Bohrkopf bei der Erstellung der Geothermieanlage Freiham
Köln Die Rohre sind verlegt, auch die Träger stehen schon. Auf einem Gelände neben dem Klärwerk bauen die Stadtwerke Lemgo an der Zukunft der Wärmeversorgung. Von April an sollen hier Solarkollektoren Energie für das Fernwärmenetz liefern. Das versorgt derzeit 2.000 Häuser vor allem in der Altstadt mit Raumwärme und Warmwasser. In diesem Jahr baut die Stadt zudem eine neue Wärmepumpe am Fluss Bega. Die macht sich zunutze, dass das Wasser im Winter eine höhere Temperatur als die Umgebungsluft hat. Insgesamt elf Millionen Euro werden investiert, eine Förderung kommt vom Bund.
„Wir wollen Schritt für Schritt unabhängiger von der Wärmeerzeugung mit fossilen Brennstoffen werden“, erläutert Daniel Steube, Projektleiter bei den Stadtwerken Lemgo. Durch die neuen Anlagen werde der Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeproduktion von zwölf auf 25 Prozent steigen. Doch das ist nur ein Zwischenschritt. Bis 2045 soll Lemgo klimaneutral sein – so hat es sich die 41.000-Einwohner-Stadt im Kreis Lippe auf die Fahnen geschrieben.
Mit dem Umbau des Wärmenetzes gehen Steube und seine Kollegen einen Sektor an, der bei der Energiewende lange vernachlässigt worden ist. Laut einer aktuellen Analyse der Denkfabrik Agora Energiewende hat der Gebäudesektor das zweite Jahr in Folge die Klimaziele verfehlt. Dabei steht er für rund 15 Prozent der Gesamtemissionen und hat eine hohen Anteil am Endenergieverbrauch. Das Downside: Für das Heizen und die Warmwasseraufbereitung werden noch immer überwiegend Öl und Fuel verfeuert, auch die Gebäudesanierung kommt nur langsam voran. Wie die Kehrtwende noch gelingen kann, ist auch Thema beim Energie-Gipfel des Handelsblatts.
Die Fernwärmenetze gelten als Schlüssel, um Tempo bei der Wärmewende zu gewinnen. Sie decken aktuell immerhin 14 Prozent des Wärmebedarfs von Wohngebäuden. Und viele Städte bauen die Netze aus. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass die Betreiber mit Investitionen in Erneuerbare vielen Haushalten zugleich zu einer besseren Klimabilanz verhelfen. Abnehmer sind oft große Wohnungsgesellschaften. Ungleich langwieriger ist es, Eigenheimbesitzer zum Austausch alter Heizungen zu bewegen.
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Ersatz für zentrale Kraftwerke
Die Versorger und Kommunen steuern um. „Wie schon im Stromsektor treten an die Stelle weniger zentraler Kraftwerke viele kleiner Erzeuger“, sagt Elisa Dunkelberg, Wissenschaftlerin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Nötig sei eine kommunale Wärmeplanung, um Strom- und Wärmeerzeugung aufeinander abzustimmen und Potenziale für erneuerbare Energien zu identifizieren. Für Berlin liefert das IÖW im Projekt „Urbane Wärmewende“ dafür wichtige Bausteine. Unter anderem wurde für das Stadtgebiet durchgerechnet, welche Artwork von Anlagen sinnvoll ist – mit teils überraschenden Ergebnissen.
So kamen die Forscher zu dem Schluss, dass sich rund fünf Prozent des Wärmebedarfs über die Kanalisation decken ließen. Möglich wäre das mit Wärmepumpen. In den Geräten zirkuliert ein Kältemittel, das der Umgebung Wärme entzieht und dabei verdampft. Ein Kompressor verdichtet den Dampf, der dadurch heißer wird und seine Wärme an einen Heizkreis abgeben kann. Das verbraucht zwar Energie, ist aber sehr effizient – und mit Ökostrom klimaneutral. Nach diesem Prinzip betreibt auch Lemgo bereits eine Wärmepumpe am Klärwerk. „Abwasserwärme ist sehr dankbar. Sie steht in allen Städten ganzjährig zur Verfügung“, sagt Dunkelberg. Andere Optionen hingen stark von örtlichen Begebenheiten ab.
Um die Komplexität des Umbaus in Großstädten zu reduzieren, schlagen die Forscher vor, öffentliche Gebäude zu „Keimzellen klimaneutraler Quartierswärme“ zu machen. So sei es zum Beispiel möglich, auf Schuldächern und Verwaltungsgebäuden Solarthermieanlagen zu installieren, die auch umliegende Gebäude mit Wärme versorgen. Angebunden werden könnten etwa Häuser kommunaler Wohnungsbauunternehmen. Doch es gibt Hürden bei der Umsetzung. „Wenn so viele Akteure involviert sind, stellt sich die Frage, wer das Projektmanagement übernimmt“, sagt Dunkelberg.
