Düsseldorf, San Francisco Rund ein Vierteljahrhundert lang sah eine Google-Suche fast immer gleich aus: Die Nutzer schrieben ein paar Wörter ins Suchfeld, und die Suchmaschine gab eine Liste mit blau markiertem Links aus.
Jetzt bahnt sich durch Künstliche Intelligenz (KI) ein grundlegender Wandel an. Auf der Entwicklerkonferenz am Mittwoch verkündete Google eine Reihe von KI-Produkten. „Wir befinden uns an einem dramatischen Wendepunkt“, sagte Google-Chef Sundar Pichai.
Eines der wichtigsten ist die „Search Generative Experience“, die neue Suchmaske von Google: Mithilfe von KI sollen die Nutzer eine Konversation führen können. Sie können komplexe Fragen stellen und erhalten als Antwort einen längeren, von KI erstellten Text.
Auch wenn die Links nicht ganz verschwinden: Für Google ist das ein großer Schritt. Mit der herkömmlichen Suche verkaufte das Unternehmen viele Jahre lang sehr erfolgreich Werbeplätze und erlöste damit zusammen mit anderen Google-Websites im vergangenen Jahr 162 Milliarden Dollar. Aktuell besitzt es einen Marktanteil am Markt der Internetsuchmaschinen von rund 90 Prozent.
Die Konkurrenz durch Microsoft und seinen Suchdienst Bing hat sich aber dramatisch verschärft, seit der Wettbewerber KI-Lösungen des Start-ups OpenAI integriert und viel Aufmerksamkeit erhält. Google muss sich also verändern, geht aber vorsichtig vor.
Der Aktienkurs stieg am Donnerstag zum Handelsstart in einem schwachen Marktumfeld um fünf Prozent. Aber kann sich Google damit gegen Microsoft behaupten? Wie funktioniert die neue Suche? Welche KI steckt dahinter? Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu der neuen Strategie von Google.
Wie sieht die neue Google-Suche aus?
Das Problem von Google: Auch die neue Suche solle die „Informationsqualität“ wie die Treffergenauigkeit beibehalten, sagt Liz Reid, bei Google verantwortlich für Search. „Wie bringt man die Stärken von generativer KI in Einklang mit diesem Versprechen?“ KI neigt schließlich noch dazu, bei längeren Dialogen Fehler zu machen.
Die Antwort ist ein Mix aus einer Technologie, die wie der KI-Bot ChatGPT von OpenAI arbeitet, und den bisher bekannten Links. Nutzer können komplexe Suchanfragen eingeben, die eine KI in mehreren Absätzen beantwortet. Daneben zeigt Google sogenannte „KI-Schnappschüsse“: In kleinen Kacheln werden Websites gezeigt, die zum Thema passen – aber nicht wie bei Bing die Quellen der KI-Suche sind. Unter dem Text der KI findet sich dann wieder die Liste der blauen Links. In der Demoversion ist keine Werbung zu sehen, allerdings ist genug Platz vorhanden.
Konzernchef Sundar Pichai präsentierte am Mittwoch eine Reihe neuer KI-gestützter Produkte.
(Foto: JASON HENRY/The NewYorkTimes/Redux/laif)
Bei ihrer Präsentation ließ Google-Mitarbeiterin Cathy Edwards passende Fahrräder für eine hügelige, acht Kilometer lange Strecke heraussuchen. „Google kann jetzt auch komplizierte Sucheingaben verstehen“, versprach Edwards.
Wer mit der Antwort nicht zufrieden ist, kann Nachfragen stellen.
Anders als bei Bing und dem eingebundenen KI-Sprachmodell GPT-4 muss man dafür aber eigens ein Fenster anklicken. Auf diese Weise erschwert Google eine längere Konversation zwischen Nutzer und KI, die erfahrungsgemäß bei längerer Nutzungsdauer sogenannte Halluzinationen fabriziert – und falsche oder halb wahre Antworten gibt.
Wie kann man die neue Google-Suche nutzen?
Google geht sehr vorsichtig vor. So steht die „Search Generative Experience“ (SGE) bis auf Weiteres nur in den USA zur Verfügung. Aber auch die Amerikaner müssen warten, erst „in den kommenden Wochen“ soll der Zugang freigeschaltet werden. Wer die Suche dann nutzen will, muss Chrome Desktop auf einem Computer oder die Google-App auf einem iPhone oder Android-Smartphone nutzen.
Es gibt keine Angaben, wann SGE in Deutschland zur Verfügung stehen wird. Das Angebot läuft auch nur auf Englisch, obwohl die KI längst multilingual ist. Laut Google ist das so, „damit wir Feedback einbauen und das Angebot mit der Zeit kontinuierlich verbessern können“.
Das Vorgehen steht im Kontrast zu Microsoft, das Bing und GPT-4 auch in anderen Ländern anbietet und den Zugang vor wenigen Tagen von „Limited Preview“ zu „Open Preview“ erweiterte. Allerdings musste auch Microsoft zurückrudern und die Anzahl der Fragen einschränken, um die KI vor Halluzinationen zu bewahren. Anfangs gab es kein Limit, dann waren es maximal sechs, derzeit sind es 20 Fragen.
