Berlin In der Politik wie auch in der Wirtschaft wächst die Sorge, dass es zu weiteren Versorgungsengpässen kommen wird. Grund sind die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die in den kommenden Wochen noch verschärft werden dürften. Entsprechende Erwartungen äußerte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Mittwoch bei einer Videokonferenz mit rund 50 Vertretern der Logistikbranche.
Dabei gibt es Unterschiede bei den Auswirkungen der Sanktionen auf die einzelnen Transportbereiche. Bei dem Treffen erklärte der Minister Teilnehmern zufolge, dass etwa eine EU-weit geltende Regelung angestrebt werde, alle Häfen für russische Schiffe zu sperren.
Derzeit entscheidet jedes Land selbst, ob und wie es die Sanktionslisten interpretiert. Dies führt im Zweifel auch zu Wettbewerbsnachteilen jener Häfen, die die Sanktionen restriktiv handhaben.
Auf Nachfrage erklärte eine Sprecherin Wissings: „Grundsätzlich gilt mit Blick auf weitere Sanktionen: Deutschland steht dazu mit seinem europäischen Associate im engen Austausch.“
In der Runde battle auch die Rede von Reedern, die weiter Lebensmittel und Medikamente nach Russland verschifften. Mancherorts würden sie gestoppt, dann wieder nicht.
Dies gelte nicht nur für deutsche Umschlagsstandorte, sondern auch für vorgelagerte Häfen im Mittelmeer. In der Folge seien etwa Lebensmittel zu lange an Bord und die Ware müsse entsorgt werden.
Lieferketten noch anfälliger geworden
In den deutschen Häfen kommt es indes zu Staus, da selbst Dokumente und Ladungen sicherer Versender nun durch den Zoll überprüft würden, hieß es bei dem Gespräch. Die Häfen liefen derzeit über.
Nach Auffassung des DSLV Bundesverbandes Spedition und Logistik sind die globalen Lieferketten durch den Ukrainekrieg noch anfälliger geworden. So müssten die Speditionshäuser bei Geschäften mit Russland güterbezogene Embargoverstöße ausschließen und die an dem Geschäft Beteiligten anhand der Russlandsanktionslisten überprüfen.
DSLV-Hauptgeschaftsführer Frank Huster berichtet von großen Problemen für die Branche: „Die politische Eskalation führte bereits zu einer gegenseitigen Sperrung europäischer und russischer Häfen für Schiffe des jeweils anderen Wirtschaftraums.“ Im Hamburger Hafen würden Container russischen Ursprungs bereits nicht mehr abgefertigt.
Maritime Lieferketten ließen sich kaum noch planen und würden Verkehr, der jetzt noch über die asiatisch-europäische Seidenstraße mit Eisenbahnen erfolgt, „nicht auffangen können“, warnte Huster. Die Runde beriet entsprechend auch, wie diese momentan per Zug durchgeführten Transporte sichergestellt werden können.
Hoffnung liegt auf China
Dies scheint insofern schwierig zu sein, als dass Russland auch die mögliche Ausweichstrecke für Container aus China mit der Bahn über Kaliningrad und dann per Schiff nach Lübeck oder Hamburg einschränken könne, wie es hieß. Dennoch bestand Hoffnung, dass China seinen Einfluss auf Russland geltend machen werde, um die Transporte zu sichern.
Die Sorge in der Branche ist groß, dass die Kapazitäten für Transporte bald schon nicht mehr ausreichen werden. So fehlen bereits Container für Schiffe und Bahnen.
Darüber hinaus leidet auch der Luftverkehr. Von 20 Prozent weniger Frachtraum battle bei dem Treffen die Rede. Ein Grund sei die geringere Anzahl an Passagierflügen angesichts des gesperrten russischen Luftraums und der entsprechenden Beiladung. Dazu kommen die langen Umwege, die eine geringere Ladungsmenge erfordern, damit die Flugziele ohne Zwischenstopp erreicht werden können.
Da Fluggesellschaften aus der Golfregion, der Türkei sowie aus Japan und Korea noch durch Russland fliegen dürften, entstünden diesen Anbietern zudem ein erheblicher Wettbewerbsvorteil, wie in der Runde angemerkt wurde. Das Nachsehen könnte die Lufthansa haben.
Die Runde battle überzeugt davon, dass sich Transporte angesichts der steigenden Energiepreise und der Umwege weiter verteuern werden. Auch werde die Wirtschaft unter zunehmend gestörten Lieferketten leiden, ebenso unter ausfallenden Rohstoffquellen und gefährdeten ukrainischen Zulieferern wie im Fall der Automobilindustrie.
Noch rollen die Lastwagen. Allerdings kommen viele Fahrer aus Osteuropa, darunter zahlreiche aus der Ukraine.
Allein bei polnischen Transportunternehmen stammt ein Drittel der 103.000 Fahrer aus der Ukraine, ähnlich soll es in Litauen sein. Obendrein gebe es schon einen Fahrermangel von 60.000 bis 80.000 Fahrern, hieß es bei den Teilnehmern.
Hinzu kämen die seit Monaten und nun akut steigenden Spritpreise, weshalb der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung fordert, „Gewerbediesel“ einzuführen. „Es droht eine Insolvenzwelle im deutschen Transportlogistikgewerbe – dann wäre die Versorgung von Bevölkerung und Wirtschaft in Gefahr“, erklärte ein Sprecher.
DSLV-Hauptgeschäftsführer Huster sagte, der europäische Straßengüterverkehrsmarkt sei zwar noch nicht spürbar betroffen. Ob es auch hier zu einer weiteren Verknappung von Laderaum komme, werde von den Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen auf die Güterverkehrsnachfrage und von der Verfügbarkeit osteuropäischer Transport- und Fahrerkapazitäten abhängen.
Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, erklärte am Freitag, es sei mit deutlichen Folgeproblemen im Logistikbereich durch Fahrermangel, verringerten Luftfrachtkapazitäten und weiteren Engpässen bei der Seefracht zu rechnen.
Viele Unternehmen müssten nun zusätzlich auf Lieferanten in der Ukraine und Russland verzichten, sagte Jandura. Betroffen seien beispielweise der Import von Aluminium, Kohle oder Weizen. „Umso wichtiger ist, dass das Bundeswirtschaftsministerium eine Strategie entwickelt, wie der Außenhandel mit anderen Regionen gestärkt werden kann“, forderte Jandura.
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Raimund Klinkner, Präsident des Deutschen Verkehrsforums, bat die Bundesregierung, „für ein einheitliches Vorgehen und die richtigen Rahmenbedingungen zu sorgen, damit die Transportwirtschaft ihren Beitrag zu einem wirksamen Sanktionsregime und einer sicheren Versorgung leisten kann“.
Konkret forderte er unter anderem vereinfachte Regeln im Grenzverkehr sowie Erleichterungen für den Lkw-Verkehr, etwa bei den Lenk- und Ruhezeiten und bei den Sonn- und Feiertagsbeschränkungen.
Entsprechende Gespräche mit den Bundesländern führt das Verkehrsministerium derzeit. Dort hieß es auf Nachfrage: „Die Versorgung in Deutschland ist durch den Ukrainekrieg derzeit nicht gefährdet. Wir beobachten die Lage aber weiter genau, um frühzeitig auf etwaige Entwicklungen reagieren zu können.“
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