Symbolische Gerechtigkeit wurde dadurch erreicht, dass die Familie eines Holocaust-Opfers Kunstwerke verkaufte, um mit ihrem Geld der Flucht vor der Nazi-Verfolgung zu entgehen und nach 83 Jahren das Gemälde von Matisse zurückzubekommen.
Ein Gemälde eines französischen Künstlers Henri Matisse soll an die Erben der deutsch-jüdischen Familie zurückgegeben werden, die nach ihrer Flucht vor Nazi-Deutschland zum Verkauf gezwungen waren.
Die Kommission für geplünderte Kunst in Europa stellte fest, dass Matisses Odaliske (1920-1921) wurde von der deutsch-jüdischen Familie Stern aus „Notwendigkeit“ verkauft, als Folge der Verfolgung, die sie im von den Nazis besetzten Amsterdam erfuhr. Die Untersuchungsergebnisse wurden vom niederländischen Komitee für Wiedergutmachung ratifiziert.
Das Stedeliijk Museum für moderne und zeitgenössische Kunst und Design in Amsterdam, das das Gemälde seit 1941 in seiner Sammlung hat, hat zugestimmt, das Gemälde an die Rechtsnachfolger von Albert Stern zurückzugeben.
Der wohlhabende Berliner Textilfabrikant Stern (1861-1945) war Mitbegründer Textilhaus Graumann & Stern im Jahr 1888 und überwachte dessen Wachstum zu einem der größten Damenbekleidungshersteller Deutschlands.
Sein Erfolg verschaffte der Familie das nötige Geld, um ihrer Liebe zur Kunst nachzugehen. Sterns Frau Marie, eine ausgebildete Künstlerin, war die treibende Kraft hinter der Schaffung der umfangreichen Kunstsammlung der Familie, die Werke von Edward MunchLovis Corinth und Vincent van Gogh.
Die Sterns gerieten ins Visier des Nazi-Regimes und wurden systematisch ihres Geschäfts und Besitzes beraubt. Die Produktionsfirma und das Familienhaus wurden verkauft – der Erlös ging an den deutschen Staat.
1936/37 emigrierte die Familie in die von den Nazis besetzten Niederlande, von wo aus sie mehrere Versuche unternahm, in ein freies Land zu fliehen. Die Umstände der Familie verschlechterten sich so sehr, dass sie gezwungen waren, ihren Besitz zu verkaufen, darunter Odaliske.
Nach mehreren gescheiterten Versuchen, aus dem von den Nazis besetzten Europa zu fliehen, wurden Albert Stern und seine Frau Marie in verschiedene Konzentrationslager in Deutschland deportiert. Marie überlebte und wanderte nach dem Krieg nach Großbritannien aus. Albert starb am 18. Januar 1945 auf tragische Weise im Internierungslager Schloss Laufen in Bayern. Er wurde 83 Jahre alt.
Erleichterung und Rückerstattung
Die Erben von Albert Stern zollten ihren Angehörigen in ihrer Reaktion auf die Entscheidung des niederländischen Rückerstattungsausschusses ihren Tribut und sagten: „Die Rückgabe von Matisse ist für uns alle ein bewegender und überwältigender Moment.
„Unsere Großeltern liebten Kunst, Musik und Theater, es war der Mittelpunkt ihres Lebens. In den wenigen Jahren, die wir nach dem Krieg bei uns hatten, hat unsere Großmutter diese Liebe an uns weitergegeben, und sie hat unser Leben seitdem bereichert. Die Entscheidung hat unserem Großvater symbolisch Gerechtigkeit verschafft.“
Rein Wolfs, Direktor des Stedelijk Museums Amsterdam, sagte: „Seit unserer 2013 veröffentlichten Untersuchung zu Kunst aus der Sammlung aus der Kriegszeit und der näheren Umgebung haben wir Fragen zur Herkunft dieses Werks.
„Das Thema wurde auch in der Ausstellung Das Stedelijk Museum und der Zweite Weltkrieg im Jahr 2015 beleuchtet. Dass wir gemeinsam mit den Erben, vertreten durch die Kommission für geplünderte Kunst in Europa, diesen Fall dem niederländischen Restitutionsausschuss vorlegen konnten, ist ein Fortschritt.
„Dieses Kunstwerk steht für eine sehr traurige Geschichte und ist mit dem unsäglichen Leid verbunden, das dieser Familie zugefügt wurde. Der Beschluss des Restitutionsausschusses wird dieser Geschichte gerecht und wir folgen selbstverständlich seinem verbindlichen Rat.“
Touria Meliani, Kulturrätin der Gemeinde Amsterdam, die Odalisque gekauft hat, sagte: „Das Leid, das der jüdischen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs zugefügt wurde, ist beispiellos und unumkehrbar.
„Jüdischen Bürgern wurden ihr Eigentum, ihre Rechte, ihre Würde und in vielen Fällen auch ihr Leben genommen. Soweit das ihnen angetane große Unrecht wiedergutgemacht werden kann, haben wir als Gesellschaft die moralische Verpflichtung, entsprechend zu handeln.
„Die Rückgabe von Kunstwerken, wie dem Odalisken-Gemälde, kann für die Opfer viel bedeuten und ist für die Anerkennung des ihnen angetanen Unrechts von großer Bedeutung. Als Stadt haben wir dabei eine Rolle und Verantwortung.“