Berlin Der große Musik-Fan Lars Klingbeil beginnt seine Rede auf dem SPD-Parteitag am Samstag mit einem Zitat der Indie-Rockband Kettcar. „Nur weil man sich so dran gewöhnt hat, ist es nicht regular.“ Klingbeil spielt damit auf die lange CDU-Regierung an. Nun klopfe das Land Staub ab, die SPD habe das Land vom „Muff der Konservativen befreit“, ruft er in den Saal.
Klingbeil hat zu dem Sieg der SPD bei der Bundestagswahl als Generalsekretär einen entscheidenden Beitrag geleistet. Damit hat er sich für noch höhere Ämter qualifiziert: Mit 86, 3 Prozent wurde der Niedersachse zum neuen SPD-Parteichef neben Saskia Esken gewählt. Sie erhielt mit 76,7 Prozent der Stimmen ein etwas schwächeres Ergebnis.
Klingbeil ist damit jetzt der Mann für die Zeit nach Scholz. Scholz ist zwar erst seit wenigen Tagen Bundeskanzler. Aber Lars Klingbeil ist mit seinen 43 Jahren auch der jüngste Parteichef, den die SPD je hatte. Wenn Scholz nach acht Jahren als Bundeskanzler abtreten sollte, wäre Klingbeil immer noch erst 51 Jahre alt.
Klingbeil sagt, er habe ein „Interesse daran, ein bisschen länger Parteichef zu sein und das Amt und die Partei auch zu prägen“. Die Neuaufstellung der SPD sei trotz des Wahlsieges nicht abgeschlossen. „Wir haben viel erreicht, aber wir haben auch noch viel vor. Wir stehen an der Schwelle eines sozialdemokratischen Jahrzehnts“, sagte Klingbeil in seiner Bewerbungsrede als Parteichef.
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Nächstes Jahr stehen vier Landtagswahlen an, unter anderem in Nordrhein-Westfalen, der Herzkammer der SPD, und in Niedersachsen, Klingbeils Heimat. So, wie der neue Kanzler Scholz wegen Corona keine Schonfrist bekommt, so wird auch die neue SPD-Spitze kaum eine bekommen.
Gesellschaftlicher Wandel ist zentrales Thema
Als neuer Parteichef will Klingbeil die SPD programmatisch weiterentwickeln, nachdem er als Generalsekretär viel organisieren musste. „Ich freue mich darauf, jetzt ein bisschen rauszukommen aus dem Hamsterrad des Organisatorischen. Ich bin ja in der Politik, weil ich das Land gestalten will.“
Zentrales Thema für den Politikwissenschaftler ist der Wandel der Gesellschaft. Er will die großen Umbrüche, die anstehen – in der Bildung, im Sozialstaat, durch die Digitalisierung – unter der Überschrift „Transformation“ zu einem Gesamtkonzept zusammenfügen.
Klingbeil hat deshalb zuletzt verstärkt Experten um sich geschart, etwa die Transformationsforscherin Maja Göpel, die Wissenschaftlerin Laura-Kristine Krause von „Extra in Frequent“ oder Experten aus dem Umfeld der IG Metall.
Ein bisschen Bammel vor dem Amt hat der SPD-Chef aber schon: „Ich weiß, in welche Fußstapfen ich trete. Ich muss mir nur die Ahnengalerie angucken, Willy Brandt und Gerhard Schröder, Franz Müntefering und Kurt Schumacher, das sind Leute, die ich teilweise aus dem Geschichtsunterricht kenne“, sagte Klingbeil in einem Interview.
Zu Alt-Kanzler Schröder hat Klingbeil einen engen Draht. Anfang der 2000er arbeitete Klingbeil in dessen Wahlkreisbüro, wurde zum Zögling des Altkanzlers. Allerdings will Klingbeil einige Fehler Schröders nach dessen Wahlsieg 1998 nicht wiederholen.
Sein gutes Netzwerk dürfte Klingbeil helfen
Klingbeil setzt darauf, dass Scholz anders als Schröder zu Amtsbeginn weniger Fotos in teuren Anzügen produziert, und stattdessen mehr gute Politik liefert. Und anders als Rot-Grün 1998 will Klingbeil dafür sorgen, dass nach dem Wahlsieg die Partei nicht vernachlässigt wird. All das sei die Grundlage dafür, dass die SPD bei den anstehenden Landtagswahlen nach der Bundestagswahl dieses Mal nicht untergeht.
Die größte Herausforderung für Klingbeil wird aber wohl in etwas anderem liegen: einerseits konstruktive Kritik an der Regierung zu üben, um das Profil der SPD sichtbar zu halten und zu schärfen. Und andererseits Regierungs-Kompromisse in den eigenen Reihen zu verteidigen. In der Ampel mit der FDP können sich auch schnell Enttäuschungen einstellen, insbesondere im linken Parteiflügel.
