Düsseldorf Der traditionsreiche Spielwarenhersteller Haba rutscht tiefer in die Krise. Die Haba Sales GmbH habe Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet, der das Amtsgericht Coburg stattgegeben habe, teilte das Familienunternehmen aus dem oberfränkischen Bad Rodach am Dienstag mit.
„Der Antrag auf Eigenverwaltung ist uns alles andere als leicht gefallen“, sagte Geschäftsführer Mario Wilhelm am Dienstag. Das Insolvenzverfahren sei aber angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation die einzige Möglichkeit, die Haba-Gruppe schnell wieder zu alter Stärke zurückzuführen.
Haba stellt Spielwaren, Mode und Möbel her, am bekanntesten sind wohl das Holzspielzeug und Gesellschaftsspiele wie „Obstgarten“. Das Unternehmen hatte bereits im Juli einen einschneidenden Stellenabbau angekündigt, ohne eine konkrete Zahl zu nennen. Derzeit finden Verhandlungen mit dem Betriebsrat statt. Insider fürchten, dass bis zu einem Drittel der rund 1800 Arbeitsplätze in der Zentrale wegfallen.
Zudem hatte Geschäftsführer Wilhelm Anfang August auf einer emotionalen Betriebsversammlung angekündigt, dass eine Weiterführung der Kindermarke Jako-o „die Existenz des Unternehmens elementar gefährden“ würde. Der Versandhandel habe „wegen langwieriger wirtschaftlicher Probleme“ keine Zukunft und werde zu Anfang 2024 eingestellt.
Haba hat für die Insolvenz in Eigenverwaltung den Sanierungsexperten Martin Mucha als Generalbevollmächtigten berufen. Dieser sagte, die Chancen stünden gut, die Haba Family Group wieder auf solide Füße zu stellen. Als vorläufiger Sachwalter wurde Anwalt Tobias Sorg bestellt.
Haba stellt sein Versandgeschäft Jako-o ein. Das litt zuletzt unter Lieferschwierigkeiten.
(Foto: Haba)
Es sind die härtesten Einschnitte in der 85-jährigen Geschichte des Familienunternehmens. Es seien in den vergangenen Jahren Entscheidungen getroffen worden, „die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben“, sagte Mario Wilhelm. „Das müssen wir uns eingestehen und korrigieren.“ Wilhelm arbeitet seit 2010 bei Haba und wurde im Mai 2023 in die Geschäftsführung der Haba Family Group berufen.
Hinzugekommen seien stark gestiegene Materialkosten, Engpässe in der Lieferkette und eine missratene IT-Umstellung. Das habe zu großen Problemen bei der Auftragsabwicklung und zu starken Umsatzeinbrüchen geführt.
Die Gewerkschaft ist in Sorge. Die Belegschaft sei wütend und enttäuscht. Oft seien ganze Familien bei Haba beschäftigt, sagte Nicole Ehrsam von der IG Metall Coburg. Das Ausmaß der wirtschaftlichen Schieflage habe alle überrascht. Der vorherige Geschäftsführer Tim Steffens habe die Lage bis zuletzt positiv dargestellt und Managementfehler offenbar vertuscht.
Jako-o war ein Meilenstein für Haba
Steffens, der 2019 zu Haba kam, hatte das Unternehmen im März verlassen. Noch vor zwei Jahren hatte der frühere CFO des Sandalenherstellers Birkenstock große Pläne mit dem Traditionsunternehmen. Steffens wollte den Umsatz bis 2025 von rund 360 auf 500 Millionen Euro steigern, sagte er 2021 dem Handelsblatt.
Auch in Asien unterhielt Haba Werkstätten, in denen Kinder die digitale Welt spielerisch entdecken konnten.
(Foto: Haba Family Group)
Haba machte damals 44 Prozent des Umsatzes digital. Steffens wollte den Webshop von Jako-o in zehn europäische Länder bringen und ihn enger mit den bisher getrennten Sparten Haba für Holzspielzeug und Haba Pro für Kita- und Schulmöbel (vormals Wehrfritz) verzahnen.
Software-Umstellung führte zu Bestellchaos
Doch die digitale Verschmelzung der drei eigenständig geführten Sparten wurde zum Fiasko. Bei der Umstellung von unterschiedlicher veralteter Software auf SAP4/Hana kam es zu Problemen. Es ergaben sich erhebliche Verzögerungen bei den Onlinebestellungen, was Kunden erzürnte und die Umsätze einbrechen ließ. Auch intern soll es Widerstände gegen die Zusammenführung der Sparten gegeben haben, weil Spielzeug und Möbel zu unterschiedlich seien. Der traditionsreiche Kinder-Versandhändler Jako-o wird nun ganz geschlossen.
>> Lesen Sie hier: Barbie-Film bringt Mattel einen Verkaufsschub
Viele digitale Träume von Haba sind bereits geplatzt. 2021 war der Onlineshop Qiéro für Frauen eingestellt worden, der zuletzt 20 Millionen Euro Umsatz machte. Im April 2023 hatten die Oberfranken dann ihr Vorzeigeprojekt, die Haba Digitalwerkstätten, schließen müssen. Diese waren 2016 von Verena Pausder gegründet worden, später hatte Haba die Werkstätten schrittweise gekauft.
