Die Pubertät trifft Kinder heutzutage deutlich früher als noch vor Jahrzehnten. Nun gibt es Hinweise, dass die Corona-Pandemie diese Entwicklung beschleunigt haben könnte.
Die Pandemie hat weltweit zu tiefgreifenden Veränderungen geführt, von denen insbesondere die junge Generation betroffen ist. Untersuchungen zufolge haben etwa psychische Probleme wie Depressionen, Angst- und Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen zugenommen. Auch auf ihre körperliche Gesundheit wirkt sich Corona neuen Berichten nach deutlich aus.
Corona-Effekt: Pubertät setzt deutlich früher ein
Als verfrühte Pubertät – Pubertas praecox genannt – wird die Entwicklung äußerer Sexualmerkmale bei Jungen vor dem vollendeten 9. und bei Mädchen vor dem vollendeten 8. Lebensjahr bezeichnet. Bei den Mädchen entwickelt sich dann unter anderem die Brust – eine Vermutung zum Corona-Effekt war darum, dass die frühere Entwicklung den Eltern eher auffiel, weil sie im Zuge von Schulschließungen und Homeoffice mehr Zeit mit ihren Kindern verbrachten.
Mögliche Ursachen für die Zunahme
Möglich sei auch ein Zusammenhang mit höherer psychosozialer Belastung, erklärt Kinderendokrinologin Gohlke. Frühere Studien hätten ergeben, dass Kinder in solchen Situationen körperlich früher reifen. Diskutiert werde zudem ein Gewichtseffekt: Viele Kinder aßen in der Pandemie mehr beziehungsweise bewegten sich merklich weniger – und Übergewicht gilt als einer der wichtigsten Faktoren für eine früh einsetzende Pubertät.
„Aber auch, wenn das Gewicht herausgerechnet wurde, blieb ein Plus an Fällen von Pubertas praecox“, sagt Gohlke. „Vermutlich handelt es sich um einen multifaktoriellen Effekt.“ Unklar sei bisher, ob er sich mit dem Abklingen der Pandemie wieder verflüchtige.
Biologische Grundlagen der Pubertät
Biologisch setzt die Pubertät mit der vermehrten Produktion von Geschlechtshormonen ein, wie der Münchner Endokrinologe Günter Stalla erklärt. Bei Jungen vergrößern sich demnach in der Folge Hoden und Hodensack, gefolgt von einer Verlängerung des Penis. Scham- und Achselhaare wachsen. Bei Mädchen entwickeln sich die Brüste, kurz darauf beginnt die Scham- und Achselbehaarung zu wachsen, Jahre später folgt die erste Regelblutung.
Daten eines Forschungsteams um Gohlke zufolge ist das durchschnittliche Alter bei Pubertätsbeginn bei Mädchen seit den 70er-Jahren um etwa drei Monate pro Jahrzehnt gesunken. Bei Jungen sei die Entwicklung ähnlich. Das Alter am Pubertätsende hingegen verschob sich in den vergangenen 50 Jahren nicht – die Pubertät dauert also im Mittel länger als früher. Kaum verändert hat sich auch das durchschnittliche Alter bei der ersten Regelblutung.
Einflüsse auf den Pubertätsbeginn
Prinzipiell sei vor allem genetisch festgelegt, wann die Hormonausschüttung und damit die Pubertätsmaschinerie anspringe, erklärt der Hamburger Endokrinologe Stephan Petersenn. Einfluss haben aber auch Faktoren wie anhaltende psychische Belastung und Ernährung. Übergewicht gilt als maßgeblich für die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte: Im Fettgewebe entstehe dann vermehrt der Botenstoff Leptin, der die Pubertät vorantreibe, so Petersenn, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Je dicker ein Kind, desto früher entwickelt es sich also zum Erwachsenen.
Das Einsetzen der Pubertät hänge also immer auch mit dem Lebensstandard in der Gesellschaft zusammen, so Petersenn. Es sei gut vorstellbar, dass es auch in der Vergangenheit immer wieder deutliche Schwankungen beim Startalter gegeben habe. Aktuell treffe eine verfrühte Pubertät Kinder aus sozial schwächeren Familien anteilig häufiger, weil sie öfter übergewichtig seien, sagt Stalla, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. „Gesundheit hängt von sozialem Status und Bildung ab, das zeigt sich auch hier.“
„Das Problem ist der Mangel an Studien“
Einfluss hat nach Annahme vieler Experten neben Übergewicht auch, dass Kinder heutzutage einem ganzen Cocktail hormonell wirkender Substanzen ausgesetzt sind. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Einfluss hat“, betont Gohlke. Auch Stalla und Petersenn sehen klare Anzeichen dafür. „Das Problem ist der Mangel an Studien“, erklärt Gohlke. Aus Tierversuchen ließen sich nur bedingt Rückschlüsse ziehen, klinische Studien am Menschen seien in dem Bereich nicht möglich.
Was bedeutet eine nach den aktuellen medizinischen Leitlinien zu früh einsetzende Pubertät für ein Kind? „Die einsetzende Pubertät ist ein Wachstumsbeschleuniger“, erklärt Stalla. Vorzeitig pubertierende Kinder schießen also zunächst rascher in die Höhe – doch es gibt bei ihnen einen gegenläufigen Prozess, der zur Folge hat, dass sie im Mittel letztlich kleiner bleiben als später in die Pubertät startende. Die Sexualhormone, die das Wachstum zunächst beschleunigen, sorgen auch dafür, dass es verfrüht endet, indem die Wachstumsfugen geschlossen werden.