New York Die ersten 24 Stunden nach dem Begin des Angriffs Russlands auf die Ukraine hat mindestens 137 Menschenleben gekostet. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bezeichnete die getöteten Soldaten und Zivilisten in der Nacht als „Helden“.
Dabei lieferte sich die russische Armee bei ihrer Invasion weitere Gefechte mit ukrainischen Verbänden und rückt nun auf Kiew vor. Am frühen Morgen meldeten verschiedene Nachrichten-Organisationen Explosionen in der Hauptstadt Kiew.
Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba spricht von einem heftigen Beschuss der Hauptstadt. „Schreckliche russische Raketenangriffe auf Kiew“, twitterte Kuleba am frühen Freitagmorgen. „Das letzte Mal, dass unsere Hauptstadt so etwas erlebt hat, battle 1941, als sie von Nazi-Deutschland angegriffen wurde.“ Der Minister zeigte sich trotz der massiven Angriffe demonstrativ optimistisch: „Die Ukraine hat dieses Übel besiegt und wird dieses besiegen.“
Die jüngsten Angriffe waren erwartet worden. Kiew könnte noch in der Nacht von Russland eingenommen werden, zitierte die Nachrichtenagentur Bloomberg am Abend hochrangige Beamte westlicher Geheimdienste.
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US-Außenminister Anthony Blinken geht davon aus, dass es Putins Ziel sei, die ukrainische Regierung zu stürzen. Am Abend führte er im US-Fernsehsender aus: „Wir wissen, dass es Teil des russischen Plans ist, Kiew in Gefahr zu bringen, die Hauptstadt anzugreifen und auch gegen andere Großstädte vorzugehen“.
Der ukrainische Präsident Selenski sei dabei ein „Hauptziel für russische Aggressionen“, heißt es aus dem US-Außenministerium. Selenski weiß offenbar darum und sagte in einer Videobotschaft: „Der Feind hat mich zur Zielscheibe Nummer eins erklärt“. Nummer zwei sei seine Familie. Trotzdem wolle er in Kiew bleiben.
Am Donnerstagabend ordnete er eine Generalmobilisierung an. Die Anordnung gilt demnach für 90 Tage und sieht die Einberufung von Wehrpflichtigen und Reservisten vor.
EU bringt neue Sanktionen auf den Weg
Spät in der Nacht beendete der EU-Rat seine Sitzung. Erst um halb drei Uhr morgens traten der Präsident des EU-Parlaments, Charles Michel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor die Presse. Hauptthema der Beratungen waren vor allem die nächsten Sanktionen gegen Russland.
Das in den vergangenen Wochen zusammengestellte Sanktionspaket wurde dabei auf den Weg gebracht. Nicht enthalten ist jedoch der Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift. Vor allem Deutschland hatte sich zuletzt dagegen ausgesprochen. Zuvor hatten auch die USA mit Rücksicht auf die EU darauf verzichtet, Russland aus dem Zahlungssystem Swift zu drängen. „Europa will das derzeit nicht“, erklärte US-Präsident Joe Biden.
Mehr zu Ukrainekrise
Auch andere Staaten bezogen deutlich Stellung zu den Vorgängen in der Ukraine. So kündigten Japan, Taiwan und Australien Sanktionen an.
Venezuela stärkte dem Kreml hingegen dem Rücken. „Venezuela ist besorgt über die Verschärfung der Krise in der Ukraine und bedauert den Bruch des Minskers Abkommens durch die Nato, vorangetrieben durch die Vereinigten Staaten“, hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme der sozialistischen Regierung in Caracas.
USA kündigen Sanktionen an und schicken Soldaten
US-Präsident Joe Biden kündigte am Donnerstagabend ebenfalls Sanktionen an, die sich unter anderem gegen große russische Banken richten. Zudem plant Biden strikte Exportkontrollen für den Technologiesektor und weitere Strafmaßnahmen gegen Mitglieder der russischen Elite. „Putin ist der Aggressor“, sagte Biden im Weißen Haus.
Die Vereinigten Staaten verlegen zudem 7000 weitere Soldaten nach Europa, die zunächst in Deutschland stationiert werden sollen. „Unsere Streitkräfte gehen nicht nach Europa, um in der Ukraine zu kämpfen, sondern um unsere Nato-Verbündeten zu verteidigen und die Verbündeten im Osten zu beruhigen“, sagte Biden.
Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten schalten sich an diesem Freitag zu einer Sondersitzung zusammen.
High-Thema in den Talkshows
Der ukrainische Botschafter, Andrij Melnyk, richtete am Donnerstagabend in der Sendung „Markus Lanz“ im ZDF deutliche Worte an Berlin: Er warf der Bundesregierung „Kälte und Gleichgültigkeit“ vor. „Jede Bitte, uns jetzt zu helfen, wurde einfach abgeschmettert. Das ist sehr traurig. Ich kann nicht verstehen: Wie kann man so kaltherzig und stur bleiben.“ Er fügt hinzu: „Diese Politik, diese Zögerlichkeit, sie lässt uns als Opferlamm zurück, das geschlachtet wird.“
Im selben Fernsehstudio äußerte sich auch Wirtschaftsminister Robert Habeck. Seine Forderung: Mehr Investitionen in die Bundeswehr. Deutschland sei jetzt quasi Nachbar eines aggressiv Krieg führenden Landes. Das werde sicherlich zur Konsequenz haben, dass die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr noch einmal überprüft – „und – ich glaube, da verrate ich kein Geheimnis – gesteigert werden muss“, sagte er. In den ARD-Tagesthemen sagt er, man müsse auch in Deutschland darauf achten, „dass wir eine voll wehrfähige Armee haben, die einsatzfähig und sturdy ist“.
Unterstützung finden seine Wortmeldungen im Bundesfinanzministerium. Christian Lindner kritisiert in der ARD-Sendung „Maischberger“: „Wir müssen uns mit der Tatsache vertraut machen, dass unsere Streitkräfte seit vielen, vielen Jahren auf Verschleiß gemanagt wurden.“ Die deutsche Politik müsse lernen, „dass auch Bündnisverteidigung eine politische Priorität ist“.
Erholungsjagd an den Märkten
Die internationalen Finanzmärkte erholten sich unterdessen in großer Geschwindigkeit von dem Schock des Kriegsausbruches. Während die Wall Road noch tief in der Verlustzone eröffnet hatte, drehten die wichtigsten Indizes zum Handelsschluss ins Plus: Der Dow Jones schloss 0,3 Prozent, der marktbreite S&P 500 1,5 und der technologielastige Nasdaq sogar 3,3 Prozent über dem Schlusskurs vom Mittwoch.
Die Märkte in Asien folgen diesem Pattern: Der japanische Nikkei notierte in den ersten Handelsminuten rund ein Prozent im Plus, bis zu Mittagspause betrug das Plus sogar 1,5 Prozent.
Eine Erklärung für die Kauflaune der Anleger könnte die Tatsache sein, dass US-Präsident Joe Biden bisher von Sanktionen auf die wichtige Energiebranche abgesehen hat. Auch könnte die USA erneut ihre strategische Ölreserve auf den Markt bringen und so den Preisdruck am Rohstoffmarkt verringern.
Mit Agenturmaterial.
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