Graichen war vorgeworfen worden, Interessenskonflikte nicht offengelegt zu haben.
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Berlin Der umstrittene Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen wird nach Informationen des Handelsblatts seinen Posten räumen. Der „Spiegel“ hatte am Mittwochmorgen zuerst darüber berichtet.
Der Top-Mitarbeiter von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) war zuletzt wegen seiner Beteiligung an der Auswahl für den Chefposten der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) in die Kritik geraten. So hatte Graichen seinem Trauzeugen Michael Schäfer zu dem lukrativen Job verholfen, ohne die persönliche Beziehung zu erwähnen.
Sowohl Graichen als auch Habeck sprachen später von einem Fehler, der Minister hatte sich zunächst aber vor seinen Staatssekretär gestellt.
Neue Ergebnisse weiterer interner Prüfungen sollen nun aber doch dazu geführt haben, dass Graichen sein Amt abgeben muss. So sollen angeblich neu aufgetauchte Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Gutachten sein.
Nach Informationen der Presseagentur dpa soll der 51-Jährige in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Habeck hat für den frühen Mittag eine Erklärung angekündigt.
Diskussion um die Nachfolge läuft bereits
Die Entscheidung über Graichens Ausscheiden kam kurzfristig. Ein ranghoher Beamter zeigte sich kurz vor Habecks Statement am Mittwochvormittag noch überrascht von der Entscheidung. Als möglicher Nachfolger Graichens werde einige Kandidaten gehandelt, unter anderem Tobias Goldschmidt. Der 41-jährige Politikwissenschaftler aus Haselünne hat sich als Energiewende-Minister von Schleswig-Holstein einen Namen gemacht. Der Grünen-Politiker gilt als pragmatisch und konsensorientiert.
Außerdem fällt der Name Kerstin Andreae. Die Grüne ist mittlerweile Chefin des BDEW. Ihre Berufung könnte jedoch daran scheitern, dass Habeck sich nicht gleich die nächste Diskussion ins Haus holen will, indem er jemanden von einem Wirtschaftsverband holt. Auch der Name Klaus Müller fällt. Habeck hatte ihn allerdings erst im vergangenen Jahr zum Präsidenten der Bundesnetzagentur gemacht.
Ebenfalls wird Ingrid Nestle immer wieder genannt. Nestle ist Grünen-Bundestagsabgeordnete und war von 2012 bis 2017 Staatssekretärin im schleswig-holsteinischen Energiewende-Ministerium – unter dem damaligen Landesminister Robert Habeck. Die Wirtschaftsingenieurin genießt innerhalb und außerhalb der Partei einen hervorragenden Ruf als Energie-Expertin.
Neben der Trauzeugen-Affäre hatte es auch weitere Kritik an weiteren personellen Verflechtungen Graichens gegeben: Graichens Schwester, verheiratet mit dessen Staatssekretärs-Kollegen Michael Kellner, arbeitet wie auch ihr Bruder beim Öko-Institut – einer Forschungseinrichtung, die Aufträge vom Bund bekommt. Das Ministerium betonte, Kellner und Graichen seien nicht an Ausschreibungen beteiligt gewesen, auf die sich das Öko-Institut hätte bewerben können.
Habeck und Graichen hatten noch in der vergangenen Woche den Mitgliedern der Ausschüsse für Wirtschaft sowie Klimaschutz und Energie hinter verschlossenen Türen Rede und Antwort gestanden.
Habeck erklärte anschließend, an Graichen festzuhalten. „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss“, sagte Habeck. Nun verliert Habeck aber doch einen seiner wichtigsten Mitstreiter bei er Energiewende.
Graichen hatte sich als Chef der Denkfabrik Agora Energiewende einen Namen gemacht, Habeck holte ihn daraufhin nach Amtsübernahme Ende 2021 als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium. Dort hatte Graichen maßgeblichen Anteil an den tiefen Eingriffen in das Energieversorgungssystem, die in Folge des Ukraine-Krieges notwendig geworden waren.
In den vergangenen Wochen musste er insbesondere das Gebäudeenergiegesetz (GEG) zu retten. Das erwies sich als eine seiner größten Herausforderungen. Der GEG-Entwurf aus den Ministerien Wirtschaft und Bau sorgte für umfassende Kritik. Von Klimapolitik mit der Brechstange ist die Rede. Graichens Chef Robert Habeck muss viel Energie darauf verwenden, die Lage zu beruhigen. Der Wirtschaftsminister versucht, Probleme mit großzügigen Finanzierungszusagen kleinzureden.
Graichen verlor zuletzt auch in der Regierung an Beliebtheit
Der Entwurf, über den so heftig gestritten wird, trägt Graichens Handschrift: Er hat die elektrische Wärmepumpe zur einzigen Option erhoben. Graichen hat gute Argumente auf seiner Seite. Aber seine Rigorosität, das geplante Aus für neue Öl- und Gasheizungen, sorgte zuletzt für Verdruss.
Graichen sei innerhalb der Bundesregierung „der Stachel im Fleisch“ gewesen, hieß es in Regierungskreisen. „Graichen macht sich gerade richtig viele Feinde“, sagte ein hochrangiges SPD-Regierungsmitglied, schon bevor die Trauzeugen-Affäre publik wurde.
Auch bei den Grünen eckte Graichen an So musste Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hinnehmen, dass in dem Beschleunigungsgesetz zum Bau von Windanlagen an Land der Naturschutz an Bedeutung verlor. Einen entsprechenden Leitfaden zur praktischen Umsetzung stieß erst heute auf scharfe Kritik des Naturschutzbundes.
Für Habeck ist der Abgang Graichens ein bitteres Eingeständnis, nachdem er seinen Staatssekretär zunächst gegen alle Rücktrittsforderungen verteidigt hatte. Und das nächste Problem könnte schon warten.
So gerät auch ein weiterer Staatssekretär Habecks in die Kritik: Udo Philipp. Philipp ist für die Digitalstrategie der Bundesregierung verantwortlich, nach einem Bericht von „Business Insider“ allerdings selbst an mehreren Startups beteiligt. Die Namen gibt Philipp nicht preis. Es sei jedoch „sichergestellt, dass ich mit möglichen Entscheidungen zu den Unternehmen nicht befasst werde“, teilt er mit.
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