Berlin, Düsseldorf Gespräche in drei Städten, null Ergebnis: Zuerst zwischen den USA und Russland in Genf, dann beim ersten Russland-Nato-Rat seit zweieinhalb Jahren in Brüssel, schließlich mit allen 57 Mitgliedstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien: Nichts davon hat die Ukraine-Krise entschärft. Die Zeichen stehen auf Konfrontation – vielleicht sogar stärker als noch vor der „diplomatischen Woche“.
Russland provoziert weiter, als sei nichts geschehen. Die USA warnen vor dem „Ernstfall“. Der Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, sagte mit Blick auf den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine: „Die Gefahr einer militärischen Invasion ist hoch.“ Der wichtigste Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden forderte Moskau zur Deeskalation und zur Reduzierung der Soldaten in der Area auf.
Russland machte am Freitag das Gegenteil: Präsident Wladimir Putin ließ an der Grenze zur Ukraine erneut Militär-Manöver abhalten. Im Wehrbezirk Ost habe es eine nicht angekündigte Überprüfung der Gefechtsbereitschaft gegeben, teilte das Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Moskau mit.
Es veröffentlichte dazu ein Video, das Kolonnen von Militärfahrzeugen und die Verladung von Panzern auf Eisenbahnwaggons zeigte. Soldaten seien zu entfernten Übungsplätzen gebracht worden. Ein Augenmerk habe zudem auf der Infrastruktur gelegen, „um den Transport von Truppen innerhalb einer bestimmten Zeit zu gewährleisten“, hieß es.
High-Jobs des Tages
Jetzt die besten Jobs finden und
per E-Mail benachrichtigt werden.
Russlands OSZE-Vertreter spricht inzwischen von einem „Second der Wahrheit“ in der nächsten Woche. Bis dahin verlangt Moskau eine schriftliche Antwort auf seine Forderungen nach einem Nato-Beitrittsverbot für die Ukraine, den Rückzug der Allianz aus Osteuropa und den Abzug amerikanischer Atomwaffen.
Und Alexander Lukaschewitsch fügte hinzu: „Russland ist ein friedliebendes Land. Aber wir brauchen keinen Frieden um jeden Preis.“ Die „Kriegsgefahr in Europa ist so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr“, warnte bereits Polens Außenminister Zbigniew Rau, der momentan die OSZE führt.
Russland droht mit Stationierung von Truppen in Lateinamerika
Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, zündelt Moskau jetzt auch im Vorhof der USA: Im Falle eines Scheiterns der Gespräche über verbindliche Sicherheitsgarantien für Russland wurde die Stationierung russischer Truppen auf Kuba und in Venezuela angedroht. „Wenn Russland sich in diese Richtung bewegen würde, würden wir entschlossen handeln“, sagte US-Sicherheitsberater Sullivan dazu. Die USA und ihre Verbündeten seien „auf jede Eventualität vorbereitet“.
Dazu kam in der Nacht zum Freitag ein schwerer Cyberangriff auf die Ukraine: Zahlreiche Webseiten ukrainischer Behörden wurden lahmgelegt oder fremdgesteuert. Auf der Seite des Außenministeriums in Kiew prangte auf ukrainisch, russisch und polnisch unter anderem: „Habt Angst und rechnet mit dem Schlimmsten.“ 2016 hatten russische Hacker Teile der ukrainischen Strom- und Heizwärme-Leitungen außer Gefecht gesetzt.
Die USA warnten Russland indes nochmals davor, in der Ukraine militärisch einzugreifen: „Wir haben Russland sehr deutlich auf die Kosten und Folgen weiterer militärischer Aktionen oder einer Destabilisierung der Ukraine hingewiesen“, betonte Sullivan.
Die US-Regierung warf Moskau zudem vor, mit Sabotageakten „unter falscher Flagge“ in der Ostukraine einen Vorwand für einen Einmarsch vorzubereiten. Nach US-Informationen seien dafür bereits in „urbaner Kriegsführung“ geschulte Agenten aufgestellt worden, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki. Die Informationen deuteten darauf hin, dass diese Agenten beginnen würden, mit Provokationen in staatlichen und sozialen Medien eine Intervention zu rechtfertigen. „In diesen Medienberichten wird auch der Westen für die Eskalation der Spannungen verantwortlich gemacht“, sagte sie. Man habe dieses Vorgehen bereits 2014 bei der Annexion der Krim gesehen.
Sicherheitsberater Sullivan drohte Moskau erneut mit Wirtschafts- und Finanzsanktionen, mit Exportverboten sowie mit einer Aufrüstung der Ukraine, „wenn das russische Militär die ukrainische Grenze überschreitet“. Die russische Landeswährung ist inzwischen trotz des hohen Ölpreises, der ansonsten den Rubel immer antreibt, auf den niedrigsten Stand seit vorigem Sommer gefallen. Die Nervosität bei russischen Banken, denen der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift droht, wächst erheblich.
