Offshore-Wind- und Solarparks überhaupt zu versichern.“ Das sei damit zu erklären, dass nur unzureichende Schadendaten und Erfahrungswerte zu solchen neuen Technologien vorliegen.
GDV-Hauptgeschäftsführer Asmussen entgegnet jedoch, dass die Versicherungswirtschaft Energiewendeprojekte trotz anfänglich sehr hoher Schadenquoten unterstützt und mit passendem Versicherungsschutz begleitet habe – und das auch weiterhin tue. Mittlerweile hätten sich die Schadenquoten durch Beratung und gemeinsame Arbeit mit Bauträgern verbessert.
Renate Strasser, Vorstandsmitglied bei der Allianz-Tochter AGCS, sieht aber beim Ausbau erneuerbarer Energien und der damit verbundenen Infrastruktur weiterhin „eine relevante Schadenaktivität, die auch durch den Klimawandel und steigende Naturgefahren wie Hagel, Überschwemmungen oder Stürme weiter zunehmen wird“.
AGCS wolle den Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und den Ausbau erneuerbarer Energien aktiv unterstützen, dürfe aber gleichzeitig die Profitabilität nicht aus den Augen verlieren, um die Kunden langfristig unterstützen zu können, so Strasser. Als Industrieversicherer müsse man die Preise entsprechend dem jeweiligen Risiko kalkulieren.
Mehr: Großschäden sind immer schwerer kalkulierbar – Versicherer Zurich setzt verstärkt auf Prävention