Meine Mutter liebt Zinsen. Kürzlich erhielt sie von ihrer Bank eine bescheidene Zinssumme für ein ganzes Jahr. Die Banken jubeln. Darüber sollten wir reden.
Meine Mutter ist Rentnerin. Sie liest gerne, wandert viel, und achtet auf ihr Geld. Und sie liebt Zinsen. Neulich strahlte sie vor Freude. Sie hatte die Zinsausschüttung auf ihr Erspartes von ihrer Bank erhalten: bescheidene 150 Euro. Fürs gesamte Jahr.
In einer kürzlich veröffentlichen Studie des digitalen Vermögensverwalters Growney zeigt eine Auswertung von Bundesbank-Daten, dass das Vermögen der Sparer in Deutschland um 70 Milliarden Euro höher sein könnte. Warum? Wohl auch, weil die meisten Sparer wie meine Mutter ticken: Sie sind mit den Zinsen auf ihrem Girokonto zufrieden – egal wie niedrig sie ausfallen.
Meine Mutter ist nicht allein
Meine Mutter gehört damit einer großen Gruppe von Sparern an, die mit Minibeträgen abgespeist werden. Und daran sind die Deutschen wohl selbst schuld.
Sie kleben an ihren Girokonten, die kaum Zinserträge abwerfen – und das, obwohl die Europäische Zentralbank es noch nie in ihrer Geschichte so eilig hatte wie zuletzt, in weniger als acht Monaten den Leitzins von null auf 4,25 Prozent nach oben zu schrauben.
Den Banken und Sparkassen kommt diese Trägheit der Deutschen – oder sollte man besser sagen: die Angst vor fairen Zinsen? – entgegen. Warum sollten sie die gestiegenen Zinsen an ihre treuen Kunden weitergeben? Die laufen ja eh nicht weg. Das Problem: Zinsen sind keine Almosen. Zinsen sind ein Geschäft.
Zinsen sollten fair sein
Über eines sollten sich alle Sparer im Klaren sein: Wenn Sie Ihrer Bank oder Sparkasse Geld geben, haben Sie als Gegenleistung einen Zins verdient. Wenn ungekehrt die Bank Ihnen Geld in Form eines Kredits leiht, möchte sie schließlich auch einen Zins von Ihnen, der mit sieben, acht oder neun Prozent üppig ausfällt.
Und was machen Banken und Sparkassen mit Ihrem ganzen Geld? Natürlich kann es Ihnen so niemand unter dem Kopfkissen wegstehlen – aber das sollte selbstverständlich sein. Sie nennen es „Verwahren“, und das hat seinen Preis.
Banken wollen als Unternehmen Gewinne maximieren
Geldhäuser sind Unternehmen, die Geld beispielsweise an den Kapitalmärkten in Anleihen oder Aktien anlegen – und das zu viel höheren Renditen, als Sie denken. Kurzlaufende US-Staatsanleihen etwa bringen aktuell bis zu sechs Prozent Rendite. Und Banken können Ihr Geld bei der Europäischen Zentralbank parken und bekämen 3,75 Prozent – ohne Risiko.
Geben Sie Ihrer Bank Ihr Geld gratis, macht die einen schönen Gewinn, und Sie gehen leer aus.
Sparer haben es wirklich nicht leicht
Übrigens wollen Banken von Ihnen möglichst viel Geld. Deswegen werben Sie mit wundersamen Zinsangeboten von vier Prozent – aber im Kleingeschriebenen verstecken sie, dass dies nur für drei oder sechs Monate gilt – und nur für Neukunden. Nach den wenigen Monaten sinkt der Zins auf 0,75 Prozent, was einen Durchschnittszins im ersten Jahr zwischen 1,56 bis 2,38 Prozent bedeutet. Vom zweiten Jahr ganz zu schweigen.
Die Bank macht damit ein sehr gutes Geschäft, und Sie machen ein sehr schlechtes. Einseitige Zinsen sind allerdings nicht fair.
Die Macht der Banken und das Geld der anderen
Doch wer nun meint, Sparer seien der Macht der Banken ausgeliefert, der irrt. Gehen Sie aus Ihrer Komfortzone heraus, informieren Sie sich, welche Anlageprodukte es gibt und welche Zinsen der Markt bietet.
Der Markt regelt die Preise: Was abgedroschen klingt, stimmt trotzdem. Wenn immer mehr Menschen zur Bank mit den höchsten Zinsen auf Tagesgeld wechseln, merken das schnell andere Banken – und zwar am Geldabfluss. Doch keine Bank kann es sich leisten, liquide Mittel zu verlieren. Denn einen Großteil ihres Gewinns erwirtschaften sie mit Geld von anderen, das sie auf den Kapitalmärkten einsetzen.
Zur Anschaulichkeit: Der Jahresüberschuss der Deutschen Bank ist von 2020 bis 2022 von 495 Millionen Euro auf fünf Milliarden Euro angewachsen. Die amerikanische Bank Goldman Sachs steigerte den Jahresüberschuss von 9,5 auf 11,3 Milliarden US-Dollar.
Drei Prozent statt 0,3 Prozent
Zurück zu meiner Mutter: Ich habe ihr eine Bank empfohlen, die Neukunden Zinsen von drei Prozent bietet, allerdings nur für die ersten sechs Monate. Eröffnet man zusätzlich ein Depot, wird dieser Zins für weitere sechs Monate verlängert. Meine Mutter bekäme auf ihr Erspartes statt 0,3 satte 3 Prozent. Aus 150 Euro Zinsen würden nach einem Jahr 1.500 Euro – das Zehnfache. Eine zusätzliche Rente. Oder ein Extra-Urlaub.
Nach einem Jahr werde ich ihr empfehlen, sich nach neuen Zinsangeboten umzuschauen. Und vielleicht reden wir dann über Staatsanleihen oder einen ETF-Sparplan. Wie gesagt, meine Mutter liebt Zinsen.