Düsseldorf Wenn es in Deutschland besonders sonnig oder windig ist, ist teils mehr Strom aus erneuerbaren Energien im Netz als nötig. Das belastet das Stromnetz – macht die Energie aber gleichzeitig günstig. Es ist also gut fürs Netz und gut fürs Portemonnaie, wenn große Stromverbraucher wie Industrieunternehmen ihren Verbrauch auf solche wind- und sonnenreichen Stunden ausrichten.
Hier setzt Esforin an. Das Essener Unternehmen, kurz für „Energy Services for Industry“, organisiert den Handel mit Flexibilitäten im Strommarkt. Das heißt: Es nutzt die Bereitschaft von Unternehmen, Strom genau dann zu verbrauchen, wenn das für das Stromnetz am besten ist.
Jetzt hat der Gründer Christian Hövelhaus 7,5 Millionen Euro frisches Kapital von Investoren eingesammelt. Mit dem Geld will er in weitere Märkte expandieren. Durch eine neue Kooperation mit dem Start-up 1Komma5 Grad sollen künftig auch Privatverbraucher stärker eingebunden werden.
Es gibt Unternehmen, die rund um die Uhr eine konstante Stromversorgung brauchen oder die die Energie immer zur gleichen Uhrzeit benötigen – egal ob der Strom an der Strombörse gerade teuer oder günstig ist. Wer hingegen frei entscheiden kann, wann er seine Geräte an die Steckdose anschließt, der hat „Nachfrageflexibilitäten“.
Die sind wichtig für die Betreiber von Stromnetzen. Denn wenn die Netze nicht durch einen angepassten Stromverbrauch entlastet werden können, müssen stattdessen etwa Kraftwerke vom Netz gehen. Flexibilitäten sind also Geld wert.
Stromnetze: Gefahr von Schwankungen steigt
Esforin macht sich diese Logik zunutze. Der Dienstleister bietet Industrieunternehmen einen von Algorithmen gesteuerten Handel an. Sind die Netze überlastet, kauft Esforin für seine Kunden an der Strombörse günstigen Strom ein und sorgt automatisiert dafür, dass der Kunde diesen im selben Augenblick nutzt. Etwa um bei einem Hochofen in der Stahl- oder Aluminiumindustrie die Temperatur zu erhöhen.
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Wenn hingegen wenig Grünstrom in den Netzen ist, kann Esforin auch zusätzlichen Strom ins Netz einspeisen, zum Beispiel aus Kraftwerken seiner Kunden oder aus großen Industriebatterien, die zuvor geladen wurden.
Angebote wie von Esforin werden in den kommenden Jahren wichtiger. Denn in Deutschland gehen immer mehr Kohlekraftwerke vom Netz, gleichzeitig kommen zahlreiche Windräder und Photovoltaik-Anlagen hinzu. Die Bundesregierung will, dass bis 2030 mindestens 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammt, um die Klimaziele zu erreichen. 2022 waren es 46,2 Prozent.
Es entstehen künftig also immer häufiger Situationen, in denen das Netz überlastet ist oder in denen zu wenig Strom zur Verfügung steht – es sei denn, Anbieter wie Esforin gleichen die Schwankungen aus. Esforin arbeitet dazu unter anderem mit Chemieparks, Aluminium- und Papierindustrie zusammen. Um die Stromversorgung in Zukunft stabil zu halten, braucht es ihre Flexibilitäten.
(Foto: Esforin)
Esforin-Gründer Hövelhaus sagt: „Die Kunden können durch die Zusammenarbeit mit uns ihre Stromkosten erheblich senken.“ Mittlerweile hat Esforin laut Hövelhaus Flexibilitäten mit einer Gesamtleistung von 1,5 Gigawatt unter Vertrag. Das entspricht etwa 1,5 Atomkraftwerken und ist mehr als doppelt so viel wie zu Beginn des Jahres 2022.
Neuer Großinvestor aus Skandinavien
Auch Kunden und Umsatz wachsen bei Esforin in der aktuellen Marktsituation schnell. Schließlich schwankten die Strompreise im vergangenen Jahr in der Energiekrise stark und auf hohem Niveau. Wer seine Nachfrage und die Zahlungen für seinen Strom automatisiert anpassen kann, spart potenziell eine Menge Geld.
