Düsseldorf. „Wir werden uns nicht ergeben und wir werden nicht verlieren. Wir werden bis zum Ende kämpfen, zur See und in der Luft. Wir werden weiter um unser Land kämpfen, koste es was es wolle. Wir werden in den Wäldern kämpfen und in den Feldern, an den Küsten, in den Städten und Dörfern, in den Straßen und auf den Hügeln.“ Mit diesen Worten warb der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski heute vor dem Unterhaus des britischen Parlaments für sein Land.
Und die Geschehnisse dieses 13. Kriegstags machen klar: Selenski braucht weiter jede Unterstützung. Denn trotz einer kaum noch überblickbaren Zahl an diplomatischen Aktivitäten – heute versuchten etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz vergeblich Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zum mäßigenden Einfluss auf Russland zu überreden – lässt die russische Invasion nichts von ihrer Gewalt nach.
Selenski, der per Video zugeschaltet wurde, sagte den Abgeordneten, sein Land werde die russische Invasion bis zum Ende in Städten, auf Feldern und an Flussufern der Ukraine bekämpfen.
„Wir werden nicht aufgeben und wir werden nicht verlieren“, sagte er in seiner Rede, die an eine Ansprache des britischen Premierministers während des Zweiten Weltkriegs, Winston Churchill, erinnerte, die dieser damals im britischen Unterhaus gehalten hatte.
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Der ukrainische Präsident rief Großbritannien auf, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen und es als „terroristisches Land“ einzustufen. Selenskyj warfare der erste ausländische Staatschef, dem es gestattet wurde, im Home of Commons zu sprechen.
Russische Einheiten bei Mariupol auf dem Vormarsch
In der umkämpften ukrainischen Hafenstadt Mariupol sind prorussische Einheiten nach Angaben aus Moskau weiter auf dem Vormarsch. Kämpfer der selbst ernannten Volksrepublik Donezk seien seit dem Ende einer Waffenruhe bereits knapp einen Kilometer weit vorgedrungen, teilte das russische Verteidigungsministerium am Dienstag mit. Mariupol am Asowschen Meer wird seit Tagen belagert, die Lage in der Stadt gilt als katastrophal. Mehrere Evakuierungsversuche waren gescheitert. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Auch an anderen Frontabschnitten in der Ostukraine erzielten Separatisten und russische Einheiten nach eigenen Angaben Erfolge. Der Chef der von Russland als unabhängig anerkannten „Volksrepublik“ Luhansk, Leonid Passetschnik, sagte, die Stadt Popasna sei erobert und ukrainische Kräfte seien eingekesselt worden.
Erstmals räumten die Separatisten eigene Verluste ein. Seit Beginn der „Spezialoperation“, wie Russland den Krieg in der Ukraine nennt, seien 47 Kämpfer der „Volksrepublik Donezk“ getötet und 179 verletzt worden, sagte der Sprecher der prorussischen Kräfte im Gebiet Donezk, Eduard Bassurin, örtlichen Medien zufolge.
Das russische Verteidigungsministerium machte zu eigenen Verlusten erneut keine neuen Angaben. Zuletzt wurde die Zahl von quick 500 getöteten Soldaten genannt. Bisher seien 2581 militärische Ziele zerstört worden, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. Darunter seien zahlreiche Raketenabwehrsysteme, Kontrollposten und Radarstationen, Hunderte Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie 84 Kampfdrohnen.
Der frustrierte Herr Putin
Auch wenn russische Kräfte immer wieder Vorstöße melden, scheint klar: Der Angriff auf das Nachbarland läuft für den russischen Staatschef nicht wie geplant.
Der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, sagte am Dienstag vor dem US-Kongress: „Ich glaube, Putin ist im Second wütend und frustriert. Er wird wahrscheinlich noch einen draufsetzen und versuchen, das ukrainische Militär ohne Rücksicht auf zivile Opfer zu zermalmen.“ Die nächsten paar Wochen würden vermutlich „hässlich“, und die Kämpfe in den Städten noch schlimmer als bisher.
