Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Es gibt einen neuen Filter auf Tiktok, er heißt „Bold Glamour“. Man muss vielleicht nicht mehr erklären, was Tiktok ist. Aber man muss vielleicht erst erklären, was ein Filter im Sinne der sozialen Medien ist. Als Filter wird sonst etwas bezeichnet, was Schadstoffe, grobe Partikel etwa, zurückhält. Bei Social Media ist dabei das eigene Gesicht gemeint.
Es werden gewissermaßen die nicht so schönen Aspekte des Antlitzes herausgefiltert. Und es bleibt, was man auf Social Media so als ein schönes Gesicht empfindet. Angefangen hat es mit digitalen Gags, man konnte sich zum Beispiel eine Schweinsnase ins Gesicht zaubern. Mittlerweile werden eher normale Nasen aus dem Gesicht herausgezaubert.
Es gibt Filter, die das eigene Aussehen funkeln lassen, als wäre man die Goldmarie, es gibt Filter, mit denen man sich in eine Manga-Figur verwandeln kann, es gibt Filter, die Hautunreinheiten beseitigen, rote Lippen schminken oder Sommersprossen verleihen. Und neuerdings gibt es auch Filter, die auf das eigene Gesicht ein ganz anderes Gesicht malen.
Von Tiktok gibt es auch den Teenage-Filter, der aus dem eigenen Gesicht einfach mal 30 Jahre herausradiert. Man kann also als 50-Jähriger heute im Internet in Echtzeit so aussehen, als habe man gerade erst das Abi gemacht.
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Und nun also„ Bold Glamour“. Der wendet sich an jene, die gerne ein Gesicht haben würden, das auf dem roten Teppich nicht groß negativ auffiele. Mit „Bold Glamour“ wird nicht nur digitales Make-up auf die Haut gepinselt und Mascara auf die Wimpern getuscht, es wird auch gratis eine Gesichts-OP durchgeführt. Man bekommt eine schmalere Nase, vollere Lippen, eine markantere Stirn und eine definierte Kieferpartie.
„Bold Glamour“ ist also eine optimierte Version des eigenen Gesichts, die in gewisser Weise zeigt, was gesichtsmäßig alles möglich gewesen wäre, hätte man es genetisch ein bisschen besser getroffen. Sogleich wird über diese Art des digitalen Make-overs gestritten. Manche kritisieren, dass das digitale Gesicht zu Depressionen führen kann, weil es jungen Menschen das Gefühl gibt, nicht schön genug zu sein.
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Auch wird angemahnt, dass die Tiktok-Entwickler damit westliche Schönheitsideale zum Standard machen. Das Fitness-Model Pamela Reif hat geschimpft, sie sehe mit dem neuen Filter wie eine „Transe“ aus, was ihr keinen roten Teppich, sondern scharfe Kritik beschert hat.
Immerhin lässt sich durch einen Filter viel Geld sparen, denn man kann ganz ohne chirurgische Eingriffe mit seinem Alltagsgesicht vor dem Bildschirm sitzen und der ganzen Welt die beste Version des eigenen Ichs zeigen. Man darf halt nie wieder vor die Tür gehen, aber das hatte man ja vielleicht ohnehin nicht vor.
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