1962 brachen drei Mädchen während des Unterrichts in Gelächter aus. Es war der Startpunkt einer Epidemie, die über ein Jahr lang anhalten sollte.
In einem deutschen Mädcheninternat in Tansania fingen am 30. Januar 1962 drei junge Mädchen an zu lachen – und hörten nicht mehr auf. Zunächst gingen die Lehrkräfte von einem pubertären Lachanfall aus. Doch als tausende Menschen in der ganzen Region plötzlich und unkontrolliert lachten, war klar: Irgendetwas stimmte nicht.
In einem Artikel der Fachzeitschrift „Central African Journal of Medicine“ berichteten zwei Ärzte im Mai 1963 von den kuriosen Vorkommnissen. Demnach hätten drei Mädchen im Alter von 12 bis 18 Jahren plötzlich unkontrolliert zu lachen begonnen. In dem von Missionaren betriebenen Internat im Dorf Kashasha dachte man sich zunächst nichts dabei.
Schule musste schließen
Erst als das Lachen auch auf andere Schülerinnen übersprang, wurden die ersten Lehrkräfte stutzig. Als am 18. März 1962 schließlich 95 der 159 Schülerinnen dem unkontrollierten Lachen verfallen waren, zog man Konsequenzen. Die Schule wurde vorübergehend geschlossen. Viele der Mädchen kehrten in ihre Heimatdörfer zurück – ein Fehler, wie sich später zeigen sollte.
Denn nun fingen auch in diesen Dörfern Menschen plötzlich an zu lachen. Zehn Tage nach der Schulschließung traten erste Fälle der Lachepidemie im Dorf Nshamba auf. Innerhalb von zwei Monaten stimmten 217 Bewohner in das Gelächter mit ein. In der gesamten Region rund um die östlich des Victoriasees gelegene Stadt Bukoba wurden immer mehr Ansteckungen gemeldet. Eine weitere Mädchenschule, in deren Nähe aus Kashasha Heimgekehrte wohnten, musste ebenfalls schließen.
Betroffene zeigten übertriebene Reflexe und hatten geweitete Pupillen. Ansonsten ging es ihnen körperlich gut. Die Lachanfälle traten in Schüben auf. Schnell fiel auf, dass sich die Lachanfälle mit Weinkrämpfen, Geschrei und Angstzuständen abwechselten. Zum Großteil waren jüngere Menschen von den Lachanfällen betroffen. Doch auch vor Älteren machte das zwanghafte Gelächter nicht halt.
Wissenschaftler sind ratlos
So berichteten die Ärzte in ihrem Artikel von einem 52-Jährigen, dem „irgendetwas“ befohlen hatte zu lachen, zu weinen und zu schreien. Eine Lösung für das Problem hatten die Mediziner nicht, auch einen Namen für die Lachkrankheit hatten sie nicht. Einheimische sprachen schlicht von „Akajanja“ („Wahnsinn“). Als die Forscher ihren Text veröffentlichten, breitete sich die Lachepidemie noch weiter aus.
Wie lange die Seuche anhielt, ist unklar. Einige Quellen sprechen von einem Jahr. Andere von etwa 1,5 Jahren. Sicher ist, dass irgendwann die Epidemie so schnell wieder verschwand, wie sie aufgetaucht war. Doch damit begann das Rätsel erst richtig.
Mysterium gelöst?
Denn nun versuchten Wissenschaftler herauszufinden, was genau passiert war. Die Theorie einer Viruserkrankung hatte sich bereits während der Epidemie als unhaltbar erwiesen. Im Blut der Betroffenen ließen sich keine Viren nachweisen. Eine andere Theorie ging von toxischen Substanzen in Lebensmitteln aus. Doch andere, die dieselben Lebensmittel gegessen hatten, blieben verschont.
Erst 40 Jahre nach den Geschehnissen von Tansania konnte ein Linguist die kuriosen Vorkommnisse erklären. Im Gespräch mit der Tageszeitung „Chicago Tribune“ stellte Christian F. Hempelmann die Ergebnisse seiner Forschung vor. Demnach habe es sich bei der mysteriösen Krankheit um eine Massenhysterie gehandelt. Diese sei vor allem auf Stress zurückzuführen.
„Letzter Ausweg für Leute mit niedrigem Status“
Tatsächlich hatten in Tansania die 1960er-Jahre turbulent begonnen. Einen Monat vor Ausbruch der Lachepidemie, im Dezember 1961, hatte Tansania seine Unabhängigkeit von Großbritannien erklärt. Die neu errungene Freiheit ging mit einer großen Ungewissheit einher. Neben den politischen Neuerungen war das Land von Armut und Malaria-Plagen gebeutelt. Gewalt gegen Frauen gehörte zur Tagesordnung. Viele junge Menschen gaben an, Druck von Lehrern und Eltern zu verspüren. Ihr einziges Ventil waren sozusagen die Lachanfälle.
Laut Hempelmann treten Massenhysterien „normalerweise in einer Gruppe von Menschen auf, die nicht über viel Macht verfügen“. Dem Wissenschaftler zufolge gibt es in diesen Fällen „einen zugrunde liegenden gemeinsamen Stressfaktor in der Bevölkerung“. Massenhysterien dienen dann als eine Art „letzter Ausweg für Leute mit niedrigem Status. Für sie ist es eine einfache Möglichkeit auszudrücken, dass etwas nicht stimmt“.