Der Sparkassen-Präsident warnt vor den Folgen der hohen Energiepreise: Bei vielen Unternehmen dürften die Gewinne zurückgehen, ein Teil der Firmen könnte aus Deutschland abwandern.
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Frankfurt Die deutschen Sparkassen warnen davor, dass große Teile des deutschen Mittelstands deutlich weniger verdienen werden und Unternehmen zunehmend abwandern. Zwei Drittel der 353 Sparkassen rechnen damit, dass Gewinnrückgänge bei ihren Firmenkunden, „die Ertragssituation erheblich belasten werden“, sagte Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis am Dienstag. Das habe eine Befragung der Mittelstandsexperten in den Geldhäusern ergeben.
„Unsere Prognose für die Gewinnentwicklung zeigt unter dem Strich für die meisten Branchen nach unten“, erklärte der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV). Als wesentlichen Grund dafür nannte er die gestiegenen Energiekosten, denn der Energiepreis sei ein substanzieller Faktor für die künftige Wettbewerbsfähigkeit.
Daher befürchtet Schleweis, dass zunehmend Firmen Deutschland verlassen werden. „Die Gefahr, dass Unternehmen in Länder abwandern, in denen Energie günstiger ist, ist akut.“ Es sei ein „schleichender Prozess“, dessen Ausmaß man womöglich erst spät abschätzen könne.
Viele Firmen haben bereits Produktionsstätten im Ausland
Die Hürden für eine zumindest teilweise Abwanderung seien für zahlreiche Firmen deutlich niedriger, als viele dächten: „Die größeren Mittelständler sind bereits eng mit ausländischen Märkten verflochten und verfügen dort schon oft über Produktionsstätten, die sich schnell und einfach ausbauen lassen“, warnte der DSGV-Präsident.
Am Montag hatten Zahlen der EU-Kommission verdeutlicht, dass Deutschland beim Wachstum innerhalb Europas stark zurückgefallen ist. Laut der neuen Wachstumsprognose der EU-Kommission schrumpft die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,4 Prozent und wird sich im kommenden Jahr mit 1,1 Prozent Wachstum nur schleppend erholen. Europaweit rechnet die EU 2023 mit einem geringfügigen Konjunkturplus von 0,8 Prozent.
Deutschland ist damit das Schlusslicht in Europa: Keine andere große EU-Nation muss 2023 mit einem Minuswachstum rechnen. Einige deutsche Wirtschaftsinstitute fürchten sogar einen noch stärkeren Konjunkturrückgang. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen etwa sagt eine Abnahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,6 Prozent voraus. Das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet mit minus 0,5 Prozent.
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Zwar hätten es die Firmenkunden der Sparkassen im Schnitt geschafft, 2022 einen Gewinn zu erzielen, sagte Schleweis. „Für einige Branchen wird es jetzt aber eng: Vor allem die Chemiebranche, das Transportgewerbe und die energieintensiven Segmente des verarbeitenden Gewerbes können weitere Energiepreissteigerungen kaum verkraften.“
Von einem sprunghaften Anstieg der Insolvenzen gehen die Sparkassen-Experten hingegen nicht aus. Lediglich zwei Prozent von ihnen erwarten, dass ihre Firmenkunden in existenzielle Schwierigkeiten geraten würden. Die Eigenkapitalquote der deutschen Mittelständler läge durchschnittlich bei 38 Prozent.
Kreditvergabe an Unternehmen sackt dieses Jahr ab
Die hohen Kostensteigerungen führen Schleweis zufolge auch dazu, dass die Investitionsbereitschaft sinkt. Das spüren die Sparkassen, die mit einem Anteil von 40 Prozent Marktführer im Geschäft mit Firmenkunden sind, bereits deutlich.
Die Kreditzusagen an Firmen und Selbstständige liege im ersten Halbjahr 2023 um mehr als ein Drittel unter dem Vorjahreswert. Es gebe vor allem bei der gewerblichen Wohnimmobilienfinanzierung einen deutlichen Rückgang, die Darlehensvergabe sei um mehr als die Hälfte eingebrochen.
Schleweis forderte die Politik auf, Tempo zu machen bei Energie, Digitalisierung und einem durch Bildung und Zuwanderung erweiterten Arbeitskräfteangebot. Mit Blick auf Energiepreise sprach er sich dafür aus, für eine begrenzte Zeit die verfügbaren Energien zu nutzen und eine schnellere Wende hin zu regenerativen Energien zu schaffen.
Einen Industriestrompreis, also einen vergünstigten Stromtarif für die deutsche Industrie, lehnt der DSGV-Chef ab. „Anstatt neue Subventionen wie einen Industriestrompreis zu etablieren, sind Senkungen bei der Stromsteuer und eine Reform der Netzentgelte sehr viel schneller und wirksamer. Davon profitieren nicht nur wenige Großunternehmen, sondern auch mittelständische Betriebe“, sagte Schleweis. Die Ampelkoalition lotet derzeit aus, ob sie einen Kompromiss findet, um die Industrie von den hohen Strompreisen zu entlasten.
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