Frankfurt, Düsseldorf Mit einer gewaltigen Abschreibung von insgesamt 7,3 Milliarden Euro hat der BASF-Konzern zum Jahresende das Russland-Engagement seiner Tochter Wintershall Dea aus seiner Bilanz gestrichen. Der Chemieriese räumt mit der am Dienstagabend veröffentlichten Wertkorrektur offiziell ein, dass die Aktivitäten in dem Land auf absehbare Zeit weder Erträge für Wintershall generieren dürften noch über einen Verkauf verwertbar sein werden.
Investoren haben eine solche Entwicklung bereits seit Monaten unterstellt, was zur schwachen Performance der BASF-Aktie im vergangenen Jahr beitrug. Der nun verkündete Russlandausstieg weckt aber die Hoffnung, dass die seit Langem geplante Trennung von Wintershall Dea näher rückt. Die BASF-Aktie legte am Mittwochvormittag leicht zu.
Optimistisch äußerte sich auch Wintershall-Chef Mario Mehren. „Natürlich waren die Aktivitäten in Russland zuletzt eine Belastung. Der Rückzug hilft uns jetzt, börsenfähiger zu werden“, sagte er dem Handelsblatt am Mittwoch.
Wintershall verliere mit dem Rückzug aus Russland zwar die Hälfte seiner Produktion und Reserven sowie etwa 30 bis 40 Prozent des Cashflows. Das Unternehmen sei aber immer noch groß genug und habe eine klare Strategie, in der Exploration und Produktion nun eben außerhalb Russlands zu wachsen.
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Mehren verweist darauf, dass zuletzt auch deutlich kleinere Unternehmen erfolgreich an die Börse gegangen seien. Zum konkreten Timing des Börsengangs wollte er sich aber nicht äußern: „Das ist Sache der Gesellschafter.“
Analysten bezweifeln, das die bilanzielle Bereinigung zu einem schnellen Wintershall-Börsengang (IPO) führen wird. Chemieexperte Markus Mayer von der Baader Bank geht davon aus, dass ein solcher Schritt frühestens im Jahr 2024 möglich sein wird. Das Umfeld sei sowohl für einen Verkauf wie auch einen IPO auf absehbare Zeit zu unsicher.
Ähnlich klingen die Einschätzungen von Finanzexperten. Mit dem Rückzug aus Russland und der Abschreibung seien zwar einige Unwägbarkeiten mit Blick auf das Engagement in Sibirien beseitigt. Aber schnell werde das trotzdem nichts mit einem Börsengang, sagte ein Banker, der sich mit einem möglichen Wintershall-IPO bereits befasste.
Denn auch wegen seiner Größe sei der Deal nicht so einfach. Für einen Börsengang wie von Wintershall brauche es einen guten Markt, in dem zuvor bereits einige Platzierungen mit stabiler Performance gelungen seien. Wintershall Dea entstand 2019 aus dem Zusammenschluss der BASF-Tochter Wintershall mit Dea. BASF hält aktuell noch 72,7 Prozent an Deutschlands größtem Öl- und Gasförderer. Der Rest liegt bei der Investmentgruppe Letter One, hinter der der russische Oligarch Michail Fridman steht.
Die Aufgabe des Russlandgeschäfts hat den möglichen Erlös aus einem Verkauf der Wintershall-Beteiligung drastisch reduziert. Analyst Mayer schätzt, dass der Anteil der BASF an dem Öl- und Gasproduzenten vor dem Ukrainekrieg noch einen Wert von 15 bis 18 Milliarden Euro repräsentierte. Aktuell sieht er ihn nur noch bei sechs bis acht Milliarden Euro.
Wintershall: Lücke in der Finanzstrategie von BASF durch Russland-Rückzug
Der operative Gewinn der BASF-Gruppe ist davon zwar nicht berührt. Der Wertverlust bei Wintershall und die Verzögerung beim Börsengang hinterlassen jedoch eine schmerzhafte Lücke in der Finanzstrategie des Chemiekonzerns.
Die Erlöse aus einem Verkauf wollte der Konzern für seine ambitionierten Ausbaupläne nutzen, etwa in China, sowie für die Umstellung auf klimaneutrale Produktionsverfahren. „Diese Ausgaben wird BASF nun mehr aus dem Cashflow finanzieren müssen“, erwartet Mayer.
