Berlin Finanzminister Christian Lindner (FDP) will mit einer Reform der Unternehmensteuern den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Nach langer Vorbereitungszeit ist der Entwurf seines sogenannten „Wachstumschancengesetzes“ fertig. Nach Informationen des Handelsblatts aus Regierungskreisen sieht es 50 steuerpolitische Maßnahmen vor. Das Entlastungsvolumen soll sich auf rund sechs Milliarden Euro jährlich belaufen.
Man wolle mit dem Gesetz „die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken und Spielräume eröffnen für Investitionen und Innovationen“, hieß es im Finanzministerium. Wichtigste Maßnahme ist die Einführung einer Investitionsprämie: Unternehmen bekommen für bestimmte Investitionen in den Klimaschutz eine staatliche Unterstützung. Zudem will Lindner die steuerliche Forschungsförderung ausbauen. Auch die Verrechnung von Verlusten mit künftigen Gewinnen soll großzügiger gestaltet werden.
Der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, hält die Maßnahmen für „grundsätzlich richtig“. Der Ökonom schränkt aber ein: „Die Dimension stimmt hingegen nicht.“ So kritisiert er, dass viele Maßnahmen wie die Investitionsprämie bis 2027 befristet sind. Ifo-Präsident Clemens Fuest meint: „Die Richtung stimmt, aber der Impuls ist nicht sehr groß.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich unzufrieden. „Die Vorschläge des Finanzministers sind ein zarter Anfang für das, was wir brauchen“, sagte er. „Nötig ist ein wirklicher Stimulus für Wachstum, Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland“, sagte Habeck. Wirtschaftsverbände begrüßten Lindners Plan.
Seit Monaten wurde im Bundesfinanzministerium an dem Gesetz gearbeitet. Lindner gab zwar öffentlich immer wieder Hinweise auf die möglichen Maßnahmen, doch beim konkreten Inhalt blieb er vage. Schließlich stritt sich der Finanzminister parallel noch mit seinen Kabinettskollegen über den Bundeshaushalt für das kommende Jahr und forderte Einsparungen. Die Ankündigung größerer Steuersenkungen hätten Grüne und Sozialdemokraten als Provokation empfunden.
Mittlerweile hat das Bundeskabinett den Haushalt beschlossen, in dem auch ein Puffer für mögliche weitere Maßnahmen der Koalition festgelegt wurde. Die Erleichterungen bei den Unternehmensteuern könnten nun dazugehören.
Die angedachten rund sechs Milliarden jährlich für die Maßnahmen werden allerdings wohl nicht schon im kommenden Jahr erreicht, hieß es im Finanzministerium einschränkend. Dies sei eher großzügig gerechnet.
>> Lesen Sie hier: Interview mit Christian Lindner – „Wir können schnell in der zweiten Liga landen“
Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK), Martin Wansleben, spricht von einem „guten Aufschlag“. Das lasse hoffen. „Der Bundesfinanzminister verfolgt die richtigen Ziele: Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen am hiesigen Standort soll gestärkt, die Wachstumschancen sollen erhöht und die Steuerbürokratie vermindert werden“, sagte Wansleben.
„Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ lautet der vollständige Titel des Gesetzes. Den Entwurf wird Lindner nun in die Ressortabstimmung geben. Unter den 50 Maßnahmen befinden sich auch solche, auf die die Wirtschaft schon länger wartet. Das ist im Detail vorgesehen:
Investitionsprämie
Unter dem Schlagwort „Superabschreibung“ wurde im Koalitionsvertrag angekündigt: „Wir wollen eine Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter schaffen.“ Eigentlich sollte sie schon für die Jahre 2022 und 2023 gelten, wurde dann aber von Lindner aufgrund der Wirtschaftslage verschoben.
