Menschrechtsverletzungen, geopolitisch schwierige Lage und Lieferkettenprobleme – die Risiken im Chinageschäft nehmen zu, und die Unternehmen sind gezwungen, ihr Chinaengagement zu überdenken. Die öffentliche Debatte kreist stets um die Dax-Schwergewichte BASF, Siemens oder Mercedes. In einer besonders heiklen Situation befindet sich aber auch die Automobil-Zulieferindustrie.
Die deutschen Autozulieferer müssen Milliardensummen investieren, um Komponenten für die Transformation zur Elektromobilität zu entwickeln. Es ist die Schicksalsfrage der Industrie. Der Wettbewerb ist unvergleichlich groß. Wo früher fünf Zulieferer bei einem Auftrag für Antriebsteile anboten, sind es im Elektrozeitalter 25. Geld verdient bislang keiner damit, selbst Weltmarktführer Bosch nicht.
In diesem Jahr soll sich das für den schwäbischen Automobilzulieferer ändern. Nicht etwa in Deutschland, sondern in China, kündigte Bosch-Chef Stefan Hartung an, werde mit Elektroachsen und -motoren erstmals die Gewinnzone erreicht. Die Kunden sind zudem vornehmlich die aufstrebenden chinesischen Hersteller von Elektroautos. China ist der Referenzmarkt für Elektromobilität – nicht Deutschland, nicht die USA. Wer es in China schaffe, schaffe es überall, sagt Hartung.
Bosch und ZF machen 20 Prozent ihres Umsatzes in China
Auch ZF, der zweitgrößte deutsche Zulieferer, folgt dieser Logik. Seine 800-Volt-Leistungselektronik für schnelles Laden baut ZF in Topmodellen bei chinesischen Autobauern ein. Auch bei der neuen vollelektrischen Lenkung ist beispielsweise Nio chinesischer Erstkunde.
Die Newcomer machen großen Druck, zahlen aber hohe Preise für deutsche Komponenten. Längst hängen die Chinesen auf ihrem Heimatmarkt die deutschen Autohersteller nicht nur mit elektronischen Spielereien, sondern auch in der Fahrperformance ab.
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So weit zur Bedeutung des chinesischen Markts. Sich aus diesem Markt zurückzuziehen käme einer Selbstdezimierung gleich. 20 Prozent des gesamten Konzernumsatzes entfallen bei Bosch und ZF auf China. 55.000 Bosch-Angestellte arbeiten in China und damit jeder achte Mitarbeitende.
Das heißt: Das Führungsduo der deutschen Autozulieferindustrie kann nicht auf China verzichten – kurzfristig nicht, mittelfristig nicht. Sich andererseits nicht auf das Szenario eines eskalierenden Konflikts zwischen den USA und China etwa in der Taiwanfrage einzustellen wäre fahrlässig. Die Zulieferer verfolgen nun eine Strategie, die beiden Aspekten Rechnung trägt.
Trumpf zieht in der Taiwan-Frage rote Linie
Bei den aktuellen Lieferkettenproblemen haben sowohl Bosch wie ZF das Ziel, möglichst den chinesischen Markt vor Ort zu bedienen. Das erklärt die Milliardeninvestitionen im Land. 80 Prozent der in China hergestellten Produkte bleiben in China. Auch ZF folgt dem Credo „local for local“.
China ist im Stiftungsunternehmen Bosch Chefsache.
(Foto: dpa)
Das zeigt die Bedeutung des Markts, ist aber auch Teil der Strategie, die Risiken für den Worst Case zu minimieren. Denn sollte China Taiwan überfallen, dürfte die Abkopplung des Chinageschäfts unumgänglich sein. Selbst die Chefin des Laserspezialisten Trumpf, Nicola Leibinger-Kammüller, hat die Besetzung Taiwans als rote Linie für ihr Chinaengagement erklärt. Trumpf hat als einziger Maschinenbauer vor einigen Jahren sogar einen chinesischen Konkurrenten übernehmen dürfen.
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Bevor Holger Klein zu Jahresbeginn ZF-Chef wurde, hat er seinen Geschäftsbereich Fahrwerkstechnik vier Jahre lang von Shanghai aus geführt. Auch der Bosch-Chef ist gleichzeitig fürs Chinageschäft des Konzerns zuständig. China ist Chefsache in den Stiftungs- und Familienunternehmen und sollte es eigentlich in jedem größeren Unternehmen sein. Denn eigentlich wissen alle, dass China nicht die ewige Cashcow sein kann.
Bosch-Chef Hartung sieht das ganz pragmatisch. Seine Doppelstrategie: Ohne globale Kooperation funktioniert es nicht und mit allzu großen wirtschaftlichen Abhängigkeiten auf Dauer auch nicht. Bosch ist nicht nur weltgrößter Autozulieferer, sondern baut unter anderem auch Kühlschränke, Bohrmaschinen und Wärmepumpen.
Investitionen Indien, Vietnam, Ägypten und Mexiko ziehen an
Der Stiftungskonzern sieht sein Heil seit über 137 Jahren in der Diversifikation in Produkten und ebenso Regionen. Bosch ist seit über 100 Jahren in China. ZF immerhin seit über 40 Jahren. Knorr-Bremse ist dank des starken Chinageschäfts Weltmarktführer bei Bremsen. Eine solche Marktposition gibt man nicht so leicht auf.
Andererseits fällt auf, dass die Investitionen in Ländern wie Indien, Vietnam, aber auch Ägypten und Mexiko deutlich anziehen. Jeder dritte der für die Gegenwart und Zukunft unverzichtbaren 44.000 Softwarespezialisten von Bosch arbeitet in Indien. Und in die in Deutschland angesiedelte Halbleitertechnik investiert Bosch drei Milliarden Euro, dreimal so viel wie in China. Bis 2027 stampft Konkurrent ZF mit Partner Wolfspeed eine Chipfabrik in Saarbrücken aus dem Boden.
Abhängigkeiten verringern, ohne das Chinageschäft kurzfristig aufs Spiel zu setzten – das ist die richtige Strategie. Ob die weltpolitische Lage den Unternehmen in der Chinafrage genug Zeit für eine bessere regionale Balance gibt, ist offen. Die Sowohl-als-auch-Taktik ist bei den aktuellen Zielkonflikten zwischen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Moral sicher keine, für die Hartung oder Klein stehenden Applaus bekommen, aber sie ist ehrlicher, als es aussieht.
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