Die neuen Geschäftsführer sollen die Haba Family Group aus der Krise führen.
(Foto: Haba)
Beim Programmieren und Bauen von Robotern oder beim 3D-Drucken konnten Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren die digitale Welt spielerisch entdecken. Haba hatte auch in Indien und China mehrere „Haba Learning Centers“ betrieben. Doch das Geschäftsmodell Digitalwerkstatt habe sich „trotz mehrfacher konzeptioneller Anpassung nicht positiv wirtschaftlich entwickelt“, begründeten die Oberfranken die Schließung.
Nun besinnt sich Haba gezwungenermaßen auf seine Wurzeln: Holzspielzeug und Möbel „made in Germany“.
„Spielzeug zum Vererben“
Gegründet wurde das Unternehmen 1938 von Eugen Habermaass und Karl Wehrfritz. Haba produzierte Spielzeug und pädagogische Brettspiele aus Holz, Wehrfritz Möbel für Kindergärten und Schulen. Das erste Produkt, die Holzente auf Rollen, wurde zum Markenzeichen von Haba.
Als Gründer Eugen Habermaass 1955 starb, übernahm seine Frau Luise das Geschäft. „Unsere Oma war damals sehr mutig. Ganz ohne kaufmännische Ausbildung arbeitete sie sich intuitiv und schnell ein“, erzählte Enkelin Sabine, deren Vater Klaus später in die Firma einstieg. 2003 kam der erste externe Geschäftsführer.
>> Lesen Sie hier: Spielwarenhersteller Haba: Mit der Holzente fing es an
Haba blieb dem Standort Deutschland treu, auch als in den 80er- und 90er-Jahren fast alle Spielzeughersteller aus Kostengründen nach China gingen und Holz überwiegend durch Plastik ersetzt wurde. „Spielzeug zum Vererben“, lautet das Motto von Haba. Durch seine Langlebigkeit habe das Spielzeug von Haba einen hohen emotionalen Wert, sagt Sabine Habermaass. Sie vertritt als geschäftsführende Gesellschafterin die dritte Generation des Familienunternehmens für ihre zwei Geschwister und ist selbst dreifache Mutter. „Wo gibt es heute noch Dinge, die einen durchs Leben begleiten?“
Ein Meilenstein für Haba war die Gründung des Versandhändlers Jako-o im Jahr 1987. Dort bot das Unternehmen Produkte für Kinder bis zehn Jahren an, von Matschhosen über Möbel bis zu Spiel- und Bastelartikeln „Das war der Schritt raus aus dem Fachhandel und Kindergärten hin zum Endverbraucher“, sagte Sabine Habermaass einmal dem Handelsblatt. Die stationären Läden von Jako-o trugen sich jedoch finanziell nicht und wurden schrittweise geschlossen, bis auf eine Filiale in Bochum und ein Outlet in Bad Rodach.
2019 wurde Tim Steffens neuer Geschäftsführer des Spielzeugunternehmens und wollte das Unternehmen vor allem digital zu mehr Wachstum führen. In der Coronapandemie rutschte Haba jedoch in die Krise. Der deutsche Spielwarenmarkt wuchs zuerst überdurchschnittlich, 2022 schrumpften die Umsätze im Inland wieder um rund fünf Prozent auf 4,7 Milliarden Euro.
Doch Haba machte schon mitten in der Pandemie 2021 einen Verlust von 4,4 Millionen Euro, nach einem Gewinn von 6,6 Millionen Euro im Vorjahr. Der Umsatz schrumpfte von 359 auf 352 Millionen Euro. Die Eigenkapitalquote lag 2021 noch bei rund 80 Prozent.
2022 soll der Umsatz jedoch auf 313 Millionen Euro weiter geschrumpft sein, erfuhr die „Wirtschaftswoche“ von einem Firmeninsider. Für das laufende Jahr erwarte Haba sogar nur noch einen Umsatz von 250 Millionen Euro bei einem Jahresfehlbetrag von 70 Millionen Euro. Das Ziel von 500 Millionen Euro Jahresumsatz bis 2025 ist Geschichte.
Da Jako-o für einen wichtigen Teil des Geschäfts der Haba-Gruppe stand, wird das Unternehmen künftig deutlich kleiner. Zudem wollen sich die Oberfranken, die bisher in 60 Länder liefern, auf die wichtigsten Kernmärkte konzentrieren. Haba soll aber auf alle Fälle ein Familienunternehmen bleiben, betonte eine Sprecherin.
Steffen Kahnt, Geschäftsführer des Bundesverbands des Spielwaren-Einzelhandels (BVS), hat trotz der aktuellen Krise Hoffnung für den Spielwarenhersteller: „Haba steht für hohe Qualität und made in Germany. Damit hat das Unternehmen beste Marktchancen im hochwertigen Spielzeugsegment.“ Denn Deutschlands Konsumenten schätzten Marken, die für Nachhaltigkeit stehen.
Mehr: „Bis auf Weiteres“ kein CEO: Playmobil-Hersteller ernennt neue Führung