Während in Berlin noch geplant wird, ist man in der nordwestlich gelegenen Nachbarstadt Hennigsdorf schon weiter. Historisch bedingt ist dort ein Gros der Wohnhäuser an das Fernwärmenetz angeschlossen. Schon jetzt liegt der Anteil klimaneutraler Erzeuger bei 65 Prozent, bald sollen es 80 Prozent sein. Dazu tragen ein Bioerdgas- und ein Biomasse-Kraftwerk bei. Zudem wird seit 2020 wird die Abwärme eines lokalen Stahlwerks in das Netz gespeist. „Das ist eine Win-win-State of affairs. Das Unternehmen erhält eine Vergütung, wir zahlen aber deutlich weniger als für andere Brennstoffe“, sagt Christoph Schneider, Geschäftsführer der Stadtwerke Hennigsdorf.
Für die Kunden sieht die Rechnung indes anders aus. Der hohe Anteil regenerativer Energie führt dazu, dass die Fernwärme in Hennigsdorf bisher überdurchschnittlich teuer ist. Doch das könnte sich ändern, wenn die CO2-Preise steigen– oder es wie aktuell Engpässe bei Erdgas gibt. Während andere Wärmeversorger Abschlagszahlungen teilweise verdoppelt haben, sind die Preise in Hennigsdorf zuletzt um average zehn Prozent gestiegen. „Regenerative Energien erscheinen gerade in einem neuen Licht“, sagt Schneider.
Der von der Kommunalpolitik forcierte Wandel geht weiter. Aktuell ist ein Multifunktions-Wärmespeicher im Bau, der 18.000 Kubikmeter Wasser enthält. Zum Vergleich: Rund 500 Kubikmeter Wasser fasst das große Becken im Schwimmbad der Stadt. Hinzu kommen Solarkollektoren. „Eine große Herausforderung ist das optimale Zusammenspiel der Anlagen“, sagt Schneider. Für das „Wärmedrehscheibe“ getaufte Konzept wurde eine eigene Steuerungsanlage entwickelt.
Erdwärme als Hoffnungsträger
Technisch einen anderen Weg hat München eingeschlagen. Dort vertraut man vor allem auf Erdwärme. Aktuell gibt es zwei Geothermie-Anlagen im Stadtgebiet, eine dritte wird gerade in Betrieb genommen, weitere sind in Planung. Das Prinzip: Aus großer Tiefe wird heißes Thermalwasser nach oben befördert, über Wärmetauscher geleitet und wieder in die Erde gepumpt. Die Anlagen sind der wichtigste Baustein bei dem Vorhaben, die Fernwärme bis 2040 klimaneutral zu machen. Bisher liegt der Anteil der Erneuerbaren in München bei 13 Prozent.
Der Vorteil der Technologie: Sie funktioniert zu jeder Tages- und Jahreszeit und ist im Betrieb günstig. Allerdings sind die Investitionskosten hoch. Die bis zu vier Kilometer tiefen Bohrungen kosten zehn bis 15 Millionen Euro, sagt Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG. Eine komplette Anlage sei bis zu 50 Millionen Euro teuer.
Nach Einschätzung des Experten ist Geothermie dennoch unerlässlich für die Wärmewende. Seinen Berechnungen zufolge lasse sich bis zu einem Drittel der Wärmeerzeugung so decken. „Das Geothermie-Potenzial und die Wärmebedarfe etwa von Städten decken sich geografisch erstaunlich intestine“, sagt Bracke. Anders als oft angenommen, sei nicht nur der Münchener Raum für die Technologie geeignet – dass dort ein Großteil der deutschlandweit 40 Anlagen steht, sei auf die hohe Investitionsbereitschaft der vergleichsweise wohlhabenden Kommunen in Bayern zurückzuführen.
Anderswo sei der Untergrund schlicht noch unzureichend erkundet, sagt Bracke: „Es gab in der Vergangenheit wenig Anreize – mit dem Kohleausstieg denken jetzt viele Kommunen um.“ In gleich mehreren Projekten ist das Fraunhofer IEG aktuell bei Potenzialanalysen in Nordrhein-Westfalen involviert, darunter in Aachen. Schon die Römer nutzten dort warmes Thermalwasser. Bracke hofft, dass die neue Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, Geothermie stärker fördert. Regulatorische Hürden müssten gesenkt, der Markteintritt erleichtert werden. Technisch seien entsprechende Anlagen ausgereift – auch wenn es etwa bei den Bohrmethoden noch Verbesserungspotenzial gebe.
Um Tiefenwärme für kommunale Netze nutzbar zu machen, muss es aber nicht immer kilometerweit nach unten gehen. Am Fraunhofer-IEG-Standort in Bochum erproben die Forscher derzeit einen anderen Ansatz. Dort entzieht bald eine Wärmepumpe dem Grubenwasser eines ehemaligen Bergwerks Wärme und speist sie in das bisher aus fossilen Quellen betriebene Fernwärmenetz ein. Auch als saiso‧naler Speicher etwa für Solarthermie-Anlagen könnten Kohlegruben dienen. „Die bestehende Infrastruktur aus der alten Energiewelt findet so eine neue Verwendung“, sagt Bracke.
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