München, Düsseldorf In Fabriken sind fest installierte Maschinen heute weitestgehend digital miteinander vernetzt. „Ganz anders sieht das bei beweglichen Assets wie Robotern, Werkzeugen und Behältern bis hin zu Komponenten aus“, sagt Oliver Trinchera, Gründer des Automatisierungsspezialisten Kinexon. Solche Teile machten 99 Prozent der Dinge in der Fabrik aus.
Hier sei der Bedarf, weiter zu automatisieren und die Prozesse zu optimieren, noch groß, auch aufgrund von Fachkräftemangel und Drang zu mehr Nachhaltigkeit, sagt Trinchera. Kinexon hat für diese beweglichen Dinge in der Produktion eine Art Betriebssystem entwickelt. In den Fabriken von BMW und bei mehr als 100 weiteren Kunden wird es bereits eingesetzt. Nun wollen das Start-up und SAP dieses in einer weitreichenden Kooperation gemeinsam groß ausrollen.
Die festen Maschinen sind in der Regel an ein Programm angeschlossen, das die Fertigung vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt steuert und überwacht. Im Fachjargon ist vom Manufacturing Execution System (MES) die Rede. Das Äquivalent für die beweglichen Dinge von Kinexon soll nun in die SAP-Welt eingebunden und mit dem Softwarekonzern auch vertrieben werden.
Der Materialfluss wird im digitalen Zwilling simuliert
„SAP orchestriert die Geschäftsprozesse, wir den Betrieb in den Fabriken“, sagt Kinexon-Gründer Trinchera. Sein Unternehmen verspricht sich von der Rolle als bevorzugter Partner zusätzliche zweistellige Millionenumsätze.
Mithilfe des Betriebssystems können sogenannte digitale Zwillinge generiert werden. Der Ablauf in der Fabrik wird also am Computer simuliert. Dadurch kann zum Beispiel analysiert werden, wie stark ein Transportgerät ausgelastet ist und wie gut die Materialflüsse in der Produktion funktionieren.
„Wir ermöglichen zudem die papierlose Fertigung“, sagt Trinchera. Bislang müsse zum Beispiel der Eingang von Transportbehältern oft noch tausendmal am Tag von den Beschäftigten per Hand in ein SAP-System eingetragen werden. „Das verbuchen wir dann voll automatisiert.“
„SAP orchestriert die Geschäftsprozesse, wir den Betrieb in den Fabriken.“
(Foto: Kinexon)
Das Bündnis ist ein Beispiel dafür, wie Partnerschaften bei der Digitalisierung und Automatisierung der Industrie immer wichtiger werden. Auch große Anbieter konnten keine geschlossenen Betriebssysteme durchsetzen, die sie allein kontrollieren, und setzen daher nun verstärkt auf Kooperationen und offene Schnittstellen.
Die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie Kinexon hat für SAP in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Der Softwarehersteller habe sich für Partner geöffnet, um ein Ökosystem aufzubauen, sagte Produktvorstand Thomas Saueressig dem Handelsblatt. „Wir adressieren so mehr Branchen – unser Portfolio ist breiter und tiefer als je zu zuvor.“
Der Dax-Konzern entwickelt Standardsoftware wie S/4 Hana Cloud für Geschäftsprozesse oder die Digital Manufacturing Cloud für die Fertigung. Partner, oft aus der Start-up-Welt wie Kinexon, stellen über Schnittstellen Spezialanwendungen bereit.
BMW und die Deutsche Telekom sind strategische Partner
Das Ziel: Wenn Partner Spezialprogramme entwickeln, kann der Softwarehersteller die Kapazitäten besser fokussieren. „Was für uns als Firma wichtig ist: dass wir bei strategischen Themen die Spinne im Netz sind“, sagte SAP-Vorstand Saueressig. Der Softwarehersteller soll im Mittelpunkt des Ökosystems stehen und die Innovationen vorantreiben.
Das Münchener Unternehmen Kinexon hat damit für seine Industriesparte einen weiteren namhaften Partner gefunden. Im vergangenen Jahr waren bereits BMW und die Deutsche Telekom als strategische Investoren bei dem Unternehmen eingestiegen.
Kinexon hat zum einen eine Chiptechnologie entwickelt. Mit dieser kann bestimmt werden, wo im Werk sich zum Beispiel ein Gabelstapler befindet, und es können Roboter und fahrerlose Transportfahrzeuge gesteuert werden.
Zudem bietet das Unternehmen ein Cloud-basiertes „Internet der Dinge“-Betriebssystem an. Daran können alle Maschinen und Dinge, die sich bewegen, angeschlossen werden. Die Fertigung kann dann in einem digitalen Zwilling dargestellt und optimiert werden. Damit tritt Kinexon in Teilbereichen gegen Industrieautomatisierer wie Siemens mit seiner Plattform Mindsphere, Bosch IoT oder PTC Thingworx an.
„Unser Portfolio ist breiter und tiefer als je zu zuvor.“
(Foto: SAP)
Bekannt geworden ist Kinexon vor allem mit seinen Sportaktivitäten: Die Chips werden in zahlreichen Mannschaften und Sportarten in Chips und Bälle integriert. Topvereine aus aller Welt analysieren mithilfe der gewonnenen Daten Laufwege und Spielzüge der Spieler und optimieren das Training. Bei der Fußball-WM nutzte die Fifa die Technologie, um den Schiedsrichtern die Entscheidungen zu erleichtern.
Das von Oliver Trinchera und Alexander Hüttenbrink gegründete Kinexon ist eines der hoffnungsvollsten deutschen Start-ups. Bei der letzten Finanzierungsrunde sammelte das Unternehmen 130 Millionen Dollar ein und ist damit erst einmal solide durchfinanziert.
Der Umsatz dürfte laut Branchenschätzungen im vergangenen Jahr bei einem mittleren zweistelligen Millionenbetrag gelegen haben. Wegen der Umstellung auf das in der Softwarebranche inzwischen übliche „Software as a Service“-Modell fiel er nicht höher aus. Dabei werden einmalige Lizenzverkäufe durch regelmäßig anfallende Gebühren ersetzt.
Etwa zwei Drittel der Umsätze entfallen auf das Industriegeschäft. Die Wachstumschancen sind hier groß. Angesichts der gestörten Lieferketten während der Coronapandemie und des Ukrainekriegs holen viele Unternehmen die Fertigung wieder näher an die Heimat zurück. Dies ist aber aus Kostengründen und wegen des Arbeitskräftemangels nur mit einem höheren Grad an Automatisierung möglich. „Diese ist ein Muss, wenn man morgen noch wettbewerbsfähig sein will“, sagt Trinchera.
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