Ein Vorteil: Klingbeil zählt zwar zum konservativen Parteiflügel, ist aber in der gesamten Partei intestine vernetzt, insbesondere unter den Jüngeren.
Das liegt an Klingbeils für politische Verhältnisse quick noch jugendlichem Alter und daran, dass der Soldatensohn noch gar nicht so lange in politischen Spitzenfunktionen ist. Nur weil die personelle Fluktuation in der SPD so hoch struggle – Klingbeil diente in vier Jahren als Generalsekretär allein acht Vorsitzenden – fühlt es sich so an, als sei der hochgewachsene Niedersachse schon ewig dabei.
Nach der verlorenen Wahl 2017 hatte Martin Schulz Klingbeil als Generalsekretär geholt, er sollte das junge Gesicht der neuen SPD werden. Aufgefallen struggle Klingbeil zuvor als Digitalpolitiker und wegen seines überraschenden Wahlsiegs in seinem bis dahin schwarzen Heide-Wahlkreis.
Nach dem nächsten noch viel größeren Wahlsieg bei der Bundestagswahl 2021, den Klingbeil organisierte, struggle klar: Wenn der 43-Jährige nach dem Rückzug von Norbert Walter-Borjans neuer Parteichef in einer Doppelspitze mit Saskia Esken werden will, würde ihm dies niemand streitig machen können.
In den vier Jahren davor lief für ihn als Generalsekretär allerdings längst nicht alles rund. Klingbeil wurde anfangs vorgeworfen, zu wenig inhaltliche Impulse zu setzen. Zwar berief er „Debattencamps“ ein und ließ junge Parteigruppen in hippen Places um die besten Ideen für die Zukunft der SPD „pitchen“. Klingbeil selbst trage aber zu wenig zur inhaltlichen Erneuerung der SPD bei, hieß es.
Klingbeil interpretierte seinen Job hingegen anders. Er sah vor allem die organisatorischen Defizite der SPD – und konzentrierte sich darauf, diese zu beheben. Ohne eine bessere Organisation wäre die SPD bei der Wahl 2021 so oder so chancenlos, struggle Klingbeils Überzeugung.
Auch gab es immer wieder Kritik, Klingbeil sei zu nett für den Job, greife den politischen Gegner zu wenig an. Klingbeil findet hingegen, diese Lautsprecher-Politik habe sich überholt. Er zählt sich zu den jüngeren Politikern, die einen neuen Politikstil prägen wollen. „Politik sollte nicht Krawall sein. Wir haben die Wahl doch durch Teamplay gewonnen“, sagte Klingbeil in seiner Rede.
Zu diesem neuen Stil zählt auch der Auftritt. In den vergangenen Tagen rief Klingbeil auf Twitter dazu auf, ihm Zitate der Band „Kettcar“ zu schicken, damit er sie in seine Bewerbungsrede als Parteichef einbauen kann – was er dann direkt zu Beginn auch tat.
Klingbeil spielte früher in der Rockband „Sleeping Silence“, in seinem Büro in der SPD-Parteizentrale hängt in der Ecke eine Gitarre, nicht unweit davon ein Trikot von Bastian Schweinsteiger. Fußball ist wie Musik eine Leidenschaft, die Klingbeil mit dem neuen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert teilt. Das verbindet. Kühnert und Klingbeil bezeichnen sich als „Freunde“.
Nun sollen beide als neues Führungsgespann die SPD in den nächsten Jahren prägen. Klingbeil dürfte als Parteichef eine eher präsidiale Rolle einnehmen, während Kühnert auch mal stärker zuspitzen kann.
Zur Jobbeschreibung des 32-Jährigen Kühnert, der in der Vergangenheit oft auch in der Partei polarisierte, gehört allerdings auch, die SPD zusammenhalten. Die Rolle des früheren Juso-Cooks in der SPD wird damit neu interpretiert: Wie bisher muss Kühnert sein Ohr an der Foundation haben, er wird aber noch mehr als zuletzt als Parteivize in der Partei vermitteln müssen.
Mit der Wahl Kühnerts und Klingbeils ist die nach der Wahlniederlage 2017 so oft beschworene „Erneuerung der SPD“, der Generationenwechsel vollzogen. Wenn auch unter völlig anderen Umständen als gedacht. Neben der Partei thront jetzt schließlich Olaf Scholz im Kanzleramt. Der saß auf dem Parteitag natürlich in der ersten Reihe, ganz vorn.
Mehr: Olaf Scholz – Wer ist der neue Kanzler?