Selenski erhebt Vorwürfe gegen Russland bei Fluchtkorridoren
Eine nachhaltige Lösung für Putin sei nicht in Sicht, sagte der CIA-Chef. Es sei nicht absehbar, wie der Kremlchef in der Ukraine ein Marionettenregime oder eine pro-russische Führung aufrechterhalten könnte, die er gegen den massiven Widerstand der ukrainischen Bevölkerung zu installieren versuche. Gerade Putins Aggression bei der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014 habe in der Ukraine jenes starke Gefühl nationaler Selbstständigkeit und Souveränität geschaffen, dem er heute gegenüberstehe.
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Für Putin sei der Angriff auf die Ukraine eine Angelegenheit von tiefer persönlicher Überzeugung. „Seit vielen Jahren schwelt in ihm eine explosive Mischung aus Gram und Ambitionen“, sagte Burns. „Er hat ein System geschaffen, in dem sein eigener Beraterkreis immer enger wird. Covid hat diesen Kreis noch enger gemacht. Und es ist ein System, in dem es sich nicht als karrierefördernd erweist, wenn jemand sein Urteil in Frage stellt oder herausfordert.“
Bei seiner Entscheidung für einen Angriff auf die Ukraine habe sich der russische Präsident komplett verkalkuliert, argumentierte der Geheimdienst-Chef. Putin habe gedacht, die Ukraine sei schwach und leicht einzuschüchtern. Zum anderen habe Putin wohl vermutet, die Europäer, insbesondere die Franzosen und die Deutschen, seien durch die Wahlen in Frankreich und den Führungswechsel in Deutschland abgelenkt und risikoscheu. „Drittens glaubte er, seine Wirtschaft sanktionssicher gemacht zu haben.“ Außerdem sei der Kremlchef zuversichtlich gewesen, dass er sein Militär modernisiert habe und es in der Lage sei, einen schnellen Sieg zu minimalen Kosten zu erringen. All diese Einschätzungen hätten sich als falsch erwiesen.
Die Sanktionen des US-Präsidenten
Trotz dieser düsteren Prognose versuchen die USA alles, Putin von seinen Angriffen auf die Ukraine abzubringen. US-Präsident Joe Biden erließ am Dienstag ein Importverbot für Öl aus Russland. „Das bedeutet, dass russisches Öl in US-Häfen nicht mehr angenommen wird und die Amerikaner der Kriegsmaschinerie Putins einen weiteren schweren Schlag versetzen werden“, sagte Biden mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Großbritannien will seine Öl-Importe aus Russland bis Ende 2022 senken und dann kein Öl mehr von dort importieren.
Biden sagte bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt im Weißen Haus, das Importverbot sei mit dem Kongress und mit europäischen Verbündeten abgestimmt. Man wisse aber, „dass viele unserer europäischen Verbündeten und Accomplice möglicherweise nicht in der Lage sind, sich uns anzuschließen.“ Er fügte hinzu: „Wir arbeiten eng mit Europa und unseren Partnern zusammen, um eine langfristige Strategie zu entwickeln, die auch ihre Abhängigkeit von russischer Energie verringert.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte am Dienstag im Falle eines westlichen Embargos russischer Energielieferungen vor schweren Schäden für Deutschland. Der Grünen-Politiker sagte am Dienstag nach Beratungen der Energieminister von Bund und Ländern, Deutschland habe sich in den vergangenen 20 Jahren in eine immer größere Abhängigkeit von fossilen Energieimporten aus Russland hineinmanövriert. „Das ist kein guter Zustand.“
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Europäische Staaten wie Deutschland sind erheblich stärker auf russische Energieimporte angewiesen als die USA. Im vergangenen Jahr warfare Russland nach Angaben der US-Energieinformationsbehörde (EIA) das drittwichtigste Land für Einfuhren von Rohöl und Erdölprodukte für die USA – hinter Kanada und Mexiko. Die Einfuhren aus Russland mit einem Volumen von 672 000 Barrel (je 159 Liter) professional Tag machten knapp acht Prozent aller US-Importe in dieser Kategorie aus. Der Anteil russischer Importe an den Rohöleinfuhren nach Deutschland liegt nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums bei rund 35 Prozent.
