Hoher Überraschungsbesuch in Berlin: Die Witwe des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, mischt sich unter Demonstranten vor der russischen Botschaft.
In der Schlange zum Wahllokal in der russischen Botschaft in Berlin schreien die einen „danke“, die anderen „Dumme“, als Julia Nawalnaja durchgeht. Warum die Witwe von Kremlkritiker Alexej Nawalny ausgerechnet in die deutsche Hauptstadt gekommen ist, um an der Präsidentschaftswahl teilzunehmen? Ob sie Angst hat, in die Botschaft hineinzugehen? Das bleibt unklar. Nawalnaja und ihr Team beantworten die Fragen von Journalisten vor Ort mit Schweigen. Fotos mit Demonstranten macht sie hingegen gern. Einige von ihnen haben Schilder dabei, andere sind in Ukraine-Farben gekleidet.
An der russischen Botschaft in Berlin Unter den Linden haben sich nach Angaben der Polizei etwa 2.000 Wählerinnen und Wähler sowie 500 bis 800 Demonstrantinnen und Demonstranten versammelt. Zahlreiche Menschen schwenken Fahnen in Weiß-Blau-Weiß, was die neuen Farben eines freien Russlands sein sollen, wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer sagen.
In einer langen Schlange reihen sich Wählerinnen und Wähler ein, um am letzten Tag der dreitägigen russischen Präsidentschaftswahl einen Stimmzettel abzugeben. Die zwei Gruppen sind nur optisch klar voneinander zu trennen – viele in der Schlange scheinen den Demonstranten zuzustimmen.
Kritik an Wahl in Russland
Auf dem Platz vor der Botschaft ist eine Figur des russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgebaut, die in einer Wanne in ukrainischen Nationalfarben sitzt und sich mit Blut wäscht. Jemand hat als Protestaktion Schredder für vermeintliche Wahlzettel aufgebaut – erläutert mit den Worten „Probieren Sie russische Demokratie aus“.
Die Präsidentenwahl ist von Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschattet. Einen Monat nach dem Tod Alexej Nawalnys und mehr als zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine will sich Kremlchef Putin seine fünfte Amtszeit sichern. Er steht schon im Vorhinein als Sieger fest und dürfte sich ein Rekordergebnis bescheinigen lassen.
Das frustriert viele Wahlberechtigte, so auch Konstantin. Er ist erklärter Putin-Gegner und an diesem Sonntag mit einem Freund auf dem Weg zur russischen Botschaft. Dort will er wählen gehen. Angst hat er keine. Sein Freund hingegen dürfe nicht wählen, weil er aus Russland geflohen sei, berichtet er t-online. Auf dem selbstgebastelten Schild der beiden steht unter anderem „no war“ („Kein Krieg“) und „Stop Putin“.
Irina teilt die Aussagen der beiden. Statt eines Schildes trägt sie die Worte direkt am Körper. Sie ist in einem blauen Mantel mit gelbem Schriftzug zur Botschaft gekommen. Auf ihrem Kleidungsstück steht auf Englisch: „Beendet den Krieg und steht auf Seiten der Ukraine“. Auf ihre Tasche hat sie ein Verbotsschild mit Putins Konterfei befestigt. Dass sie in diesem Aufzug nun für die Wahl die Botschaft betreten wird, macht ihr ein mulmiges Gefühl, berichtet sie einem t-online-Reporter.
„Man kann ins Gefängnis kommen“
Nicht alle gehen so offen mit ihrer Putin-Ablehnung um. Eine junge Frau mit Pelzmantel und dunkler Sonnenbrille (unten links im Bild) sagt, sie habe sich in der Botschaft nicht als Putin-Gegnerin outen wollen – aus Angst. „Man kann ins Gefängnis kommen“, sagt sie. Ihren Namen will sie nicht in den Medien lesen.