Es ist nicht die einzige Änderung. Statt einer Abschreibung, bei der Unternehmen Ausgaben steuerlich geltend machen können, gibt es nun eine gewinnunabhängige Prämie. Diese werde 15 Prozent der Investition betragen, maximal 30 Millionen Euro, heißt es in Regierungskreisen. Sie werde im Zeitraum von 2024 bis 2027 gewährt. „Sie soll liquiditätssteigernd ausgezahlt werden und kann damit auch in Verlustfällen wirken“, heißt es.
Anders als ursprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehen, gilt die Prämie nur für Investitionen, welche „die Energie- und Ressourceneffizienz des Unternehmens verbessern“, nicht aber für Projekte zur Digitalisierung.
Dies hatte sich bereits abgezeichnet. Einerseits ist es aus Sicht der Experten im Finanzministerium schwierig, abzugrenzen, was förderfähige Investitionen in Digitalisierung sind. Zudem fürchtete man Probleme mit dem EU-Beihilferecht, das beim Klimaschutz großzügiger ist.
Ökonom Hüther kritisiert die Begrenzung. „Die Einschränkung der Investitionsprämierung auf Klimaneutralität greift zu kurz“, sagte der IW-Chef. Schließlich mache die Digitalisierung den Strukturwandel erst möglich. Auch die Befristung bis 2027 „leuchtet nicht so recht ein“, sagt Hüther.
>> Lesen Sie hier: Bürger mit diesem Einkommen finanzieren den halben Staat
Ökonom Fuest hätte sich ebenfalls mehr gewünscht. Er verweist auf eine Studie des Ifo-Instituts. Danach können verbesserte Abschreibungen, die im ersten Jahr zu einer Entlastung von rund 16 Milliarden führen, die Wirtschaftsentwicklung so stark anschieben, dass sich langfristig sogar Steuermehreinnahmen und eine um fast drei Prozent höhere Wirtschaftsleistung ergeben. „Eine solche Reform hat also Investitionscharakter“, sagt Fuest. „Das jetzt geplante Volumen ist deutlich geringer.“
Lindner hat wohl geahnt, dass es an der geringen Dimension Kritik geben wird. Im Handelsblatt-Interview Anfang Juli verteidigte er sich vorsorglich und kündigte mit Blick auf die Investitionsprämie an: „Selbst wenn wir da kleiner starten, soll sie ausgebaut werden.“
Steuerliche Forschungsförderung
Der frühere Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat 2020 eine steuerliche Forschungsförderung eingeführt – nachdem die Wirtschaft dies über Jahre vergeblich gefordert hatte.
Unternehmen können insbesondere Lohnkosten für Mitarbeiter in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen geltend machen. Bei kleinen Firmen werden auch Kosten für die Auftragsforschung durch externe Anbieter berücksichtigt.
Von Lindners Maßnahmen soll auch die Forschung in Unternehmen profitieren.
(Foto: IMAGO / Shotshop)
Um Missbrauch und Mitnahmeeffekte zu vermeiden, wurde die Forschungsförderung allerdings begrenzt. So konnten zunächst maximal zwei Millionen Euro geltend gemacht werden, später wurde die Bemessungsgrundlage auf vier Millionen Euro erhöht. Die Zulage beträgt 25 Prozent, also maximal eine Million Euro.
Nun plant Lindner eine deutliche Ausweitung: „Wir verbessern die steuerliche Forschungsförderung, verdreifachen die bisherige Bemessungsgrundlage und erweitern die förderfähigen Aufwendungen, um Innovationen zu erleichtern“, heißt es im Finanzministerium.
Verlustverrechnung
Während der Coronakrise hatte die Bundesregierung die Verlustverrechnung ausgeweitet und wollte so die Finanzlage der Unternehmen in der Krise verbessern. Lindner will die großzügigeren Regeln, die eigentlich dieses Jahr auslaufen würden, nun langfristig behalten.
„Wachstumschancen entstehen auch dadurch, dass die Bereitschaft besteht, unternehmerische Risiken einzugehen“, heißt es im Finanzministerium. „Dem wollen wir stärker Rechnung tragen.“ Unternehmen sollen aktuelle Verluste mit Gewinnen nicht nur aus dem Vorjahr verrechnen können, sondern bis zu drei Jahr zurück.
