München Nach BMW und Audi setzt auch Mercedes-Benz seine Aktivitäten in Russland aus. Wie der Stuttgarter Autobauer am Mittwochabend mitteilte, wird das Unternehmen „bis auf Weiteres den Export von Pkw und Vans nach Russland sowie die lokale Fertigung in Russland einstellen“. Der Schritt kommt nicht überraschend. Seit Tagen wird intern debattiert, wie der Dax-Konzern auf den Ukrainekrieg reagieren soll.
Nun friert Mercedes seine geschäftlichen Aktivitäten in Russland ein. Wegen fehlender Kabelbäume, die Zulieferer des Konzerns in der Ukraine fertigen, müssen die Schwaben zudem ab der kommenden Woche ihre Fertigung in Sindelfingen drosseln, heißt es in Konzernkreisen. In dem Werk laufen die luxuriösen Limousinen E-Klasse, S-Klasse und EQS vom Band.
Mercedes selbst spricht davon, dass die Schichtplanungen in einzelnen Werken angepasst werden müssten. „Wir bewerten die Scenario tagesaktuell neu“, erklärte das Unternehmen. Gemeinsam mit seinen Lieferanten arbeite Mercedes „intensiv an Lösungen“ zur Absicherung der Lieferketten. Dazu gehöre auch die „Verlagerung von Produktionsumfängen an andere Standorte unserer Zulieferer“.
Die Stuttgarter produzieren seit 2019 in einem Werk nahe Moskau die E-Klasse und einige SUV-Modelle. Bei der Eröffnung der Fabrik, in der 1000 Beschäftigte arbeiten, tummelte sich jede Menge Prominenz. Aus Deutschland flog etwa der damals amtierende Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein. Es gab schöne Bilder. Spotlight: Russlands Präsident Wladimir Putin unterschrieb auf der Motorhaube eines Mercedes.
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Warum die Marke mit dem Stern seinerzeit trotz politischer Spannungen infolge der Krimannexion 250 Millionen Euro in Russland investierte, begründet sich vor allem in einem zuvor erlassenen Gesetz. Dies schreibt staatlichen Verwaltungsstellen in Russland vor, nur noch Autos anzuschaffen, die auch im Land produziert werden. Zudem wurde Mercedes in Russland zehn Jahre Steuerfreiheit gewährt. Das schien attraktiv – bis zum Ukrainekrieg.
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Bereits am Dienstag hat BMW sein Geschäft in Russland auf Eis gelegt. Die Münchener haben den Export von Neuwagen nach Russland ebenso gestoppt wie die Produktion in dem Land.
Experten erwarten dramatischen Einbruch
Volvo, Audi, Toyota und Honda liefern ebenfalls keine neuen Limousinen und SUVs mehr in den größten Flächenstaat der Erde. Der weltgrößte Lastwagenhersteller Daimler Truck hat alle Aktivitäten in Russland eingefroren und prüft, wie er sich von seinem umstrittenen Accomplice Kamaz endgültig trennen kann. Auch MAN und Volvo Vans haben den Export ihrer Sattelschlepper nach Russland ausgesetzt.
Die Liste der Fahrzeughersteller, die sich aus Russland zurückziehen wollen, wird täglich länger. Einen Verbleib im Land halten Experten für zunehmend unwahrscheinlich. „Ich gehe davon aus, dass die Autokonzerne ihre Fabriken in Russland schrittweise schließen. Es wird bald gar nichts mehr gehen“, glaubt Stefan Bratzel, Direktor des Heart of Automotive Administration (CAM). „Es stellen sich grundsätzliche Fragen: Ist es angesichts des Ukrainekriegs noch statthaft, in Russland zu produzieren, und wie können die Kunden überhaupt noch für die Fahrzeuge bezahlen?“
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Um die eigene Bilanz zu schützen, dürften die westlichen Autobauer in Russland eigentlich nur noch Fahrzeuge „gegen Vorkasse“ verkaufen – am besten in Euro oder Greenback, meint Bratzel. Der Branchenkenner erwartet, dass der Pkw-Absatz in Russland dramatisch einbrechen wird. Die Sanktionen von EU und USA würden den Markt schwer treffen. Der Wertverfall der Landeswährung Rubel bremse die Nachfrage im Inland erheblich.
Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts, geht davon aus, dass der Automarkt in Russland dieses Jahr um ein Drittel einbrechen wird, additionally statt 1,7 nur 1,1 Millionen Pkw und Transporter verkauft werden. Das ist noch ein eher optimistisches Szenario. Im schlimmsten Fall könnten sich die Auslieferungen auf 800.000 Einheiten mehr als halbieren.
„Russland würde dann unter das Niveau von Spanien oder Mexiko zurückfallen“, erklärt Dudenhöffer. Der Weltmarktanteil von Russland im Autogeschäft würde folglich von 2,3 auf 1,2 Prozent absacken. Ein Schock, von dem sich die Industrie im Land wohl nur sehr langsam erholen dürfte.
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