Berlin Mit brutaler Gewalt will der durch huge Unruhen bedrängte autoritär herrschende Präsident Kasachstans alle Proteste niederschlagen. Dazu erteilte Kassym-Schomart Tokajew am Freitag in einer Fernsehansprache einen Schießbefehl. Seine Sicherheitskräfte seien ab sofort angewiesen, „ohne Vorwarnung scharf zu schießen“. Demonstranten würden bei weiteren Unruhen im Rahmen einer „Anti-Terror-Operation“ zur Wiederherstellung der Ordnung „vernichtet, wenn sie nicht aufgeben“.
Hintergrund sind huge Proteste im Land, die durch eine Verdoppelung der Autogas-Preise auf vier Cent nach Neujahr ausgelöst wurden. Tokajew stellt, wie auch der Kreml, sie als angeblich vom Ausland aus gesteuerte terroristische Anschläge dar. Russland und Weißrussland haben sogenannte Friedenstruppen nach Kasachstan geschickt im Rahmen eines postsowjetischen Charges für gegenseitigen Beistand (ODKB).
Der russische Kommandeur nannte seine eingesetzten Fallschirmspringer „kriegserfahrene Kämpfer“. Dabei geht es nach bisher unbestätigten Berichten um bis zu 15.000 Soldaten aus den ODKB-Bündnisstaaten.
Die Bundesregierung verurteilte die Politik Kasachstans, eines der wichtigsten Öl-Lieferländer Deutschlands, scharf: „Wer ohne Vorwarnung auf Demonstranten schießen lässt, um zu töten, hat den Kreis zivilisierter Staaten verlassen“, schrieb Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Freitag auf Twitter.
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Fernsehbilder aus Kasachstan und Berichte Oppositioneller legen nahe, dass inzwischen Dutzende Demonstranten getötet und weit über 1000 Menschen verletzt wurden. Das Innenministerium teilte mit, 26 „bewaffnete Kriminelle“ seien„liquidiert“ und mehr als 3.000 festgenommen worden. Bei Angriffen auf Polizeistationen seien auch mindestens 18 Sicherheitskräfte gestorben.
Das brutale Vorgehen in Kasachstan belastet die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen weiter. Der Kreml wirft vor allem den USA vor, die Proteste in Kasachstan anzufachen. Washington weist das entschieden zurück. Am Montag sollen Delegationen beider Länder über eine Lösung des Ukraine-Konflikts und eine Entspannung des heftigen Ost-West-Konflikts in Genf verhandeln.
Russland wirft dem Westen immer wieder vor, sogenannte „Farbrevolutionen“ in den Nachfolgestaaten der UdSSR anzufachen und diesen „Regime-Change“ auch in Russland selbst vorzuhaben. Als Beispiele dafür werden die Ukraine, Georgien und Kirgisien – das ODKB-Mitglied ist – genannt.
Kasachstan galt lange als stabil
Der nach Paris geflüchtete frühere Minister Muchtar Abljazow warnt vor immer mehr Gewalt: Ohne die Beteiligung westlicher Mächte bei einer Konfliktlösung würde Kasachstan „zu Weißrussland werden und der russische Präsident Wladimir Putin wird systematisch sein Programm durchsetzen: die Wiederherstellung einer Struktur wie die der Sowjetunion“.
Kasachstan galt seit der Unabhängigkeit vor 30 Jahren als stabil. Es wurde vom seinerzeitigen KP-Chef Nursultan Nasarbajew bis vor intestine zwei Jahren mit harter Hand regiert. 2019 zog sich Nasarbajew auf den neu geschaffenen Posten des Sicherheitsratschefs zurück und überließ seinem loyalen Getreuen Tokajew das Präsidentenamt.
Schon 2019 gab es lautstarke Forderungen nach Reformen. Jetzt begannen die Proteste nach Erhöhungen für Treibstoffpreise und ohnehin wegen rasanter Inflation und stark steigender Preise. Darin mischten sich schnell gegen die Führung gerichtete Protestrufe: „Shal ket!“ – alte Männer müssen gehen!
Tokajew entließ daraufhin seine Regierung und Nasarbajew. Der soll inzwischen nach Dubai geflohen sein, wo er nach Recherchen eines internationalen Anti-Korruptions-Netzwerks (OCCRP) laut geheimen Finanzunterlagen über teure Immobilien verfügen soll. Seine Familie habe laut lokalen Unternehmern und ins Ausland geflohener früherer Regierungsmitglieder „in quick allen Wirtschaftszweigen ihre Finger drin“.
Protestler wenden sich gegen die Korruption im Land
Bota Jardemalie, ein kasachischer Anwalt und Menschenrechtsaktivist, der in Belgien im Exil lebt, sagt: „Seine (Nasarbajews) Familienmitglieder, seine Töchter, sein Schwiegersohn Timur Kulibajew, haben in allen Wirtschaftszweigen, insbesondere Öl und Gasoline, ein Monopol.“ Und jeder wisse, dass „dieses Monopol hinter den Erhöhungen der Gaspreise steckt“.
Auf echte Reformen hoffen die meisten Kasachen auch unter Tokajew nicht: „Tokajew und die Regierung könnten leicht die Gehälter und Sozialhilfen erhöhen in der Hoffnung, dass dies die Spannungen abbaut“, sagt Danijar Chassenow, ein kasachischer politischer Aktivist, der nach Kiew geflohen ist.
Aber er fügt desillusioniert hinzu: „Aber am Ende verstehen alle, dass die Reformen nicht actual sein werden. Tokajew gehe es nur um den Ausbau seiner Macht. Ob dies dann ein Ende des Monopols des Nasarbajew-Clans in der Wirtschaft heißt, sei völlig offen. Kasachstan verfüge über viele Rohstoffe, sodass Reichtum für alle möglich sei, sagte CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im Deutschlandfunk. Stattdessen gebe es einige wenige, die sich massiv bereicherten – und das habe das Pulverfass zum Explodieren gebracht.
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