Die Bundesregierung sorgt sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland.
(Foto: imago images/Rupert Oberhäuser)
Dabei wird die Verlustverrechnung auf zehn Millionen Euro beschränkt (bei Zusammenveranlagung 20 Millionen Euro). Ursprünglich lag die Grenze bei zwei Millionen Euro.
Zudem sollen Verluste auch leichter mit zukünftigen Gewinnen verrechnet werden können. Beim Verlustvortrag wolle man im Zeitraum 2024 bis 2027 „alle Beschränkungen aufheben“. Danach sollen auch hier die Höchstgrenzen von zehn beziehungsweise 20 Millionen Euro gelten.
Steuervereinfachung
Lindner will Personengesellschaften mehr Wahlmöglichkeiten bei der Versteuerung ihrer Gewinne geben. So soll erreicht werden, dass sie nicht härter als Kapitalgesellschaften besteuert werden.
>> Lesen Sie hier: Radikal einfach, einfach gut: Mit diesen vier Maßnahmen lässt sich das Steuersystem vereinfachen
Zudem sollen alle Unternehmen kleinere Anschaffungen schneller abschreiben können, einige sogar sofort. Dadurch verbleibe „mehr Liquidität bei kleinen und mittleren Unternehmen“, hieß es.
Das Gesetz sieht zudem eine Reihe weiterer kleinerer Vereinfachungen und Bürokratieabbau vor. Im Finanzministerium setzt man darauf große Hoffnung. Da die Mittel im Haushalt begrenzt seien, müsse man sich neben kleinen Entlastungen vor allem auf Vereinfachungen konzentrieren, hieß es.
Bekämpfung von Steuerdumping
Neben der Senkung und Vereinfachung von Unternehmensteuern erwartet die Wirtschaft auch einige Belastungen in dem geplanten Gesetz. So sollen Unternehmen künftig verpflichtet werden, bestimmte Steuersparmodelle zu melden. Bisher galt das nur für grenzübergreifende Modell, künftig soll es nun auf nationale erweitert werden.
>> Lesen Sie hier: Globale Mindeststeuer rechnet sich für Lindner kaum
Zudem soll „eine gesetzliche Regelung zur verpflichtenden Verwendung von elektronischen Rechnungen“ eingeführt werden. Auch sollen bestimmte Steuersparmodelle bei Investmentfonds verhindert werden.
Zwischenzeitlich gab es Überlegungen, diese Maßnahmen in ein eigenes Steuerfairnessgesetz zu packen. Doch Lindner hat sich offenbar dafür entschieden, alles in ein großes Gesetzespaket zu packen. Dies könnte es einfacher machen, sich mit den Koalitionspartnern zu einigen.
Die Koalitionsparteien haben zu Steuersenkungen unterschiedliche Meinungen.
(Foto: dpa)
Während SPD und Grüne die Steuersenkungen für Unternehmen teilweise kritisch sehen, wollen sie die Maßnahmen gegen Steuergestaltung unbedingt. „Wir begrüßen, dass nun für das zweite Halbjahr ein Gesetz für mehr Steuerfairness und wirtschaftliches Wachstum vorliegt“, sagte der SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi. Angesichts der milliardenschweren Mindereinnahmen werde man aber genau darauf achten, dass kein Geld mit der Gießkanne verteilt werde.
Aus der Wirtschaft kommt Lob für das Gesetzespaket. „Damit erleichtert es der Minister den Unternehmen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Risiken einzugehen“, sagte Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. Dies sei ein wichtiges Signal, Kirchdörfer erwartet aber eine richtige Unternehmensteuerreform. „Die Zwänge in der Koalition dürfen jedoch nicht verhindern, jetzt alles dafür zu tun, dass Deutschland wettbewerbsfähig wird.“
Mehr: Bundesregierung sieht Deutschland als Hochsteuerland – will aber wenig ändern