Auf der Höhe der russischen Kriegsvorbereitungen empfing Sachsens Ministerpräsident den wichtigsten deutschen Lobbyisten Putins in der Staatskanzlei. Um Russland, Nord Stream 2 oder die drohende Invasion sei es dabei nicht gegangen, heißt es.
Dezember 2021: Seit Monaten zieht der Kreml seine Invasionstruppen an der Grenze zur Ukraine zusammen. Über hunderttausend russische Soldaten sind zu einem angeblichen Wintermanöver mobilisiert worden. Panzer, Haubitzen, Militärfahrzeuge werden zu Tausenden mit Güterzügen nach Westen verlegt. Im Schwarzen Meer werden russische Kriegsschiffe zusammengezogen. Der Kreml stellt Forderungen, die Ukraine bittet die Nato um Hilfe. Wenige Wochen später werden die Invasoren einmarschieren.
In diesen Tagen, als Europa vor der schwerwiegendsten Bedrohung seiner Freiheit und Sicherheit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion steht, empfängt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) laut Recherchen von t-online in der Dresdner Staatskanzlei einen besonderen Gast. 60 Minuten sind Anfang Dezember angesetzt für ein Gespräch mit jemandem, der viel zur Situation an der russisch-ukrainischen Grenze zu sagen hätte. Kretschmer hat ihn Monate zuvor den „intensivsten Kontaktmacher zu Moskau“ genannt. Gemeint ist Gerhard Schröder, Putins wichtigster deutscher Lobbyist.
„Terminanfrage Herr Gerhard Schröder“
Umso erstaunlicher ist, dass bei dem Treffen die aktuelle weltpolitische Lage nicht besprochen worden sein soll, auch wenn die Staatskanzlei das heute auf Anfrage von t-online nicht gänzlich ausschließt. „Bezüge zu Russland oder Nord Stream 2 während des Gesprächs sind nicht dokumentiert“, teilt Kretschmers Regierungssprecher mit. Ganz unabhängig von Schröders Lobbyarbeit für russische Energiekonzerne war das Treffen womöglich trotzdem nicht.
Der Altkanzler ist 2021 noch nicht der öffentlich in Ungnade gefallene Paria von heute. Trotz seiner langjährigen Bemühungen, gute Miene zum bösen Spiel des Kremls zu machen, und der Kritik daran ist er damals gern gesehener Interviewpartner, er schreibt Gastbeiträge auch für t-online und wird in Teilen der Politik, vor allem in Reihen der SPD, geradezu hofiert. Wenn Schröder klopft, öffnen sich für ihn und seine Geschäftspartner Türen – auch die zu Michael Kretschmer, als bei ihm eine E-Mail mit dem Betreff „Terminanfrage Herr Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D.“ eingeht, die t-online vorliegt.
Kretschmer und Putin
Nicht in gleichem Maße, aber doch ebenfalls seit Jahren, ist damals Sachsens Ministerpräsident wegen seiner Russland-Positionen in der Kritik: Er will Putin bereits 2018 treffen, 2019 dann trifft er Putin, er will ihn einladen, er will ihn nochmal treffen, schließlich darf er bei einem Russlandbesuch im April 2021 immerhin mit dem Kremlchef telefonieren. Er selbst sieht das als Erfolg.
Stets ist er dabei ein Verfechter der Position, Russland einseitig entgegenzukommen: Sanktionen aufgrund der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion 2014 will er abschaffen, den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny nicht politisieren, Nord Stream 2 will er auf jeden Fall fertigstellen und in Betrieb nehmen. Sachsen sieht er als „Brücke zu Osteuropa“ und mit Osteuropa meint er, so wie Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, vor allem Russland.
Russlands Wasserstoffpläne
Dort werden damals große Pläne geschmiedet: Die staatlichen Energiekonzerne wollen in den europäischen Wasserstoffmarkt einsteigen. Gewonnen werden soll der Energieträger auf Basis ihres Erdgases, für den Export die bestehende Gasinfrastruktur genutzt werden. Dafür brauchen sie einen Markt in Deutschland, der mit Pilotprojekten angekurbelt werden soll. Da kommt Nord-Stream-Lobbyist Schröder ins Spiel, wie t-online mehrfach exklusiv berichtete.