Berlin Der Kanzler und sein Finanzminister waren bester Laune. „Dir, lieber Christian, wünsche ich alles Gute für die Arbeit“, flötete Olaf Scholz (SPD) in Richtung Christian Lindner (FDP). „Ich struggle gerne Bundesfinanzminister und ich bin mir sicher, du wirst es auch sein.“
Am Donnerstagmittag struggle die offizielle Amtsübergabe der beiden im Matthias-Erzberger-Saal des Finanzministeriums. Lindner bedankte sich herzlich bei Scholz für die warmen Worte, aber auch für die Leitung der Koalitionsverhandlungen, die das Ampelbündnis ermöglicht und den FDP-Politiker dort hingebracht haben, wo er hin wollte: ins Bundesfinanzministerium.
Was wird Lindner nun aus diesem Amt machen? Das fragen sich nicht nur die Kabinettskollegen, die auf Geld aus dem Haushalt angewiesen sind, sondern auch die europäischen Accomplice. Wie viel von dem „Wumms“, für den Scholz als Finanzminister in der Coronapandemie sorgte, wird bei seinem Nachfolger übrig bleiben?
Der Nachtragsetat für das laufende Jahr ist die erste Aufgabe, die Lindner bewältigen muss. Dabei wird ihm der erfahrenste Experte helfen, den er finden konnte: Werner Gatzer ist seit 16 Jahren Haushaltsstaatssekretär, er diente Ministern der CDU und der SPD, zuletzt Scholz.
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Nun darf er auch unter einem FDP-Ressortchef weitermachen. Das hatten viele im Haus erwartet, Lindner verkündete es bei der Amtsübergabe offiziell.
Aus dem Finanzministerium soll ein „Ermöglichungsministerium“ werden, wie Lindner es bezeichnet. Er will das Geld auftreiben für die großen Investitionsvorhaben der Ampel, sei es in Digitalisierung oder Klimaschutz. Zugleich wolle man die Schuldenbremse „achten“, mit dem Steuergeld „sparsam“ umgehen und auf „fiskalische Stabilität“ in Deutschland und Europa pochen. Es klingt ein wenig wie die finanzpolitische Quadratur eines Kreises, die Lindner vor seinen Mitarbeitern ankündigte.
Der neue Spielraum
Schon der Koalitionsvertrag zeigt eine gewisse Spannbreite. SPD, Grüne und FDP verständigten sich darauf, die Schuldenbremse ab 2023 wieder einzuhalten. Gleichzeitig hat die Ampel sich etliche Wege eröffnet, wie sie sich an der Schuldenbremse vorbei doch mehr Geld besorgen kann.
So soll mit den Schulden, die in diesem Jahr nicht gebraucht werden, eine Rücklage für Klimaausgaben von mindestens 55 Milliarden Euro aufgebaut werden. Und bis zu zehn Milliarden Euro mehr im Jahr könnte die Ampel ausgeben, wenn sie die Konjunkturkomponente in der Schuldenbremse so verändert, dass sie etwas mehr Spielraum lässt.
Rund 25 Milliarden Euro könnten als Kapitalspritze oder Eigenkapital an Staatsunternehmen wie die Deutsche Bahn fließen. Der Vorteil: Dies engt den Spielraum unter der Schuldenbremse nicht ein.
Lisa Paus, für Finanzen zuständige Fraktionsvize der Grünen, wehrt sich gegen den Vorwurf, die Ampel habe im Koalitionsvertrag zu Haushaltstricks gegriffen. „Das ist ziemlich clear, was wir da gemacht haben“, sagt Paus. Denn alles Weitere hänge nun von der faktischen Ausgestaltung ab – additionally von Lindner.
Zusätzliche Einnahmen könnte laut Paus auch noch die Lkw-Maut bringen, die Grünen-Politikerin taxiert die möglichen Mehreinnahmen auf rund vier Milliarden Euro. Durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen könnte der Bund zudem fünf Milliarden Euro einsparen.
Gleichzeitig pochen die Grünen darauf, dass die für die Wirtschaft geplanten Superabschreibungen nicht zu großzügig und damit zu teuer für den Fiskus werden. Paus veranschlagt die Kosten bei zwei bis drei Milliarden Euro.
