Warum brauchen wir für alles so lange? Für einen Flughafen, einen Bahnhof, einen Windpark, ein paar Kilometer Autobahn? Es liegt an der Zauneidechse – und am gemeinen Mitbürger.
Heute vor genau 20 Jahren war ein großer Tag für Berlin und die ganze Republik. Die Nachricht liest sich etwas bürokratisch, zugegeben, die historische Dimension erschließt sich nicht auf Anhieb: Das brandenburgische Landesministerium für Infrastruktur und Raumordnung erließ am 13. August 2004 den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Schönefelder Flughafens. In einfachen Worten: Das war die Baugenehmigung für den neuen Hauptstadtflughafen BER.
Zwei Jahre später fand der symbolische erste Spatenstich statt, im November 2011 sollte die erste Maschine vom BER starten. Wie das bei großen Bauprojekten so ist, kam dann etwas dazwischen und die Eröffnung wurde auf Anfang Juni 2012 verschoben.
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die „Stuttgarter Zeitung“, die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“. Er ist Herausgeber von „Horizont“, einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt.
Sechs Wochen vor diesem Termin war ich zu einer Vorbesichtigung des neuen, praktisch fertigen Airports eingeladen. Politiker, Vertreter der Baufirmen, brandenburgische Lokalprominenz, dazu ein paar Journalisten trafen sich in einem Hangar des BER, es gab Sekt und Schnittchen, die Regierungschefs von Berlin und Bandenburg, Klaus Wowereit und Matthias Platzeck, hielten launige Reden: Seht her, das Werk ist gelungen! Zum Abschied bekamen die Gäste ein Kofferband geschenkt, mit dem Logo des neuen Flughafens.
Die Gäste waren kaum wieder zu Hause, da erreichte sie die Nachricht, dass die Eröffnung doch noch einmal verschoben werden müsse. Es gab Probleme mit der Brandschutzanlage. Was dann folgte, war ein technisches, finanzielles und politisches Fiasko. Immer neue Mängel, Missmanagement und Pfusch am Bau traten zu Tage. Letztlich musste die ganze Gebäudetechnik noch einmal neu gebaut werden, sieben Mal wurde der Eröffnungstermin verschoben. Die Kosten stiegen von gut einer auf mehr als sieben Milliarden Euro. Am 31. Oktober 2020, neun Jahre nach dem geplanten Termin, ging der Flughafen ans Netz.
Der BER war eine einzige Blamage – für Berlin und für Deutschland. Die ganze Welt sah zu, wie das Land der Tüftler und Erfinder, der Techniker und Ingenieure einen Flughafen in den märkischen Sand setzte. Ich habe oft von dem praktischen Kofferband Gebrauch gemacht. Einmal sprach mich ein Amerikaner am Gepäckband erstaunt an: Er dachte, Berlin- Brandenburg-Airport sei noch gar nicht fertig. Stimmt, antwortete ich, das Kofferband sei nur so eine Art Pre-Opening-Merch. Crazy, diese Deutschen, sagte sein Blick.
Der BER war und ist kein Einzelfall. Stuttgart 21 ist auch so eine Geschichte. Im Jahr 1997 bekam die schwäbische Metropole einen neuen Oberbürgermeister: Wolfgang Schuster, ein CDU-Mann, Typ kommunaler Manager, ein pragmatischer Macher. Ich arbeitete für die „Stuttgarter Zeitung“ und traf mich mit ihm, um seine Ambitionen kennenzulernen. Seine erste Priorität war der neue unterirdische Bahnhof, das Großprojekt schlechthin. Der OB war für acht Jahre gewählt, eine zweite Amtszeit war möglich. 2013, so sein Kalkül, würde er aus dem Amt scheiden – und rechtzeitig den neuen Bahnhof eröffnen.

Als Wolfgang Schuster 2013 aus dem Amt schied, hatte noch kein Bagger irgendeinen Kubikmeter Erde am Stuttgarter Hauptbahnhof bewegt. Erst 2014 ging es überhaupt los, seitdem wird die Stadt umgegraben und untertunnelt. Die Züge fahren jetzt an einem unwirtlichen Bahnsteigprovisorium ab. Reisende müssen, wenn sie in Stuttgart ankommen und mit der S- Bahn oder der U-Bahn weiterwollen, mit ihren Rollkoffern und Rucksäcken zu Fuß einmal rund um die Riesenbaustelle ziehen. Man nennt es den Fernwanderweg.
Es ist in Stuttgart, wie es in Berlin-Brandenburg war: Die Kosten explodieren (von 4 auf 11 Milliarden Euro), die Eröffnung wird immer wieder verschoben, jetzt soll es Ende 2026 so weit sein. Ganz sicher. Jedenfalls fast ganz sicher.
Kann Deutschland keine Großprojekte mehr? Frankfurt am Main will sich eine neue Oper gönnen. Seit sechs Jahren wird diskutiert und geplant, 2037 könnte sie fertig sein. 2037! Eine Bühne, Technik, Sitzplätze fürs Publikum, Dach drüber. Kostet eine Milliarde, dauert zwei Jahrzehnte. In Köln werden die Bühnen seit 2015 saniert. Im Juni dieses Jahres sollte nach vielen Querelen und Verschiebungen Eröffnung sein. Im Mai wurde die Eröffnung wieder verschoben. Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin, zeigte sich sehr, sehr enttäuscht. Sie hatte das Kleid für die Premiere schon gekauft.