Düsseldorf Wer das Örtchen Waldenbuch im Landkreis Böblingen erreicht, dem weht Schokoladenduft in die Nase. Der Schokoladenhersteller Ritter Sport beschäftigt hier 1000 seiner weltweit 1900 Mitarbeitenden, rund die Hälfte davon in der Schokoproduktion. Sie arbeiten in drei Schichten, die Maschinen laufen 24 Stunden und können mehr als drei Millionen Tafeln pro Tag produzieren.
Doch der zarte Schmelz von Schokolade hat einen bitteren CO2-Abdruck. Das liegt schon daran, dass der dafür benötigte Kakao aus Nicaragua oder Ghana oder der Elfenbeinküste kommt. Eine 100-Gramm-Tafel verursacht im Schnitt deshalb nach Berechnungen des Instituts für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg im Auftrag des Umweltbundesamtes 410 Gramm CO2. Dort – und nicht nur dort – herrscht Einsparpotenzial.
Wichtig ist, so die Erkenntnis beim 1912 gegründeten Familienunternehmen, bei der Schokoladenproduktion an jeder möglichen Stelle Energie zu sparen. Bei Ritter Sport begann das Thema Nachhaltigkeit schon mit der Reaktorkatastrophe in der Ukraine 1986. Nach dem Tschernobyl-GAU fand Mehrheitsgesellschafter Alfred Ritter keine unverstrahlten Haselnüsse mehr, setzte auf eigene Plantagen und dachte um. Inzwischen betreibt das Unternehmen auch eigenen Kakaoanbau in Nicaragua.
Seit 2019 sei die Produktion hierzulande selbst klimaneutral gewesen, „seit 2020 können wir uns bilanziell als klimaneutrales Unternehmen gemäß dem GHG Protocol bezeichnen“, erklärt Asmus Wolff, der in der Geschäftsführung für die Lieferkette und die Energie zuständig ist. Die Kompensation der nicht reduzierbaren Emissionen erfolge über Gold Standard Zertifikate.
Der nächste Schritt soll die vollständige Klimaneutralität sein, die mit den Rohstofflieferanten entlang der gesamten Lieferkette erarbeitet werde. Das jüngste Dekarbonisierungsziel: 42 Prozent Emissionsreduktion bis 2030 gemäß der Science Based Targets Initiative, die die Ziele des Unternehmens validiert habe. Das Ziel: eine Energieeinsparung von 1,5 Prozent pro Jahr gegenüber dem Vorjahr. Der erste Schritt, um das zu schaffen: Messungen.
Überwachung der Produktion sollte längst Standard sein – ist es aber nicht
„Bei unseren Werken kommen Tausende Messpunkte zusammen“, sagt Asmus Wolff. Die Daten der Messpunkte würden in zentralen Systemen zusammengeführt. „Dann wird neben der eigenen Intelligenz inzwischen auch die künstliche eingesetzt“, sagt Wolff. So bekomme man heute sofort heraus, an welchen Stellen Energie verschwendet werde.
Durch Sensoren messe man zum Beispiel kontinuierlich Vibrationen, Wärmeentwicklung und Geräuschentwicklung der Anlagen. Dadurch lasse sich prognostizieren, an welcher Stelle zukünftig Probleme entstehen könnten. So könne man „proaktiv eingreifen“, ehe Verschwendung entsteht.
Bei Ritter Sport gibt es darüber hinaus ein kleines Team als Teil des Energie- und Gebäudemanagements, dessen Aufgabe es ist, Energieräuber zu identifizieren. Jede Woche verzeichne das Team neue Erfolge, sagt Wolff.
Dietmar Gründig leitet bei der Deutschen Energie-Agentur Dena den Bereich Industrie, Mobilität und Energieeffizienz. Er sagt: Ein Messaufwand wie bei Ritter Sport sollte in Unternehmen Standard sein – doch das sei er vielfach noch nicht. Immerhin aber sei man auf dem richtigen Weg: Durch digitale Messsysteme würden bereits erhebliche Effizienzpotenziale gehoben, sagt der Experte. Und das „mithilfe vieler kleiner Maßnahmen, teilweise auch mit niedrigen Investitionen.“
Bei Ritter Sport sind wie in vielen Produktionsbetrieben die Fabriken über Jahrzehnte entstanden: Es gibt Maschinen, die seien 1950 angeschafft worden, erklärt Asmus Wolff, genauso aber auch solche aus den 2020er Jahren. Durch moderne Technik, aber auch durch neues Know-how kann das Unternehmen auf Basis der Messgrundlage tätig werden. „Wir verstehen heute noch besser, wie man die Schokolade perfekt herstellt“, sagt der Manager. „Zum Beispiel wie man die Rührparameter optimieren kann, ohne dabei interne Qualitätsanforderungen zu gefährden.“
In der Geschäftsführung des Schokoladenherstellers ist der Manager für die Lieferketten und Energiethemen zuständig.
