Viele Regionen in Deutschland sind weiterhin überflutet. Die Ereignisse zeigten, dass es Mängel im Katastrophen- und Zivilschutz gebe, sagt Experte Andreas Kling.
Der Jahreswechsel wurde deutschlandweit vom Hochwasser geprägt. Die aktuelle Lage finden Sie hier. Der Katastrophenschutz habe nicht mehr das Niveau wie noch Ende der 80er Jahre, sagt Katastrophenschutz-Experte Andreas Kling. Andere Länder seien da besser ausgerüstet. Wie sich sowohl der Staat als auch die Bevölkerung besser vorbereiten können, erklärt er im Interview.
t-online: Wie bewerten Sie die aktuelle Hochwasserlage aus Sicht des Katastrophenschutzes?
Andreas Kling: Nicht gut. Manche Dämme und Gebiete sind in Gefahr. Es ist zwar weiterer Regen angekündigt, aber ich sehe es derzeit noch nicht als höchst dramatisch an. Die aktuelle Situation lässt sich natürlich nicht mit einem Starkregen-Ereignis wie am Ahrtal vergleichen. Ein klassisches Hochwasser an den großen Flüssen ist auch dadurch gekennzeichnet, dass es sehr langsam vonstattengeht, sodass man eine gewisse Vorwarnzeit hat. Und ich sehe jetzt noch nicht, dass wir Zustände wie an der Elbe 2013 bekommen.
Wie bewerten Sie denn generell den Zustand des Katastrophenschutzes bezüglich Fluten? Sind wir in Deutschland gut aufgestellt?
Man kann schon die eine oder andere Frage stellen, ob zum Beispiel genügend Sandsäcke da sind. Es scheint etwa im Falle von Niedersachsen nicht auszureichen. Die Reserve ist aufgebraucht. Aber dafür haben wir die Länder und das Koordinierung-Instrument, nämlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Katastrophenhilfe. Damit sollen sich die Länder gegenseitig helfen können. Ich sehe durchaus Defizite im Bevölkerungsschutz. Auch der Zivilschutz muss stärker beachtet werden. Aber bis jetzt hat für mich dieses Hochwasser noch keine grundlegenden Defizite aufgezeigt.
Zur Person
Andreas Kling, 56 Jahre alt, ist Berater für kritische Infrastrukturen und Bevölkerungsschutz. Er hat in Bochum und Oxford „Humanitäre Hilfe“ studiert und war für die Vereinten Nationen, den Malteser Hilfsdienst und verschiedene Hilfsorganisationen als Katastrophenhelfer im Einsatz. Im Walhalla Verlag ist sein praktischer Ratgeber „Sicher trotz Katastrophe“ erschienen.
Haben Sie dennoch Forderungen, um die Lage beim Katastrophenschutz zu verbessern?
Definitiv ja. Es fehlen im Bundeshaushalt für 2024 die entsprechenden Mittel. Es wurden die Mittel beim Technischen Hilfswerk und des Deutschen Roten Kreuzes gekürzt. Der Bund wollte zum Beispiel zehn Betreuungseinrichtungen des Pilotprojekts „Labor 5.000“ beschaffen. Im Spannungs- und Verteidigungsfall sollen dadurch jeweils 5.000 Menschen untergebracht, versorgt und betreut werden können. Jetzt soll nach dem ersten Schluss sein. 5.000 Menschen ist natürlich für eine Gesamtbevölkerung von über 80 Millionen nicht besonders viel.
Die Nato hat beispielsweise ein Betreuungsziel, dass ein Prozent der Bevölkerung versorgt werden kann. Das wären 800.000. Also da gibt es ein strukturelles Defizit und die Finanzierung ist nicht gesichert. Meiner Ansicht nach muss man vonseiten des Bundes da vernünftige Mittel zuweisen. In Zeiten von knappen Mitteln wäre es ohnehin deutlich effizienter, wenn man an den Föderalismus im Katastrophenschutz herangeht und auch diesen bundeseinheitlich gestaltet und aufbaut.
Wie sehen Sie uns bei anderen Szenarien wie Dürre und Hitze aufgestellt?
Ich sehe viele Szenarien, wo die Defizite im Bevölkerungsschutz im Einsatzfall deutlich gravierender wären als jetzt beim Hochwasser. Einfach aufgrund der Tatsache, dass sich das Hochwasser langsam entwickelt. Man kann die Menschen evakuieren. Wir reden wahrscheinlich mehr von materiellen Schäden, nicht unbedingt von Personenschäden.
Wenn man zum Beispiel das Ahrtal-Ereignis sieht, Themen wie Blackout, den Zusammenbruch anderer Strukturen und vor allem kriegerische Ereignisse wie in der Ukraine, muss man sagen: Der Katastrophenschutz und auch Zivilschutz hat nicht das Niveau, nicht die Vorbereitung und nicht das Material, wie wir es noch Ende der 80er Jahre hatten.
Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?
Gerade was den Zivilschutz angeht, nenne ich immer gerne die Schweiz oder auch Finnland, die aufgrund ihrer Geschichte und der bisherigen Neutralität ganz anders aufgestellt sind. Aber es gibt auch Länder wie Japan oder auch Indonesien, die regelmäßig von Naturkatastrophen betroffen sind, wo die Bevölkerung den Katastrophenschutz stärker verinnerlicht hat. Dort finden regelmäßig Trainings, Übungen oder auch Sirenenproben statt. Auch da ist noch Luft nach oben.
Wäre es sinnvoll, solche Übungen hierzulande auszuführen?
Definitiv. Man muss aber noch vor den Übungen mit der Bevölkerung kommunizieren. Die Bevölkerung muss sich selbst helfen können. Es wird Ereignisse geben, durch die die Bevölkerung betroffen ist. Nehmen wir das Thema Blackout. Wenn die Lebensmittelversorgung unterbrochen ist, dann muss ich selbst Vorsorge treffen und Lebensmittel zu Hause haben. Der Bund hat zwar gewisse Reserven, wie die Bundesreserve, Getreide, die eingelagert sind. Aber das ersetzt nicht ein komplettes Verteilsystem für Lebensmittel, wie wir das durch die Supermärkte kennen.