Russland sieht sich durch die Nato in seiner Sicherheit bedroht, fordert von ihr deshalb ein Ende der Osterweiterung und insbesondere einen Verzicht auf die Aufnahme der Ukraine sowie den Rückzug von Einheiten, die seit 1997 in Osteuropa stationiert wurden. Die Nato- und EU-Mitglieder lehnen das geschlossen ab und betonen, dass jedes Land selbst über seine Mitgliedschaft in Bündnissen entscheide.
Baerbock reist nach Kiew und Moskau
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die in der kommenden Woche nach Kiew und Moskau reist, warb ungeachtet der bislang ausgebliebenen Ergebnisse für eine Fortsetzung der Gespräche mit Russland. „Auch wenn es derzeit keine wirklichen Bewegungen gegeben hat, ist es wichtig, dass man endlich wieder an den Dialogtisch zurückkehrt“, sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag am Rande eines EU-Treffens im französischen Brest. „Das Wichtige ist, dass wir am Tisch sitzen, dass Gespräche jetzt geführt werden. Und zwar – auch wenn es hart ist – mit ganz, ganz viel Geduld und Ausdauer.“
Ob es Kompromisse geben könnte, ist bislang unklar. Zu der Frage, ob aus ihrer Sicht der von Russland geforderte Abzug von US-Atomwaffen aus Ländern wie Deutschland diskutiert werden sollte, wollte sich Baerbock in Brest nicht konkret äußern. „Über Fragen von Abrüstung muss und sollte gesprochen werden. Aber jetzt, wo man sich gerade an den Tisch gesetzt hat, kommentiere ich nicht offen irgendwelche einzelnen Überlegungen“, sagte sie.
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), erklärte gegenüber dem Handelsblatt, dass „die Rückkehr Russlands an den Verhandlungstisch (…) eine Probability für eine Deeskalation der angespannten Lage“ bedeute. Zu lange sei übereinander und nicht miteinander gesprochen worden.
In Brest haben sich die Außenminister der Europäischen Union auf einen Zehn-Punkte-Plan für einen einheitlichen Umgang mit Russland verständigt. Das Konzept sieht vor, angesichts des russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine geschlossen auf eine Mischung aus Abschreckung und Dialog zu setzen.
So sollen zum Beispiel die Vorbereitungen für neue Sanktionen mit Partnern wie den USA fortgesetzt werden. Zugleich wird die Bereitschaft zu vertrauensbildenden Maßnahmen und die Unterstützung von möglichen neuen Absprachen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle betont.
Derweil hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Angaben seines Stabschefs Andrii Jermak einen Dreiergipfel mit den Präsidenten der USA und Russlands vorgeschlagen. Dabei solle über die wachsenden Spannungen um die Ukraine gesprochen werden, sagte Jermak der Nachrichtenagentur Reuters zufolge am Freitag in Kiew.
Der Wunsch nach alter Größe
Der Vorschlag eines Dreiergipfels ohne die Europäer kommt zu einem Zeitpunkt, da sich die Bundesregierung verstärkt um eine Wiederbelebung des sogenannten Normandie-Codecs bemüht. In diesen Runden beraten Vertreter Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrii Melnyk, hatte im Reuters-Interview gefordert, dass die USA zu diesem Format dazustoßen sollten.
Ob Putin am Ende die militärische Eskalation wagt oder doch noch Verhandlungen über eine gegenseitige Verbesserung der Sicherheitslage zulässt, ist offen. Westliche Politiker wollen mit Moskau über neue Rüstungskontrollinitiativen, konkrete Abrüstungsschritte und mehr Transparenz bei Manövern sprechen. Ziel ist, dem Gegenüber Sorgen vor unerwarteten Militäraktionen zu nehmen.
Nur machte Russlands Außenminister Sergej Lawrow deutlich, dass Moskau schriftliche Sicherheitsgarantien über den Rückzug der Nato und nicht endlos über Abrüstungsschritte reden wolle. Am Ende liegt vielleicht die einzige Hoffnung darin, dass es bald zu einem Gipfeltreffen zwischen Wladimir Putin und Joe Biden kommt.
Als Barack Obama Russland bescheinigte, „nur noch Regionalmacht“ zu sein, beleidigte er den Kreml tief, sagt ein einflussreicher russischer Abgeordneter, der sich in der Aufwallung nationalistischer Gefühle in Moskau nicht namentlich zitieren lassen will. Aus diesem Grund zähle für Russland nur die Augenhöhe mit Washington und die Rückkehr zum Standing einer Großmacht.
Mit Agenturmaterial
Mehr: Verhandeln mit dem russischen Agressor: Was will Putin?