Europa will unabhängiger werden
Als Konsequenz aus Russlands Krieg gegen die Ukraine muss die Europäische Union nach Ansicht von EU-Ratschef Charles Michel deswegen dringend eigenständiger werden. Beim informellen EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Versailles bei Paris solle unter anderem darüber beraten werden, wie Abhängigkeiten insbesondere von Fuel, Öl und Kohle aus Russland reduziert werden könnten, schreibt der Belgier am Dienstag in seiner Einladung für das Treffen. Zudem solle es darum gehen, die Verteidigungsfähigkeiten der EU auszubauen und eine robustere wirtschaftliche Grundlage zu schaffen.
„Angesichts der jüngsten Ereignisse ist es dringender denn je, dass wir entscheidende Schritte zum Aufbau unserer Souveränität, zur Verringerung unserer Abhängigkeiten und zur Entwicklung eines neuen Wachstums- und Investitionsmodells unternehmen“, schreibt Michel.
Grundlage der Diskussion dürfte unter anderem ein Plan der EU-Kommission vom Dienstag mit Maßnahmen sein, um russische Gasimporte innerhalb von einem Jahr um zwei Drittel zu reduzieren.
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Das Importverbot der USA erstreckt sich nach Angaben des Weißen Hauses auf Rohöl und bestimmte Erdölprodukte sowie auf Flüssiggas und Kohle aus Russland. Ihr Fuel produzieren die USA aber weitgehend selbst, bei den Importen spielt Russland keine Rolle. Kohle wird aus Russland importiert, aber auch das nur in geringen Mengen.
Wie wichtig der Druck auf Russland ist, zeigt vor allem das Leid der Menschen in der Ukraine.
Mehr als zwei Millionen Menschen sind seit Beginn des russischen Einmarschs aus der Ukraine geflohen. Die meisten Menschen seien nach Polen sowie nach Ungarn, Rumänien, Moldau und in die Slowakei gegangen, sagte eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR).
Nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) waren darunter intestine 100.000 Menschen aus Drittstaaten. Die Ukraine zählte vor Beginn des Kriegs mehr als 44 Millionen Einwohner.
Düsterer Vorbote
Der amerikanische Globalisierungsapostel Thomas Friedman („Die Welt ist flach“) sagte eins: Zwei Länder, in denen die Burger-Kette McDonald’s vertreten sei, würden keinen Krieg gegeneinander führen. Damit wollte er darauf hinaus, dass wirtschaftlich miteinander verflochtene Länder zu viele gemeinsame Interessen hätten, um einen Krieg anzufangen.
So gesehen ist auch das eine schlechte Nachricht von diesem Dienstag: Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine schließt die Quick-Meals-Kette McDonald’s ihre 850 Filialen in Russland bis auf Weiteres. Alle Geschäfte dort würden vorübergehend eingestellt, die Gehälter der rund 62 000 örtlichen Mitarbeiter aber weiter gezahlt, erklärte das Unternehmen am Dienstag.
McDonald’s sei in dem Land seit mehr als 30 Jahren vertreten und habe dort inzwischen täglich „Millionen russische Kunden“. Aufgrund der Werte des Unternehmens könne man jedoch „das unnötige menschliche Leid, das sich in der Ukraine zuträgt, nicht ignorieren“, erklärte McDonald’s-Chef Chris Kempczinski in einer vom Unternehmen veröffentlichten E-Mail an die Mitarbeiter. Auch alle Angestellten in der Ukraine würden voll weiter bezahlt, betonte er.
Mit Agenturmaterial.
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