Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP beginnt mit den konkreten Berechnungen für die Kindergrundsicherung. An diesem Dienstagabend besprechen sich dazu erstmals Vertreter aller sechs Ministerien, die für die Particulars zur neuen Familienförderung zuständig sind.
Dabei handelt es sich um das Finanz-, Justiz-, Arbeits-, Bildungs- und Bauministerium, wie das federführende Familienministerium auf Anfrage mitteilte. Diese „interministerielle Arbeitsgruppe“ wird über Höhe und Ausgestaltung der geplanten Leistungen beraten.
Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien versprochen, Familien zu stärken und Kinder besser vor Armutsrisiken zu schützen. Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) kündigte nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel“ bei Kindergeld und Co. an. „Die Kindergrundsicherung ist kein neues Label auf alten Leistungen“, versicherte die Ministerin jüngst.
„Für die Kindergrundsicherung wird ein Teil der 150 familienpolitischen Leistungen gebündelt, die heute noch in unterschiedlichen Ministerien beheimatet sind. Das ist ein komplexes Vorhaben“, erklärte Spiegel am Dienstag vor dem Begin der Arbeitsgruppe. „Die Kindergrundsicherung soll möglichst ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihre Chancen grundlegend verbessern.“
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Laut Bundesfamilienministerium soll die Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten bestehen: einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist, und einem gestaffelten Zusatzbetrag, der vom Einkommen der Eltern abhängt.
Kinderzuschlag kommt erst nach dem Bürgergeld
Geplant ist demnach, dass die Arbeitsgruppe bis Ende 2023 ein Konzept für eine Kindergrundsicherung erarbeitet. Dazu sollen auch Länder, Verbände, Vereine und Stiftungen gehört werden.
Damit steht allerdings auch schon fest, dass die Kindergrundsicherung nicht zeitgleich mit dem geplanten Bürgergeld eingeführt wird, das künftig Hartz IV ersetzen soll. Denn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat den Begin des Bürgergeldes bereits für den 1. Januar 2023 angekündigt.
Ministerin Spiegel sagte: „Unter anderem müssen wir Schnittstellen zu anderen Leistungen wie dem neuen Bürgergeld oder dem Bafög so gestalten, dass die Leistungen intestine ineinandergreifen.“
Laut Familienministerium sollen folgende finanzielle Leistungen für Kinder künftig gebündelt werden:
- das Kindergeld für alle Familien
- Hartz-IV-Leistungen für Kinder
- Teile des Bildungs- und Teilhabepakets
- Kinderzuschlag für Familien mit kleinen Einkommen
Ministerin Spiegel hatte nach ihrer Amtsübernahme den „Dschungel an familienpolitischen Leistungen, bei dem keiner mehr durchblickt“, kritisiert. Ziel sei, „dass die Leistungen unbürokratisch, digital und ohne Behördenrennerei direkt nach der Geburt in Anspruch genommen werden können“. Familien sollten nicht mehr für jede Leistung einen einzelnen Antrag stellen müssen.
Nach Daten des Bundessozialministeriums ist bei den Kindern und Jugendlichen in Deutschland jede und jeder Fünfte von Armut bedroht. So leben 20,2 Prozent der unter 18-Jährigen in armutsgefährdeten Haushalten. Als Maßstab für Armutsgefährdung gilt dabei, wer mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss.
Laut einer aktuellen Auswertung des Prognos-Instituts, die dem Handelsblatt vorliegt, liegt das Armutsrisiko von Kindern aus Familien, in denen kein Erwachsener ein Erwerbseinkommen hat, bei rund 66 Prozent. Davon betroffen seien intestine 1,2 Millionen Kinder.
Gehe ein Elternteil zumindest einer Teilzeitbeschäftigung nach, sei das Armutsrisiko halb so hoch, nämlich rund 28 Prozent. Bei einer Vollzeiterwerbstätigkeit mindestens eines Elternteils liege das Armutsrisiko nochmals deutlich darunter – bei rund 18 Prozent aller Familienhaushalte mit minderjährigen Kindern.
Mehr Arbeit muss sich lohnen
„Armutsrisiken und Erwerbsbeteiligung stehen in einem direkten Zusammenhang“, schreiben die Prognos-Wirtschaftsexperten in dem Papier. Sie empfehlen darum den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung und die staatliche Förderung der partnerschaftlichen Aufgabenverteilung durch Elternzeit und Elterngeld.
Seit Jahren bekannte „Herausforderungen“ blieben allerdings bestehen, beispielsweise die negativen Anreize des Ehegattensplittings oder im Sozialversicherungssystem.
Mit Blick auf die Kindergrundsicherung loben die Experten die geplante Kombination von Garantie- und Zusatzbetrag. Andernfalls entstehe eine Förderung „mit der Gießkanne“.
Dass der Zusatzbeitrag mit zunehmendem Einkommen der Eltern aus eigener Erwerbstätigkeit abgeschmolzen werden solle, sei richtig. Dabei müsse aber berücksichtigt werden, dass sich der Zusatzbetrag langsamer verringere, als das Erwerbseinkommen steige. „So kann sichergestellt werden, dass sich eine Ausweitung der Arbeit und ein höheres Einkommen lohnen“, schreiben die Experten.
Bei der Kindergrundsicherung müsse zudem darauf geachtet werden, die „Konstruktionsfehler der Vergangenheit“ nicht zu wiederholen. Die Leistungen müssten genauso bekannt und einfach zu beziehen sein wie das Kindergeld.
Der bereits bestehende Kinderzuschlag werde häufig nicht in Anspruch genommen, weil die Leistungen nicht verständlich seien oder der Aufwand für die Beantragung als zu hoch angesehen werde.
Als Übergangsregelung, bis die Kindergrundsicherung eingeführt ist, hatte das Kabinett Mitte März bereits den sogenannten Sofortzuschlag für Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien abgesegnet.
Demnach sollen ab Juli Kinder und Jugendliche in Familien, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, 20 Euro mehr im Monat bekommen. Insgesamt wird der Zuschlag rund 2,9 Millionen Menschen zugutekommen – auch etwa 200.000 Kinder von Asylbewerbern sollen ihn, anders als zuvor geplant, erhalten. Der Kinder-Sofortzuschlag wird rund 750 Millionen Euro jährlich kosten.
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