Welche neue KI präsentiert Google?
Auf der Entwicklerkonferenz stellte Google das Sprachmodell Palm 2 vor. Das ist die neue Version des „Pathway Language Model“, eines Sprachmodells mit 540 Milliarden Parametern. GPT-3 von OpenAI arbeitet mit 175 Milliarden Parametern, bei der neuen Version GPT-4 wurde dazu bislang nichts bekannt. Ein Parameter steht für eine Beziehung, beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass nach dem Wort „Sonne“ das Wort „scheint“ folgt.
Palm 2 wird in 25 Google-Produkten wie dem Chatbot Bard oder den Cloud-Anwendungen Workspace eingesetzt. Das Unternehmen machte keine Angaben dazu, welche KI der Google-Suche zugrunde liegt. Anzunehmen ist allerdings, dass es Palm 2 ist.
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Denn das Sprachmodell ist laut Google besonders gut im „Reasoning“, also im Denken und Schlussfolgern. Und das ist im Kern die Funktion der neuen Google-Suche: auch komplexe Eingaben verstehen und beantworten. Dafür zerlegt Palm 2 die Eingabe in kleinere, einfachere Aufgaben.
Auch soll Palm 2 die Nuancen menschlicher Sprache wie Rätsel oder Sprachwendungen besser verstehen – auch über rund 100 Sprachen hinweg. Zudem beherrscht die KI zwei Dutzend Programmiersprachen wie Python oder Prolog.
Google-CEO Pichai kündigte zudem an, dass es eine komprimierte Version von Palm geben soll, die lokal auf modernen Smartphones laufen werde.
Sie sei leicht abgespeckt, aber immer noch in der Lage, beim Schreiben von Computercode zu helfen.
Was macht Google gegen ChatGPT?
Der Textroboter Bard wird verbessert und für alle Nutzer freigeschaltet. Bard war Googles Antwort auf den Erfolg des Textroboters ChatGPT vom Start-up OpenAI. Vor zwei Monaten war Bard zunächst für ausgewählte Nutzer in den USA und England freigeschaltet worden.
In Tests hatte Bard jedoch deutlich schwächer als ChatGPT abgeschnitten und bei der ersten Produktvorstellung mehrere Fehler produziert. Als Reaktion hatte der Google-Mutterkonzern Alphabet rund 100 Milliarden Dollar bei der Börsenbewertung verloren.
Der Screenshot von einer Demonstration der neuen Google-Suche zeigt den neuen Aufbau der Website mit langer KI-Antwort, Kacheln daneben und althergebrachter Links darunter.
„Bard ist deutlich besser geworden“, versprach die zuständige Google-Managerin Sissie Hsiao mit Hinweis auf das neue Sprachmodell Palm 2. Zuvor hatte das KI-Modell Lamda als Basis gedient. Bard soll jetzt besser in mathematischen Berechnungen oder dem Schreiben von Computercode sein. Zudem soll Bard künftig multimodal arbeiten, also nicht nur Eingaben von Text verstehen, sondern beispielsweise auch in Zusammenarbeit mit Adobe Bilder analysieren können.
Bard unterstützt außer Englisch auch Japanisch und Koreanisch. Weitere Sprachen sollen folgen. Google machte auf Nachfrage jedoch keine Angaben, wann auch eine deutschsprachige Version freigeschaltet wird.
„Bard wird bald in der Lage sein, die 40 wichtigsten Sprachen der Welt zu unterstützen, und der Zeitplan für die Erweiterungspläne ist noch nicht endgültig festgelegt.“ Das Unternehmen arbeite eng mit Regulierungsbehörden zusammen.
Selbst die englische Version wird weder in Deutschland noch in der Europäischen Union insgesamt verfügbar sein. Google erweiterte das Bard-Angebot zwar auf 180 Länder, aber keines davon ist ein EU-Staat. Konkrete Angaben zu den Gründen machte das Unternehmen nicht.
Das Microsoft-Pendant Bing, das mit dem KI-System von OpenAI betrieben wird, ist bereits in Deutschland und anderen EU-Staaten verfügbar.
Wieso genau Google die EU ausklammert, war bisher unklar und dürfte den Rückstand zu Microsoft und OpenAI weiter vergrößern.
Was macht Google mit KI in der Cloud?
Google-Rivale Microsoft ist enger Partner von OpenAI. Microsoft-CEO Satya Nadella hatte angekündigt, die KI-Technologien von OpenAI in alle Produkte des Unternehmens zu integrieren. Dazu gehört KI-Unterstützung in Office-Produkten wie Word, Powerpoint und Excel.
Google kündigte nun ähnliche Funktionen für die eigenen Lösungen an. Unter dem Namen Duet AI soll die Google-Kundschaft einen KI-Begleiter nutzen können, der beim Schreiben von Texten hilft, Bilder für Präsentationen kreiert oder Tabellen für Geschäftskalkulationen produzieren kann. Dazu verkündete es drei KI-Tools: Codey fürs Programmieren, Imagen für Bilderzeugung und Chirp für Sprachverarbeitung. „Wir rollen diese Funktionen im Laufe des Jahres aus“, sagte die zuständige Google-Managerin Aparna Pappu.
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