(Foto: Johannes Wosilat/ Ritter Sport)
Heißt konkret: Für jede der sehr unterschiedlichen Maschinen in den unterschiedlichen Teilen der Produktion gibt es einen optimalen Rhythmus zum Rühren. Um überall die gleiche Qualitätsstufe zu erreichen, müsse man auf Basis der Messergebnisse sehr unterschiedliche Rührintervalle einstellen.
76 Prozent weniger Strom beim Rühren
Das hat man bei Ritter Sport getan – und es hat sich gelohnt. Rund 140 Behälter konnten so optimiert werden, jede Maschine hat nun die jeweils optimalen Rührintervalle für die Schokoladen- und Füllmassen. Das Ergebnis: 76 Prozent weniger Strom wird jetzt für das Rühren benötigt. Das entspricht mehr als 900.000 Kilowattstunden pro Jahr. Entscheidend ist dabei der Aufwand, mit dem die Rohmasse erwärmt wird.
Wenn die Kakaomasse und -butter in den Werken ankommt, werden die Rohstoffe zunächst mit Zucker und bei Bedarf mit Milchpulver vermischt. Walzen sorgen dafür, dass ihre Konsistenz feiner wird. Dafür brauchen die Maschinen des Schokoladenherstellers zunächst 50 Grad Temperatur.
Wenn die Schokolade den Produktionsprozess durchläuft, muss sie vergleichsweise flüssig sein, was wieder Wärme erfordert. In den Conchen, also Maschinen, die sich bewegen und gleichzeitig rühren, bekommt die Schokolade ihre Cremigkeit. Dafür sind 60 Grad Arbeitstemperatur notwendig. Um die Schokolade schließlich in ihre endgültige Form zu bringen, muss sie gekühlt werden – bei gefüllten Schokoladen muss diese Kühlung sogar ein weiteres Mal erfolgen, bevor die Füllung hineinkommt. Die Herausforderung: bei all diesen Prozessen so wenig Energie wie möglich fürs Rühren, Erwärmen und Kühlen zu verbrauchen.
Die Energie selbst kommt bei Ritter Sport aus regenerativen Quellen. Seit 2002 produziert man ausschließlich mit Ökostrom. Es gibt Photovoltaikanlagen auf dem Dach des Lagerhauses und vor 15 Jahren wurde eine Kraft-Wärme-Kopplung eingebaut, über die man gleichzeitig Energie und Wärme gewinnen kann. Auch über ein Blockheizkraftwerk verfügt das Unternehmen. Es soll bis zum Jahr 2025 heruntergefahren werden.
Wärme und Strom sollen dann durch mehrere Wärmepumpen bereitgestellt werden, die wiederum von eigenen Solar- und Windkraftanlagen mit Strom versorgt werden. Ein Teil der elektrischen Energie könnte dann 3,5 Teile Wärme oder Kühle erzeugen, sodass der Gesamtenergiebedarf der Produktion dramatisch sinken würde. Das sei ein riesiger Vorteil der Wärmepumpentechnologie, sagt Asmus Wolff.
Die Lkw-Flotte wurde elektrisch
Der größte Energieverlustbringer bei Ritter Sport aber ist die Druckluft. Sie wird über zahllose Rohre durch das gesamte Werk geführt. „Da gibt es Verluste über Reibung oder Undichtigkeiten“, sagt Wolff. „Anders als beim Wasser sieht man es nicht.“ Die meisten Unternehmen hätten hier „ein Thema“. Dabei sei die Druckluft ein wichtiger Hebel, sagt Dietmar Gründig von der Dena: Maßnahmen an der Druckluft seien hocheffizient, da sie ein wertvoller und teurer Energieträger sei.
Serie: So spart Deutschland
Neben dem Energiesparen in der Produktion hat Ritter Sport zu Jahresbeginn die eigene Lkw-Flotte für den Warenverkehr zwischen Werken und Lagern auf Elektrofahrzeuge umgestellt. „Dadurch sparen wir bis zu 500 Tonnen CO2“, so Asmus Wolff.
Bei all den Maßnahmen überrascht es, dass der CO2-Abdruck des Familienunternehmens von 2021 auf 2022 größer geworden ist. Grund ist laut Wolff, dass seit 2022 das Milchpulver bei der Messung des CO2-Abdrucks höher bewertet werde als zuvor. Das verändere die Bilanzen, ohne dass das Unternehmen mehr CO2 ausgestoßen hätte, sagt Wolff. „Für mich ist das Wichtigste, was wir wirklich in der Realität verbessert haben.“
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