Laut Hövelhaus gibt es einen regelrechten Kunden-Run, der Umsatz habe sich mit 650 Millionen Euro im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Esforin sei profitabel, die Bewertung des Unternehmens liege im niedrigen dreistelligen Millionenbereich.
Entsprechend groß sei auch das Interesse unter Investoren, er habe eine zweistellige Zahl von Angeboten gehabt. Zu den Bestandsinvestoren – dazu zählen das niederländische Investmenthaus Set Ventures, der Gründer der Energiefirma Sonnen, Christoph Ostermann, und das Essener Family-Office Erame – kommt jetzt noch die schwedische Bank SEB.
Auch Privatkunden sollen künftig stärker an der Vermarktung flexibler Strommengen teilhaben können.
(Foto: dpa)
„Die skandinavischen Länder treiben die Elektrifizierung der Industrie mit hohem Tempo voran, da passen wir ideal rein“, sagt Hövelhaus. Die SEB soll Esforin, das bisher vor allem in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Großbritannien aktiv ist, die Ausbreitung in diesem neuen Markt erleichtern. Sie sei „super vernetzt“. Mit dem Geld will Esforin Vertrieb und IT weiter ausbauen.
Hövelhaus selbst ist seit vielen Jahren in der Energiebranche tätig, unter anderem bei RWE. Zudem sitzt er im Beirat Junge Digitale Wirtschaft der Bundesregierung. Mit seinem Geschäftsmodell ist er nicht der Einzige am Markt. Auch große Energiekonzerne wie EWE oder Uniper bieten Flexibilitätsvermarktung für Unternehmen an.
Günstigerer Strom für Besitzer von Wärmepumpen
Esforin dringt jetzt indes noch in einen weiteren Bereich vor: Flexibilitäten von Privathaushalten. Denn auch wer ein Elektroauto, eine Wärmepumpe, eine Photovoltaik-Anlage oder einen Stromspeicher besitzt, kann flexible Stromnachfrage oder -erzeugung vermarkten. Bisher hat Esforin solche privaten Flexibilitäten durch eine Kooperation mit dem Batteriehersteller Sonnen eingebunden. Sie wurden in einer virtuellen Batterie gebündelt und als Ganzes von Esforin vermarktet.
Jetzt gibt es zusätzlich noch die Kooperation mit 1Komma5 Grad, die die Vermarktung der Flexibilitäten von einzelnen Haushalten ermöglicht. Das Hamburger Start-up bietet Photovoltaikanlagen, Stromspeicher, Ladeinfrastruktur für Elektroautos und auch Wärmepumpen aus einer Hand an, vom Produkt über die Installation bis zum grünen Stromvertrag.
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Die vom früheren Tesla-Deutschlandchef Philipp Schröder gegründete Firma hat ein Gerät namens „Heartbeat“ entwickelt, das Schnittstellen zu Geräten wie Wallboxen und Wärmepumpen hat. Es sorgt zusammen mit einem Smart Meter – einem intelligenten Stromzähler – dafür, dass Kunden den Strom zu den günstigsten Zeitpunkten erhalten und verbrauchen.
Im Vergleich zu einem herkömmlichen Stromtarif, bei dem Kunden unabhängig vom Zeitpunkt ihres Stromverbrauchs jeden Monat den gleichen Betrag bezahlen, sollen so Ersparnisse bis zu 2000 Euro im Jahr möglich sein.
Die Kooperation mit Esforin ermöglicht es 1Komma5 Grad, nicht nur wie bisher einen Tag im Voraus günstigen Strom für die Kunden einzukaufen, sondern in Echtzeit tagesaktuell mit Strom zu handeln, den die Kunden gerade verbrauchen oder mit ihren Photovoltaikanlagen erzeugen.
1Komma5-Grad-Gründer Schröder sagt dazu: „Wir können für unsere Kunden die Stromkosten und die Betriebskosten für Geräte wie Wärmepumpen dramatisch senken.“
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