Düsseldorf Thyssen-Krupp macht den nächsten Schritt bei der grünen Transformation: Der Industriekonzern gründet eine neue Unternehmenssparte mit dem Namen „Decarbon“. Dies gab der Konzern am Donnerstag bekannt.
Im Zuge des vom neuen Vorstandsvorsitzenden Miguel Lopez aufgelegten Effizienzprogramms bündelt der Konzern vier Töchter, die eine entscheidende Rolle bei der grünen Transformation in der Industrie spielen sollen: die Wasserstofftochter Nucera, den Industrieanlagenbauer Uhde, den Rotorlagerhersteller Rothe Erde, der Komponenten für Windräder liefert, und die Tochter Polysius, die Zementanlagen herstellt.
Am Mittwoch hatte der Vorstandschef, der seit Juni im Amt ist, dem Aufsichtsrat das Konzept vorgestellt sowie weitere Details des neuen Performance-Programms „Apex“.
Die Sparte soll zum ersten Oktober an den Start gehen. Lopez will die Leitung selbst mitübernehmen. Der Thyssen-Krupp-Chef bezeichnet die neue Sparte als „Grünes Industrie-Powerhouse“. Der Konzern verfüge gegenwärtig bereits über Technologien, um einen großen Teil der CO2-Emissionen zu reduzieren. „Das große Potenzial dieser Geschäfte wollen wir konsequent erschließen und in werthaltiges Wachstum umsetzen“, begründet Lopez den Schritt in einer Pressemitteilung des Konzerns.
Es ist der nächste Schritt im weitreichenden Transformationsprogramm des neuen Vorstandsvorsitzenden. Das Effizienzprogramm „Apex“ soll nach Lopez’ Worten die Kostenbasis des Industriekonzerns verbessern – und die Rendite in allen Geschäftsbereichen steigern.
„Methode Lopez“
Dabei nimmt sich der neue CEO in einer ersten Weichenstellung die Themen Materialkosten, Vertrieb, Personal und Organisation, die Geschäftsmodelle und die „Performance Culture“ vor. Schon seine Vorgänger hatten den Umbau des Konzerns eingeleitet, waren daran aber gescheitert.
Die Umsetzung macht er dabei zur Chefsache: Der neue Vorstandsvorsitzende sei bei jeglichen Terminen persönlich vor Ort, schalte den Vorstand sehr viel öfter zusammen, als gewohnt, heißt es aus Konzernkreisen. „Auf die Managerebene übt das durchaus Druck aus“, erklärt ein Insider dem Handelsblatt. Ein Personalabbau habe im Zuge der Restrukturierung unter Lopez‘ Vorgängerin bereits stattgefunden. Doch die „Methode Lopez“ sei nun, ambitionierte Ziele zu setzen – und dabei überall Präsenz zu zeigen, was auf die Führungsriege wirke.
Zumindest in den verbleibenden Geschäftsbereichen. Denn im Zuge der Neustrukturierung und mit der Schaffung des „Decarbon“-Segments werden zwei alte Bereiche von Thyssen-Krupp aufgelöst: Das Segment Multi Tracks, in dem Bereiche gebündelt wurden, die nicht mehr zum Kerngeschäft des Konzerns gehören, und den Bereich Industrial Solutions, der für den Bau industrieller Anlagen zuständig war, wird es künftig nicht mehr geben.
Die in Multi Tracks verbliebenen Geschäftsbereiche der Batteriemontage Automation Engineering, der Fahrwerktechnik Springs & Stabilizers sowie der Antriebslieferant Industrial Components sollen ab Oktober dem weiterhin bestehenden Segment Automotive Technology, der Autozulieferersparte, angehören. Künftig besteht der Industriekonzern also aus den Segmenten Automotive Technology, Decarbon Technologies, Materials Services sowie der Stahlsparte Steel Europe und der Rüstungstochter Marine Systems.
Im Geschäftsjahr 2021/2022 (zum 30. September) hatten die vier Unternehmensbereiche, die nun in dem neuen Segment gebündelt werden, einen Umsatz von drei Milliarden Euro erwirtschaftet. 15.000 Mitarbeiter arbeiten insgesamt in dem Bereich und sollen alle ins neue Segment überführt werden. In Zukunft benötigt der Industriekonzern jedoch auch dringend neue Fachkräfte, wie das Handelsblatt aus Konzernkreisen erfuhr. Das auf die grüne Transformation ausgerichtete Segment dürfte dem Konzern dabei helfen, die benötigten Anreize zu schaffen.
Mit einer Senkung von Materialkosten, möglichen Preiserhöhungen und neuen Businessmodellen sollen vor allem performanceschwächere Unternehmensbereiche nun fit gemacht werden. Denn Thyssen-Krupp bleibt bei seinen bereits 2021 kommunizierten Zielen: Der Industriekonzern strebt mittelfristig eine Marge von vier bis sechs Prozent und einen positiven Cashflow an und will seinen Aktionären außerdem auch weiterhin eine Dividende zahlen.
Arbeitnehmer lehnen Personalabbau ab
Die Arbeitnehmerseite unterstützt zwar die Gründung des neuen Segments. „Dass nachhaltige Unternehmensteile wie Uhde, Polysius, Rothe Erde und Nucera eine gemeinsame Zukunft haben und die Beschäftigten nicht länger in Ungewissheit sind, ist eine positive Nachricht“, sagte die Konzernbeauftragte der IG Metall, Daniela Jansen, in einem Statement.
Doch die Arbeitnehmer sind strikt gegen etwaige betriebsbedingte Kündigungen. „Programme zur Wertentwicklung der Geschäfte bei Thyssen-Krupp sind nichts Neues“, erklärte Jürgen Kerner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns. „Für uns ist wichtig, dass der Fokus auf eine nachhaltige Verbesserung der Performance gelegt wird. Kurzfristige Maßnahmen wie Verzicht auf notwendige Investitionen und Abbau von Beschäftigten lehnen wir ab. Wir erwarten klare Botschaften des Vorstands an die Beschäftigten, dass Apex kein Personalabbauprogramm ist.“
In den vergangenen Jahren habe der Fokus bereits auf einem Personalabbau gelegen, so Tekin Nasikkol, Konzernbetriebsratsvorsitzender und Betriebsratschef der Stahlsparte. „All das hat nicht dazu geführt, dass wir besser geworden sind.“
Vorstandschef Lopez will nicht nur die Bilanz verbessern, sondern gleich den gesamten Konzern umbauen. So hält er auch weiterhin am Plan fest, die Stahlsparte abzugeben. Auch andere Bereiche könnten verkauft oder in Partnerschaften eingebracht werden. „Für die Einheiten Steel Europe und Marine Systems wird weiterhin eine Verselbstständigung angestrebt“, heißt es aus dem Konzern.
Die Mehrheit am U-Boot-Hersteller Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) soll an einen Finanzinvestor abgegeben werden. Favorit ist der amerikanische Private-Equity-Fonds Carlyle. Der deutsche Staat will zudem einen Minderheitsanteil übernehmen, wie das Handelsblatt von mehreren mit den Plänen vertrauten Personen erfahren hat.
Für die Partnersuche in der Stahlsparte ist vor allem entscheidend, wie Stahl in Zukunft rentabel produziert werden kann. Thyssen-Krupp verdiente im dritten Quartal wegen schwächelnder Geschäfte mit Stahl und im Materialhandel deutlich weniger.
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