Berlin Robert Habeck lief schon los, stoppte aber noch einmal. So konnte sein Staatssekretär Patrick Graichen auf gleicher Höhe neben ihm in den SPD-Fraktionssaal laufen. Es war der Versuch eines Zeichens der Geschlossenheit. Habeck und Graichen stehen Seite an Seite, aller Entlassungsforderungen zum Trotz.
Doch der Druck auf den Bundeswirtschaftsminister und seinen wichtigsten Mitarbeiter ist immens. Die Ausschüsse für Wirtschaft sowie für Energie und Klimaschutz hatten den Minister und seinen Spitzenbeamten Mittwochmittag zu einer Befragung vorgeladen. Der Grund: Graichen hatte seinem Trauzeugen Michael Schäfer zum lukrativen Job als Chef der Deutschen Energieagentur (Dena) verholfen und seine persönliche Beziehung verschwiegen.
Die außergewöhnliche Tagesordnung im Bundestag erforderte außergewöhnliche Räumlichkeiten. Um alle Ausschussmitglieder unterzubekommen, wich man in den Fraktionssaal der SPD aus. Fast zweieinhalb Stunden löcherten die Abgeordneten Habeck und Graichen mit ihren Fragen. Opposition und Teile der FDP attackierten. Die Grünen bemühten sich um Verteidigung.
Doch die Partei von Wirtschaftsminister Habeck ist längst selbst in Bedrängnis geraten. In den Ausschusssitzungen zuvor war abgestimmt worden, ob die Befragung von Habeck und Graichen öffentlich stattfinden soll. Die Grünen, so berichten es Teilnehmer, stimmten nicht einheitlich ab. In beiden Ausschüssen votierte die Mehrheit letztlich gegen eine öffentliche Sitzung und bloß für die zeitnahe Veröffentlichung des ‧Sitzungsprotokolls.
Zu Sitzungsbeginn war es Habeck selbst, der bedauerte, dass die Öffentlichkeit nicht dabei war. Die Union beantragte eine erneute Abstimmung, doch blieb es beim gleichen Ergebnis. Die Opposition sowie hinter vorgehaltener Hand auch SPD und FDP bewerteten die Vorbereitung der Grünen als unprofessionell.
Grüne überrumpeln Koalitionspartner
Nach Handelsblatt-Informationen hatten die Grünen erst um acht Uhr morgens den Koalitionspartnern vorgeschlagen, die Sondersitzung ausnahmsweise öffentlich stattfinden zu lassen. SPD und FDP fühlten sich überrumpelt, Ausschusssitzungen finden üblicherweise nicht öffentlich statt.
Die Befragung brachte keine grundlegend neuen Erkenntnisse über Graichens Fehlverhalten bei der Besetzung des Dena-Postens – aber interessante Details. Graichen erklärte, er habe weitere acht der elf Bewerber gekannt. Da sei die Tatsache, dass sein Trauzeuge dabei war, nur ein „gradueller“ Unterschied gewesen.
Habeck bei der Verabschiedung des Dena-Vorsitzenden am Dienstag. Der Trauzeuge von Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen verzichtet auf den Chefposten bei der Energie-Agentur Dena.
(Foto: dpa)
In den Bewerbungsgesprächen habe Graichen alle Bewerber gesiezt, soll er laut Teilnehmerkreisen erklärt haben. Außerdem sei in der dreiköpfigen Findungskommission seine Stimme allein nicht entscheidend gewesen.
Graichen gestand ein, dass er sich aus der Kommission hätte zurückziehen müssen. Er „bedauere und bereue“ den Fehler. Der Union reichten diese Aussagen nicht. Sie will eine weitere Befragung von Habeck und Graichen beantragen, diesmal öffentlich. Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU, erneuerte ihre Forderung, Graichen zu entlassen. Der Staatssekretär habe Habeck getäuscht: „Deswegen müsste das unserer Meinung nach Konsequenzen haben.“
Weitere Ungereimtheiten setzen Graichen unter Druck
Habeck verteidigte nach der Sitzung seinen Staatssekretär. „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, sagte der Vizekanzler vor Fernsehkameras, während Graichen hinter ihm wortlos im Fahrstuhl verschwand. Habeck forderte die Opposition auf, den „Fehler“ beim Dena-Verfahren nicht mit anderen Dingen zu vermischen: Es habe „ein Gespinst von Unwahrheiten und Unterstellungen gegeben“.
