Jens Baas ist Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse.
(Foto: Imago, Techniker Krankenkasse)
Ob strauchelnde Geburtenstationen, Rettungsschirme für die Pflege oder fehlende Fiebersäfte: Wenn im Gesundheitswesen eine schnelle Lösung für ein drängendes Problem gesucht wird, lässt der Ansatz „Das zahlen die Kassen“ meist nicht lange auf sich warten.
Breiter Widerspruch gegen diese politische Brandlöschung „auf Kasse“ bleibt meist aus. Dabei führt schon die Formulierung „Das zahlen die Kassen“ in die Irre. Denn wir Kassen haben kein eigenes Geld, sondern verwalten das Geld der Beitragszahlenden. Die wiederum zahlen ihre Beiträge unter der Prämisse, dass diese verantwortungsvoll und für ihren eigentlichen Zweck eingesetzt werden: im Krankheitsfall die Versorgung zu bezahlen. Mit ihnen politische Brände zu löschen, ohne dabei deren Ursachen zu beseitigen, widerspricht dieser Prämisse.
Noch problematischer wird es, wenn Beitragsgelder nicht nur zum kurzfristigen Löschen, sondern zur Dauerberieselung eingesetzt werden. Doch genau das erleben wir vielfach, auch weil die Politik immer mehr gesamtgesellschaftliche und eigene Verantwortung auf den Schultern der Beitragszahlenden ablädt.
Beitragsgelder dürfen nur für die Aufgaben der Sozialversicherung genutzt werden
Die Beispiele sind zahlreich: Die Bundesländer kommen seit Jahren ihrer Pflicht zur Finanzierung der Investitionskosten der Kliniken nur unzureichend nach. In der Folge müssen die Versicherten diese über die Behandlungskosten quersubventionieren.
Nach wie vor tragen die Beitragszahlenden den Löwenanteil für die Krankenversicherung derjenigen, die Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld II) beziehen – obwohl das eigentlich Aufgabe des Staats ist. Das macht rund zehn Milliarden Euro pro Jahr aus – also deutlich mehr als die Hälfte der jüngsten Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenversicherung.
Dabei geht es längst nicht nur um politische Altlasten: Auch die geplanten Gesundheitskioske – also die Beratungsstellen in sozial benachteiligten Gebieten – sollen überwiegend durch Beitragsgelder finanziert werden, obwohl dort viele Angebote geplant sind, die keine Aufgaben der Krankenkassen sind. Diese Angebote sind sicherlich vielerorts hilfreich und nötig – nur handelt es sich dabei um gesamtgesellschaftliche Aufgaben.
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Ein weiteres Beispiel: Die Unabhängige Patientenberatung soll als Stiftung neu errichtet werden und per gesetzlichem Auftrag der Bevölkerung als zusätzliches Angebot dienen, um in sämtlichen gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen zu beraten.
Das beinhaltet also ein breites Themengebiet, das deutlich über Fragestellungen aus dem Spektrum der Krankenversicherung hinausgeht.
Um den Stiftungsaufbau sollen sich die Krankenkassen kümmern, und die Finanzierung erfolgt durch die Beitragszahlenden, obwohl es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Zudem gibt es im Aufgabenbereich der Kassen längst zahlreiche eigene Beratungsangebote, zum Beispiel für Betroffene von Behandlungsfehlern.
Die Verwaltungskosten der Kassen machen nur fünf Prozent der Leistungsausgaben aus
Reflexartig fällt in der öffentlichen Ausgabendebatte auch immer wieder die Forderung, dass die Kassen erst einmal bei sich selbst sparen sollten, also die Verwaltungskosten und die Kassenanzahl reduzieren. Gegen schlanke Strukturen ist nichts einzuwenden, im Gegenteil.
Doch dieser Ansatz hat natürliche Grenzen: Verwaltungskosten machen nur rund fünf Prozent der Leistungsausgaben der Kassen aus, das entspricht in etwa dem Leistungsausgabenanstieg eines Jahres.
Kann die Anzahl der Kassen weiter sinken? Bestimmt, aber auch das hat Grenzen. Denn ohne eine gewisse Vielfalt entfiele der Wettbewerb – und damit ein starker Anreiz, sich mit Service und Innovationen von anderen abzuheben.
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Was bleibt also zu tun? Wir müssen weg vom Prinzip „Die Kassen zahlen“ beziehungsweise „Die Beitragszahlenden springen ein“, über das sich die Politik Ruhe auf Kosten Dritter kauft. Das mag politisch bequem sein – ist als Strategie aber weder gerecht noch zukunftsfähig.
Es läuft spätestens dann vor die Wand, wenn das Geld der Beitragszahlenden aufgebraucht ist. Diese Wand ist längst in Sichtweite: Die Milliardenlücken sind da, die Reserven aufgebraucht, und die Beiträge können nicht ins Unendliche weitersteigen.
Wir brauchen also eine gesundheitspolitische Trendwende hin zu einer ursachenbezogenen, nachhaltigen Reformpolitik. Dazu gehört eine Krankenhausreform, die finanzielle Verantwortung gerecht verteilt, ebenso wie faire Preise für Arzneimittel.
Fair für die Industrie, die echte Innovationen gut bezahlt bekommen soll, und fair für die Solidargemeinschaft, die kein Geld für extrem teure Arzneimittel ohne echten Nutzenvorteil ausgeben kann, die vor allem die Aktienkurse der Hersteller in die Höhe treiben.
Die Basis dafür muss ein Politikverständnis sein, das in Sachen Sozialpolitik Verantwortung übernimmt, statt diese an die Beitragszahlenden zu delegieren.
Der Autor: Jens Baas ist Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse.
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