Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
die Situation, in der sich die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde am gestrigen Donnerstagabend befand, bezeichnet man gemeinhin als eine Zwickmühle.
Ihre Rolle war es, die Veränderungen des Leitzinses zu verkünden, der die Richtung der Zinsen im gesamten Euroraum bestimmt. Keine einfache Aufgabe, denn die hohen Zinsen hatten zuletzt für massive Schwierigkeiten an den Finanzmärkten gesorgt.
Einerseits hätte Lagarde die Zinserhöhung also verschieben müssen, um die nervösen Finanzmärkte zu beruhigen. Doch da sich diese mittlerweile am Rande eines Nervenzusammenbruchs befinden, hätte eine verschobene Zinserhöhung wohl für noch mehr Unruhe gesorgt. Denn dann wären womöglich Spekulationen aufgekommen, ob die Zentralbank mehr über den kritischen Zustand der Banken weiß, als in den Märkten bereits eingepreist ist.
Fazit: Lagarde blieb also nichts anderes übrig, als Normalität vorzutäuschen und die Zinsen im Euroraum wie geplant um 50 Basispunkte auf 3,5 Prozent anzuheben.
Lagardes gute Miene zum verrückten Spiel auf den Finanzmärkten illustriert die derzeit angespannte Lage. Nachdem vor einer Woche die amerikanische Silicon Valley Bank in die Pleite gerutscht war, sorgte am Mittwoch die Credit Suisse für Furore. Die Schweizer Großbank kündigte an, sich bis zu 50 Milliarden Franken bei der Schweizer Nationalbank leihen zu müssen.
Am späten Donnerstagabend wurde außerdem bekannt, dass auch die kalifornische First Republic Bank Unterstützung in Höhe von 30 Milliarden Dollar bekommen soll – allerdings nicht von der Notenbank, sondern von elf privaten Großbanken. So soll offenbar eine weitere Pleite verhindert werden.
Die Maßnahmen sind auch ein Kampf ums Kapital. Denn seit die Silicon Valley Bank in die Zahlungsunfähigkeit rutschte, wurde in den USA bereits ein Börsenwert von 1,6 Billionen US-Dollar vernichtet.
Sind die Entwicklungen Vorboten einer neuen Finanzkrise? Dieser Frage ist ein ganzes Team von Handelsblatt-Redakteuren in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin, New York und San Francisco nachgegangen.
Das Ergebnis ist ein großer Report über die Stellen im Finanzsystem, die mit der Zinswende besonders stark ins Wanken geraten sind. Denn betroffen sind längst nicht nur die Banken. Auch im Technologiesektor und auf dem Immobilienmarkt sind die Auswirkungen massiv.
Der Co-Chef von Charge Ventures, einem Wagniskapitalgeber, der in gut 60 Start-ups investiert hat, erinnert sich an das vergangene Wochenende als eine Art „Nahtoderfahrung“. Für Investoren wie ihn haben sich die vor kurzem noch strahlenden Zukunftsaussichten mit dem Abschied vom billigen Geld deutlich eingetrübt.
Und die Notenbanken, die den Preis des Geldes festlegen? Sie bleiben gefangen zwischen ihrem Auftrag der Inflationsbekämpfung und der allgegenwärtigen Angst davor, was weiter steigende Zinsen womöglich noch alles anrichten könnten.
(Foto: Jonas Holthaus für Handelsblatt)
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist nicht für große Panikmache bekannt. Im Gegenteil, zum Markenkern des Regierungschefs gehören hanseatische Tugenden wie Ruhe und Gelassenheit.
Keine schlechten Eigenschaften in Zeiten aufgerüttelter Märkte. Im großen Handelsblatt-Interview beschwichtigt der ehemalige Bundesfinanzminister Scholz diejenigen, die eine weitere große Krise aufziehen sehen: „Die Gefahr sehe ich nicht. Das Geldsystem ist nicht mehr so fragil wie vor der Finanzkrise.“
Und der Kanzler hatte weitere gute Nachrichten mitgebracht: „Uns könnte eine große Wachstums- und Investitionsphase bevorstehen, wie wir sie aus den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts kennen.“
Ausgelöst würde dieser Boom von der Transformation hin zur klimaneutralen Wirtschaft bis 2045. Der Bundestag werde die nötigen Gesetze auf den Weg bringen, um diese Boomphase einzuleiten, verspricht der Kanzler. Doch er nimmt auch die Unternehmen in die Pflicht, die ihre eigenen „Wachstumschancen“ erkennen müssten. Lesen Sie das komplette Interview mit dem Bundeskanzler hier.
„Die perfekte Altersvorsorge“ – mit diesem Slogan warben einst die Bausparkasse der Sparkassen LBS für die sogenannte Riester-Rente. Doch schon länger ist das vor etwas über 20 Jahren eingeführte Modell der privat finanzierten Rente mit staatlicher Zulage in die Kritik geraten. Zum zwanzigjährigen Jubiläum des Modells forderte der Bundesverband der Verbraucherzentralen sogar einen Stopp der Riester-Rente, da Verträge häufig „teuer und unrentabel“ seien.
Jetzt mussten die Anbieter der staatlichen Förderrente ihren Kunden erneut von einem katastrophalen Jahr berichten. Vor kurzem abgeschlossene Verträge verbuchten im vergangenen Jahr ein Minus von fast 50 Prozent.
Deswegen jetzt frustriert auszusteigen, empfiehlt sich jedoch nicht, denn dann realisieren sich die Verluste und die Sparer müssen ihre Förderung zurückzahlen. Die Handelsblatt-Geldanlage-Expertinnen Anke Rezmer und Susanne Schier haben analysiert, wo die Probleme liegen und was jetzt zu tun ist.
Ein Problem mit ihrer Rente haben auch die Franzosen. Dort nimmt der Streit um die Umgestaltung der Altersvorsorge mittlerweile groteske Züge an. In Paris stapelt sich der Müll auf den Straßen, da die Müllabfuhr gegen die Reformpläne von Präsident Emmanuel Macron protestiert und streikt. Und in der Nationalversammlung wurde Premierministerin Élisabeth Borne daran gehindert zu sprechen: Mitglieder des Linksbündnisses sangen minutenlang die Nationalhymne.
Und trotz – oder gerade wegen – all dieses Chaos drückt der Präsident die Reform zur Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 64 Jahre jetzt am Parlament vorbei durch. Ein Verfassungskniff ermöglicht ihm, das Votum der Abgeordneten zu umgehen.
Damit zog Macron den Zorn der Opposition aber auch der Gewerkschaften auf sich. Letztere kündigten umgehend an, die massiven Streiks und Proteste fortzusetzen. Auf das Land dürften somit ungemütliche Zeiten zukommen – denn wenn die Franzosen eines besonders gut können, dann ist es streiken.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag in bequemer Arbeitskleidung.
Herzliche Grüße
Ihre
Teresa Stiens
Redakteurin Handelsblatt