2022 wurden nahezu 500 Geldautomaten in Deutschland gesprengt und damit so viele wie noch nie.
(Foto: IMAGO/Jochen Tack)
Frankfurt Die ersten Sparkassen und Volksbanken erwägen, die Verklebetechnik zum Schutz vor Geldautomatensprengungen einzusetzen. Sie haben sich an den Hersteller der Systeme, die niederländische Firma Mactwin Security, gewandt. „Wir haben Dutzende Anfragen deutscher Banken und stehen nun in Kontakt mit mehreren Sparkassen und Volksbanken“, sagte Mactwin-Technikchef Robin Bijland dem Handelsblatt.
2022 wurden nahezu 500 Geldautomaten in Deutschland gesprengt und damit so viele wie noch nie. Bis Anfang Mai dieses Jahres gab es in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg bereits fast 120 Angriffe auf Geldautomaten. Meist werden sie von Tätern aus den Niederlanden verübt. Die bisherigen Schutzmaßnahmen verhindern die Sprengungen nicht ausreichend.
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Die Bundesbank gab kürzlich grünes Licht für die neue Abwehrtechnik. Dabei verkleben die Geldscheine im Fall einer Automatenexplosion zu einem Klumpen, lassen sich nicht mehr nutzen und meist auch nicht mehr zählen.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hat bereits angekündigt, dass seine Mitgliedsinstitute künftig auch die Klebesysteme nutzen wollen. „Die Sparkassen werden die Verklebetechnik so bald wie möglich an den Standorten, wo es Sinn ergibt, einsetzen“, sagte DSGV-Vorstand Joachim Schmalzl vor wenigen Tagen dem Handelsblatt.
In den Niederlanden gilt die Verklebetechnik als eine erfolgreiche Abwehrmaßnahme. Dort ist die Zahl der Geldautomatensprengungen stark zurückgegangen. Sie sank laut dem niederländischen Bankenverband von 129 im Jahr 2013 auf neun im vergangenen Jahr.
Geldautomatensprengung: Gespräche mit Banken und Unfallversicherern
Mactwin hat nach eigenen Angaben rund 1500 Verklebesysteme unter dem Produktnamen „Gluefusion“ für den niederländischen Markt produziert. 1200 bis 1500 davon seien in Betrieb. In den Niederlanden gab es laut der niederländischen Notenbank per Ende 2021 knapp 5000 Geldautomaten. In Deutschland gab es zuletzt etwa zehn Mal so viele. Als Kosten für das Klebesystem führte Bijland 5000 bis 6000 Euro je Automat an. Für den Einbau veranschlagt er zudem 500 bis 1000 Euro.
Das Unternehmen spreche mit Banken, mit dem Versicherungsverband GDV und seit Jahresbeginn auch mit der Sicherheitsprüfstelle VdS wegen der nötigen Zertifizierung, sagte der Mactwin-Manager. Da es sich um ein komplett neues Produkt in Deutschland handle, dürfte die Zertifizierung noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Neben der Zertifizierung muss das Klebesystem noch arbeitsschutzrechtlich beurteilt werden. So gilt der Einbau des Schutzsystems als potenziell gefährlich – beispielsweise für den Fall, dass es versehentlich aktiviert wird. Zu diesem Thema ist Mactwin in Gesprächen mit Unfallversicherern, konkret mit dem Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). Der Verband teilte auf Handelsblatt-Anfrage mit, er warte noch auf Antworten des Herstellers.
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Viele Banken schließen Geldautomatenstandorte inzwischen nachts, die ersten lassen Filialen von Sicherheitspersonal bewachen. Sie nutzen zudem häufig Videoübertragungssysteme, Abriss- und Erschütterungsmelder, spezielle Sicherungen von Fenstern und Zugangstüren sowie Vernebelungstechnik und Systeme, durch die Geldscheine bei einer Explosion verfärbt werden. Die Täter scheint dies nicht zu stören: Sie nehmen auch verfärbte Banknoten mit.
Eine gesetzliche Regelung zu Schutzmaßnahmen, wie sie Länder und Bund erwägen, lehnt die Finanzbranche ab. Eine Verständigung auf freiwillige Schritte gibt es bereits.
DSGV-Vorstand Schmalzl warnte vor hohen Erwartungen. „Die Verklebetechnik wird das Problem der Geldautomatensprengungen nicht komplett lösen. Es ist kein Allheilmittel.“ Man müsse davon ausgehen, dass Täter dadurch nicht komplett abgeschreckt würden und mit neuen, noch aggressiveren Methoden reagieren – „womöglich auch in der Hoffnung, dass nicht alle Geldscheine vollständig verklebt werden“, sagte er.
Mehr: Schutz vor Sprengungen – Sparkassen wollen Verklebetechnik so rasch wie möglich einsetzen
Erstpublikation: 07.05.23, 18:00 Uhr.