Die Vorwürfe gegen Graichen sind mannigfaltig. Die Trauzeugen-Affäre hatte er bereits vor zwei Wochen eingeräumt. Doch längst wird ihm aufgrund familiärer Verflechtungen zu Öko-Verbänden ein grundsätzliches Fehlverhalten vorgeworfen – auch, wenn es keine nachweisbaren Regelverstöße an dieser Stelle gibt.
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Doch in der Befragung im Ausschuss setzte Graichen und Habeck eine weitere Posse unter Druck. Graichen musste sich nach Teilnehmerangaben wegen eines Handelsblatt-Berichts von vergangener Woche verteidigen, wonach der Staatssekretär 60 Mitarbeiter bei der Dena ausleihen wollte.
Ein genehmigtes Budget sollte es dafür nicht geben. Auch erscheint es fraglich, ob es mit Blick auf Interessenkonflikte vereinbar wäre, wenn Dena-Mitarbeiter an Gesetzentwürfen mitschreiben.
Doch Graichens Plan scheiterte in den eigenen Reihen. Nach Handelsblatt-Informationen war vor allem Staatssekretärskollegin Anja Hajduk von Anfang skeptisch und blockierte grundsätzlich den Plan, die 60 Mitarbeiter auszuleihen. Dies bekräftigte sie laut Teilnehmerkreisen bei der Befragung am Mittwoch und gab an, dass man „Ende des ersten Quartals, Anfang April“ die Entscheidung getroffen habe, die Idee der Personalausleihe nicht weiterzuverfolgen.
Dena-Mitarbeiter sollten im Ministerium aushelfen
Graichen hatte seinen Plan zuvor über Monate akribisch vorbereitet. Das legt die 20-seitige Leistungsbeschreibung aus dem Wirtschaftsministerium nahe. Darin führen die Ministeriellen detailliert für diverse Referate auf, wie die Dena-Leute eingesetzt werden sollten. In einer internen E-Mail heißt es zudem, die Unterstützung von der Dena soll explizit „allen drei Abteilungen im Zuständigkeitsbereich von Staatssekretär Graichen offenstehen“.
In der Gas-Abteilung etwa sollten sie „fachlich/technische Fragestellungen im LNG-Bereich“ bearbeiten. In der Strom-Abteilung wurde die „Mitwirkung beim Energie-Finanzierungs-Gesetz“ gewünscht. Und in der Klimaschutz-Abteilung wurde Unterstützung bei der „Bewertung geeigneter Optionen zum Einsatz von klimaverträglichen Kraftstoffen“ angedacht.
Generell sei es um eine „Mitwirkung der entsandten Fachkräfte an internen Prozessen und Dokumenten des BMWK“ gegangen. Gleichzeitig widmete man der Vermeidung von Interessenkonflikten in dem Dokument einen einzigen Satz: „Der Auftragnehmer muss sicherstellen, dass er […] unabhängig ist und keinen Interessenkollisionen unterliegt.“
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In Ministeriumskreisen heißt es, die Leistungsbeschreibung sei die „zivilisiertere Version“ des Versuchs gewesen, auf Leute der Dena zurückzugreifen. Anfangs habe Graichen noch „wesentlich rustikaler“ agiert. Er habe quasi „auf Zuruf“ Leute von der Dena bekommen wollen. Dagegen habe sich die Dena allerdings gesperrt.
Der Umstieg auf das förmliche Verfahren wird auch mit dem Wechsel an der Dena-Aufsichtsratsspitze in Verbindung gebracht. Mitte des vergangenen Jahres hatte Habeck mit Stefan Wenzel einen neuen parlamentarischen Staatssekretär berufen, der auch Dena-Aufsichtsratschef wurde.
Wenzel habe den Vorgang immer skeptisch betrachtet. Er hatte am Dienstagabend seine Vorbehalte mit Blick auf das Haushaltsrecht und die Überwachung durch den Bundesrechnungshof bestätigt. Wenzel sagte: „Das muss immer wasserdicht sein.“
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