In die Anlage nahe der südchinesischen Stadt Zhanjiang investiert der Konzern bis zu zehn Milliarden Euro.
(Foto: IMAGO/Xinhua)
Was die operative Ertragsentwicklung angeht, spielt Wintershall für BASF schon seit einigen Jahren praktisch keine Rolle mehr. Denn die Beteiligung wird seit der Fusion mit Dea nur noch mit ihrem Eigenkapitalanteil bilanziert. Das anteilige Wintershall-Ergebnis ist daher nicht mehr in dem von Analysten und Investoren stark beachteten Betriebsgewinn des BASF-Konzerns enthalten, sondern nur noch im Beteiligungsergebnis.
Bei der Umstellung der Bilanzierung 2019 hatte BASF den Wintershall-Anteil im Zuge einer Neubewertung noch kräftig hochgeschrieben, auf gut 14 Milliarden Euro. Das führte damals zu einem bilanziellen, aber nicht cash-wirksamen Sonderertrag von mehr als fünf Milliarden Euro. Nach den Russlandabschreibungen dürfte die Beteiligung nur noch mit etwa fünf Milliarden Euro in den Büchern stehen.
Einen gewissen Ausgleich kann BASF durch den sehr hohen Cashflow verbuchen, den Wintershall Dea aktuell außerhalb Russlands erzielt. Das Unternehmen fördert Öl und Gas unter anderem auch in Nordafrika, Norwegen und Deutschland. Für die ersten drei Quartale 2022 hatte das Kasseler Unternehmen immerhin schon einen Free-Cashflow von rund 3,6 Milliarden Euro ausgewiesen, der für Ausschüttungen an die Anteilseigner zur Verfügung steht.
Chemie-Erträge von BASF unter Druck
Gleichzeitig dürfte im vergangenen Jahr auch das Chemiegeschäft der BASF einen hohen Cashflow generiert haben, insbesondere auch durch den Abbau von Vorratsbeständen. Operativ dagegen hat sich die Lage für den Konzern klar verschlechtert.
Der am Dienstagabend vorab veröffentlichte operative Gewinn (bereinigtes Ebit) der BASF-Gruppe lag 2022 mit 6,88 Milliarden Euro um elf Prozent unter dem Vorjahreswert und auch leicht unter den Analystenschätzungen.
Der reguläre Betriebsgewinn sank um rund 15 Prozent auf 6,5 Milliarden Euro, bedingt laut BASF auch durch eine Abschreibung auf eine Chemieanlage. Dabei dürfte es sich um die Ammoniakanlage in Ludwigshafen handeln, die der Konzern aufgrund hoher Gaspreise heruntergefahren hat.
Im laufenden Jahr dürfte das Geschäft für den Chemieriesen aufgrund der hohen Energiepreise und einer schwächelnden Konjunktur noch deutlich schwieriger werden. Bereits im Oktober hatte der Konzern vor diesem Hintergrund ein Kostensenkungsprogramm im Volumen von 500 Millionen Euro angekündigt.
Wintershall sei letztlich nur eine Baustelle von BASF, warnt Chemieexperte Mayer. „Viele Investoren blicken auf die wachsende Abhängigkeit des Konzerns von China und die damit verbundenen wirtschaftlichen und politischen Risiken.“
Geschäft mit Basisprodukten von BASF unter Druck
Operativ dürfte im laufenden Jahr vor allem das Geschäft mit Basisprodukten (Sparte Chemicals) und Kunststoffen (Materials) unter Druck stehen. Experten gehen davon aus, dass sich in diesen Segmenten die operativen Erträge in etwa halbieren. Mayer schließt vor diesem Hintergrund nicht aus, dass angesichts der aktuell schwachen Nachfrage weitere Abschreibungen nötig werden könnten.
Umso stärker wird es für BASF daher darauf ankommen, die Erträge im umfangreichen Geschäft mit höher veredelten Chemieprodukten wie Pflanzenschutzmittel, Farben und Spezialchemikalien zu stabilisieren oder zu verbessern.
Dass dies nicht leicht sein wird, zeigt die offenbar enttäuschende Entwicklung im Segment Nutrition & Care, in dem BASF das Geschäft mit Produkten für die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie gebündelt hat. Hier lag das bereinigte Ergebnis laut Vorabmeldung unter den Analystenschätzungen.
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