„Insgesamt ist die deutsche Finanzpolitik auf einem halbwegs expansiven Kurs“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum. „Durch das Ausschöpfen aller Instrumente, die im Koalitionsvertrag beschrieben sind, kann man schon ordentlich Geld mobilisieren und auf dem expansiven Kurs bleiben. Die große Frage wird sein, ob Lindner die Instrumente nutzt.“
Bei der FDP gibt es etliche Vorbehalte, die Schuldenbremse zu sehr auszutricksen. Weder sind die Liberalen bereit, die Konjunkturkomponente in der Schuldenbremse zu stark zu reformieren, noch bei der Klima-Rücklage aus dem Vollem zu schöpfen.
„Wir erwarten in der Finanzpolitik mehr vom Gleichen“, sagt Berenberg-Ökonom Holger Schmieding. „Deutschland steuert weder auf Sparmaßnahmen noch auf eine fiskalische Revolution zu.“ Schmieding hält es ohnehin für eine Mär, dass Deutschland in den vergangenen Jahren eine sparsame Finanzpolitik gefahren habe.
So stiegen die Konsumausgaben des Staates in Deutschland seit quick zehn Jahren stärker als anderswo in Europa. Gleichzeitig ist auch der Anteil der öffentlichen Investitionen am Bruttoinlandsprodukt seit 2015 wieder gestiegen.
„Geld struggle in den letzten fünf Jahren nicht das größte Hemmnis für die deutschen öffentlichen Investitionsausgaben“, sagt Schmieding. Stattdessen bremsten langwierige Planungs-, Genehmigungs- und gerichtliche Überprüfungsverfahren.
Es gibt auch andere Stimmen. Ökonom Südekum hält immense Investitionen für notwendig, um die Wirtschaft ökologisch umzubauen. Er rät der Ampel, aus dem Vollen zu schöpfen: „Beim Nachtragshaushalt 2021 sollte die Bundesregierung sich einen ordentlichen Puffer aufbauen. Sollten die Folgen von Omnikron wirklich schlimm werden, kann sicher auch 2023 noch einmal die Notfalloption der Schuldenbremse gezogen werden.“
Entspannterer Umgang mit Schulden
Laut einer repräsentativen Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sind die Deutschen, was das Thema Schulden angeht, entspannter geworden. Demnach hat sich die Einstellung der Bevölkerung zur öffentlichen Verschuldung in den vergangenen Monaten geändert.
Das IMK hatte zuerst unmittelbar nach der Bundestagswahl und dann kurz vor der Vorstellung des Koalitionsvertrags rund 1000 Personen befragt. Hatte bei der ersten Befragung noch der Anteil derer überwogen, die den Abbau öffentlicher Schulden schnell umsetzen wollen, antworteten die meisten nun (36 Prozent), dass das keine Priorität habe.
Zuvor lag dieser Anteil noch bei unter 30 Prozent. Gerade unter den FDP-Anhängern ging der Anteil jener deutlich zurück, die eine Priorität beim Schuldenabbau sehen. Die Ergebnisse könnten für die Ampel und Lindner „Unterstützung für zusätzliche Investitionen sein“, schreiben die IMK-Ökonomen Jan Behringer und Sebastian Dullien.
Auch die europäischen Accomplice und Organisationen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) drängen Deutschland schon länger, mehr zu investieren. Gleichzeitig plädieren sie dafür, die EU-Schuldenregeln zu lockern. Lindner hat das immer skeptisch gesehen, zuletzt aber Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Und auch der Koalitionsvertrag öffnet Türen für eine Reform der Schuldenregeln. Am Donnerstagnachmittag wollte Lindner mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire telefonieren. Am Montag wird er nach Paris fliegen. Le Maire hatte kürzlich schon im Handelsblatt-Interview gefordert, die europäischen Schuldengrenzen anzuheben.
Für die schwierigen Verhandlungen auf EU-Ebene hat sich Lindner ebenfalls einen erfahrenen Experten an seine Seite geholt: Der langjährige EU-Beamte Carsten Pillath kehrt ins Finanzministerium zurück und wird Staatssekretär für Europa- und Finanzmarktpolitik.
Und noch jemand könnte Lindner unterstützen, wenn es darum geht, zu hohe Schulden in Deutschland, aber auch in Europa abzuwehren. Solide Finanzen seien nötig, weil die nächste Krise kommen werde, sagte Scholz bei der Amtsübergabe mit Lindner. Unklar sei nur, wann dies genau geschehen werde, so der Kanzler. „Aber wir müssen uns selbstverständlich darauf vorbereiten.“
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