Berlin Die deutsche Wirtschaft ist im Winter in eine Rezession gerutscht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 0,3 Prozent geschrumpft. Das hat das Statistische Bundesamt am Donnerstag bekanntgegeben.
Nachdem die Wirtschaftsleistung schon im vierten Quartal 2022 um 0,5 Prozent zurückgegangen war, sind die Kriterien für eine technische Rezession erfüllt. Ökonominnen und Ökonomen sprechen bei zwei aufeinanderfolgenden Quartalen mit schrumpfender Wirtschaftsleistung davon.
Vor allem die hohen Preissteigerungen belasteten die deutsche Wirtschaft nach Ansicht der Wiesbadener Statistiker. Das drückte insbesondere den Konsum der privaten Verbraucherinnen und Verbraucher, der im ersten Quartal um 1,2 Prozent zurückging.
Sowohl für Nahrungsmittel und Getränke als auch für Bekleidung und Schuhe sowie für Einrichtungsgegenstände gaben die privaten Haushalte weniger aus als im Vorquartal. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte: „Die massiv gestiegenen Energiepreise haben im Winterhalbjahr ihren Tribut gefordert.“
Ende April hatte das Statische Bundesamt noch mit einer Stagnation im ersten Quartal gerechnet. Vor allem die Lage in der Industrie, die zu Beginn des Jahres ihre Geschäfte ausweiten konnte, nährte diese Hoffnung.
Besonders schwacher März gab Ausschlag
Doch der März wurde für viele Betriebe zum Problemmonat. Eine Reihe von Zahlen, die in der ersten BIP-Schätzung des Statistikamts noch nicht enthalten waren, zeigten deutlich nach unten.
Definition: Was ist eine Rezession?
Letztlich stieg die Wertschöpfung der verarbeitenden Industrie im ersten Quartal zwar immer noch um zwei Prozent. Den Rückgang des privaten Konsums konnte die Industrie damit aber nicht kompensieren.
Allen voran die wichtige Industrieproduktion war im März laut Statistischem Bundesamt um 3,3 Prozent eingebrochen. So einen starken Einbruch hatte kaum ein Experte erwartet. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI), sprach von einem „beachtlichen Rücksetzer“.
Ende des vergangenen Jahres hatte es zwar noch deutlich stärkere Einbrüche gegeben. Doch sie waren vor allem auf die energieintensiven Branchen zurückzuführen. Im März aber waren nahezu sämtliche Bereiche betroffen. Am stärksten war der Rückgang demnach in der Automobilbranche mit einem Minus von 6,5 Prozent.
Gleichzeitig war das Neugeschäft der deutschen Industrie im März so stark eingebrochen wie seit der Hochphase der Coronakrise nicht mehr. Die Aufträge sanken im März um 10,7 Prozent zum Vormonat und damit so kräftig wie zuletzt im April 2020. Auch diese Entwicklung überraschte, viele andere Informationen hätten ein anderes Bild gezeichnet, sagt der Berliner Ökonom Claus Michelsen.
Sowohl der Rückgang der Produktion als auch der Aufträge waren durch Schwierigkeiten im Außenhandel getrieben. Im März waren die deutschen Exporte gegenüber dem Vormonat um 5,2 Prozent gesunken. „Die Schwäche der Produktion in Deutschland geht zumindest teilweise mit einer Schwäche im Außenhandel einher“, sagt Torsten Schmidt, Konjunkturchef am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) Essen. Außerdem dämpft die Zinswende die Nachfrage.
Schrumpfung im Gesamtjahr wird wahrscheinlicher
Die technische Rezession im Winterhalbjahr kommt somit überraschend. Meldungen aus dem vergangenen Herbst, die im Winter mit einem eklatanten Konjunktureinbruch gerechnet haben, haben sich allerdings nicht bewahrheitet.
Vor allem der erhoffte Konjunkturimpuls für die deutsche Exportwirtschaft durch eine stärkere Nachfrage aus China bleib aus.
(Foto: dpa)
Für die Aussicht auf das Gesamtjahr heißt das trotzdem nichts Gutes. Eine Rezession im herkömmlichen Sinn, also eine Schrumpfung der Wirtschaft in 2023 insgesamt, wird nun wahrscheinlicher.
Die Bundesregierung prognostizierte in seiner jüngsten Konjunkturprojektion für 2023 noch ein Mini-Wachstum von 0,2 Prozent – ging dabei aber von einer Stagnation im ersten Quartal aus.
Dass sich die konjunkturelle Stimmung nicht so schnell aufhellt, legt auch die jüngste Auswertung des Ifo-Geschäftsklimaindex nahe. Das Barometer fiel im Mai auf 91,7 Punkte, von 93,4 Zählern im April, wie das Ifo-Institut am Mittwoch zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Es war der erste Dämpfer nach sechs Anstiegen in Folge.
Treiber der negativen Entwicklung waren laut Ifo deutlich pessimistischere Erwartungen. Die Unternehmen waren aber auch etwas weniger zufrieden mit ihren laufenden Geschäften: „Die deutsche Wirtschaft blickt skeptisch auf den Sommer“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Das liegt insbesondere auch an fehlenden Impulsen aus dem Ausland. Vor dem Hintergrund des unsicheren weltwirtschaftlichen Umfelds bewegen sich die Exporterwartungen der Industrieunternehmen kaum.
Vor allem der erhoffte Konjunkturimpuls für die deutsche Exportwirtschaft durch eine stärkere Nachfrage aus China, nachdem dort die Null-Covid-Politik, blieb aus. Im April exportierte die deutsche Wirtschaft laut Statistischem Bundesamt Waren im Wert von 7,5 Milliarden Euro in die Volksrepublik, das waren 9,6 Prozent weniger als im Vorjahresmonat.
Die Bundesregierung rechnet für das laufende Gesamtjahr mit einem BIP-Wachstum von 0,4 Prozent.
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„Der Ausblick auf die kommenden zwölf Monate bleibt aber insgesamt trübe – zumal auf der Nachfrageseite die Auftragseingänge spürbar nachlassen“, sagte Ilja Nothnagel, Mitglied der DIHK-Hauptgeschäftsführung.
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Im Frühsommer erwartet – gleichbleibend zum Jahresbeginn – knapp ein Viertel der Unternehmen laut Deutscher Industrie- und Handelskammer (DIHK) einen höheren Exportumsatz in den kommenden zwölf Monaten, während 22 Prozent von sinkenden Ausfuhren ausgehen.
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