In den meisten Fällen sind Schilder und Ampeln für die Vorfahrt zuständig. Doch es gibt Situationen, in denen die „halbe Vorfahrt“ zur Anwendung kommt.
In Deutschland sind die meisten Dinge bis ins kleinste Detail geregelt – auch die Vorfahrt. Mit durch Schilder oder Ampeln – und wenn sie ausfallen, kümmern sich Verkehrspolizisten darum, dass sich Autofahrer in der Regel darauf verlassen können, dass ihr Vorfahrtsrecht beachtet und eingehalten wird. Falls es doch zu einem Unfall kommt, sind auch die Regeln für die Entschädigung klar. Aber haben Sie schon einmal von der „halben Vorfahrt“ gehört?
An manchen Kreuzungen regeln weder Verkehrszeichen, Lichtsignalanlagen noch Polizisten die Vorfahrt. In diesem Fall kommt die „Rechts-vor-Links“-Regelung zum Tragen, die jeder kennen dürfte: Autofahrer dürfen vor dem Auto losfahren, das aus der Einmündung links von ihnen kommt. Sie sind aber wartepflichtig gegenüber den Autos, die von rechts kommen.
Deshalb sprechen Juristen in diesem Fall von einer „halben Vorfahrt“, weil diese dann nicht vollständig gilt. Wichtig ist, dass sich alle Autofahrer in einer angepassten Geschwindigkeit der Kreuzung nähern, damit sie dem eventuell von rechts nahenden Verkehr die Vorfahrt gewähren können und um gleichzeitig den eigentlich wartepflichtigen, von links kommenden Verkehr zu schützen.
Die Geschwindigkeit kann bei einem Unfall im Rahmen der halben Vorfahrt neben anderen Faktoren entscheidend für die Haftung werden: Wenn ein wartepflichtiges Fahrzeug dem von rechts kommenden Fahrzeug die Vorfahrt nimmt, kann auch dem von rechts kommenden Auto eine Mitschuld attestiert werden. Dessen Fahrer wäre anteilig (häufig zu 25 Prozent) mitverantwortlich am Unfall.
Warum das? Es kommt bei der Beurteilung immer auf die konkrete Situation vor Ort an: Kam ein Auto von rechts, wie waren die Sichtverhältnisse? „Möglicherweise wäre von dem vorfahrtsberechtigten Fahrer zu erwarten gewesen, dass er seine Geschwindigkeit reduziert (bis ca. 30 km/h) und/oder bremsbereit an die Kreuzung heranfährt, um etwaigen von rechts kommenden Fahrzeugen Vorfahrt zu gewähren“, heißt es von Henning Doth, Fachanwalt für Versicherungsrecht.
Es komme aber auch vor, dass ein von links kommender Autofahrer die volle Schuld trägt, heißt es von Doth: Dieser fuhr trotz schlechter Sicht aufgrund von Hecken und Bäumen mit 50 km/h auf eine Kreuzung und kollidierte mit einem Auto, das von rechts kam. Das Gericht urteilte: Aufgrund der schlechten Sicht hätte sich der Autofahrer langsam in die Kreuzung hineintasten müssen, während sein Unfallgegner freie Sicht nach rechts hatte und herannahende Fahrzeuge rechtzeitig hätte erkennen können – diesen trifft daher keinerlei Schuld.