Manuel Neuer steht vor einer wegweisenden Entscheidung – für sich und die deutsche Nationalmannschaft, meint t-online-Kolumnist Stefan Effenberg. Ilkay Gündoğan erhält ein vehementes Plädoyer – und als neuer DFB-Kapitän kommt nur einer infrage.
Ich war nicht überrascht vom Rücktritt von İlkay Gündoğan. Denn durch seine Erklärung ist dieser Schritt für mich völlig nachvollziehbar. Wenn Du auf diesem Level spielst, erst bei Manchester City, jetzt beim FC Barcelona, dazu auch noch in der Nationalmannschaft, und das mit 33 Jahren – er hat nicht umsonst von einer gewissen „Müdigkeit“ gesprochen (mehr dazu lesen Sie hier). Wenn er die Belastung der Länderspiele mit der DFB-Elf – keine Nations League, keine WM-Qualifikation, keine WM 2026 – nicht mehr hat, kann ihm das auf Vereinsebene noch mal zwei zusätzliche Jahre geben.
Gündoğan kann wirklich stolz auf das zurückblicken, was er erreicht hat: Er hat jetzt eine wirklich starke Heim-EM gespielt und dabei die Mannschaft als Kapitän aufs Feld geführt – das ist ein würdiger Abschluss.
Dass seine Leistungen in der DFB-Elf immer mal wieder auch kritisiert wurden, weil er ja nicht so spiele wie im Verein – das kann ich nicht verstehen. Denn ich sehe das komplett anders: Auch im Verein bei Barça, bei Man City oder schon bei Borussia Dortmund war er nicht immer augenscheinlich „Weltklasse“, hat nicht immer selbst überragend performt – aber stets seine Mitspieler glänzen lassen. Ein Jamal Musiala, ein Florian Wirtz, ein Kai Havertz konnten zuletzt für Deutschland nämlich deshalb so auftrumpfen, weil sie Gündoğan im Rücken hatten.
Das war und ist nämlich seine größte Stärke: Sich selbst ein Stück zurückzunehmen, sich vorzunehmen: „Ich bin der, der das Spiel lenkt, der die Bälle verteilt.“ Er war immer das Bindeglied zu den Spielern neben oder vor ihm – und hat es perfekt verstanden, diese auf ein anderes Level zu heben. Das war seine größte Qualität – die leider nie öffentlich richtig gewürdigt wurde. Das ist schade, aber die, die den Fußball verstehen, wissen ganz genau, was wir alle über Jahre an ihm hatten.
Ich finde es übrigens auch großartig, dass er die Entscheidung jetzt getroffen hat vor der Kadernominierung für die anstehenden Länderspiele in der Nations League gegen Ungarn und die Niederlande. So herrscht direkt Klarheit.
Umso gespannter bin ich deshalb auch auf die Entscheidung von Manuel Neuer. Rudi Völler hat im „Doppelpass“ am Sonntag bereits angekündigt, dass es zeitnah eine Mitteilung geben soll. Dass Neuer selbst entscheiden kann, ob er in der DFB-Elf weitermacht oder nicht, ist aufgrund seiner Erfolge und Verdienste selbstverständlich.
Ich möchte aber jetzt noch vor den beiden Spielen eine klare Aussage hören – nicht nur ich, sondern sicher auch ganz Fußball-Deutschland. Es darf jetzt keine Erklärung kommen, dass er vorerst „eine Pause einlegen“ wolle. Nein. Es muss unmissverständlich heißen: „Ich mache weiter“ oder „Ich trete zurück“. Jetzt aufhören und dann 2025, 2026 zurückkommen? Das macht keinen Sinn, das würde ihm im öffentlichen Ansehen eher schaden – auch aufgrund von Neuers noch ungeklärter Vertragssituation beim FC Bayern, bei denen er aktuell nur noch bis nächsten Sommer angestellt ist.
Und: Neuer ist bereits 38 Jahre alt, und auch wenn er bei der EM noch gut gehalten hat, wartet dahinter weiter der sechs Jahre jüngere Marc-André ter Stegen, der noch gut und gern drei Turniere als Nummer eins spielen könnte. Irgendwann muss man ter Stegen die Tür zum Stammplatz endgültig öffnen.
Nagelsmann und auch Rudi Völler stehen schließlich für eine neue Linie der klaren Entscheidungen bei der Nationalmannschaft – siehe Leon Goretzka, der es nicht in den EM-Kader geschafft hatte. Und diese Linie sollten sie auch beibehalten – und ebenso die Spielerseite: Erst Kroos, dann Thomas Müller, jetzt Gündoğan haben geradlinig kommuniziert. Das muss Neuer nun genauso machen.