Der russische Angriff auf die Ukraine wird weitreichende weltpolitische und wirtschaftliche Auswirkungen haben. Er hat die Sicherheitsarchitektur in Europa bereits jetzt grundlegend verändert. Die weitere Entwicklung hängt vom Ausgang der Krise ab.
Kommt es zu einem baldigen Waffenstillstand, könnte das Schlimmste noch verhindert werden. Eskaliert Russland hingegen den Krieg, ist ein dauerhafter Schaden für die weltweite Sicherheitslage und für Russland selbst zu erwarten. Präsident Wladimir Putin droht so oder so ein Pariastatus.
Die aktuelle Krise zeigt in aller Schärfe: Dem Westen ist es seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 nicht gelungen, Russland an die westliche Allianz zu binden und eine partnerschaftliche Kooperation zu sichern. Die Ostpolitik der USA, der Europäischen Union und auch Deutschlands muss sich dieses Versagen eingestehen. Das westliche Bündnis ist daran gescheitert, aus einem Feind einen Verbündeten zu machen.
Im Gegenteil: Putin formuliert bereits seit vielen Jahren imperialistische Ziele – und setzt sie wie im Fall der Krim-Annexion mit völkerrechtswidrigen militärischen Mitteln durch. Welch ein Kontrast zu den frühen 1990er-Jahren, als man eine enge Kooperation der Nato mit Russland diskutierte und sogar den Beitritt des Landes nicht ausschloss!
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Es bleibt zu hoffen, dass aus dieser Entwicklung die richtigen Lehren gezogen werden. Sicherlich müssen jetzt harte Sanktionen gegen Russland verhängt werden, auch an einer Verstärkung militärischer Verteidigungskapazitäten des Westens führt kein Weg vorbei.
Gleichzeitig gilt es aber selbst in der derzeitigen Lage, den Weg zurück zum Verhandlungstisch offenzuhalten. In wirtschaftlicher Hinsicht wird die Entwicklung der kommenden Monate vor allem im Zeichen großer Unsicherheit über russische Öl- und Gaslieferungen sowie die Sanktionen im Finanzsektor stehen. Überdies dürften neben dem Ausfall von Vorprodukten aus Russland und der Ukraine auch die Blockierung von Verkehrswegen bestehende Produktionsstörungen weiter verstärken. Für die Weltwirtschaft insgesamt hat der Krieg in der Ukraine die Inflations- und die Konjunkturrisiken deutlich erhöht.
Moskau verliert Zugriff auf westliche Technologien
Die Sanktionen des Westens werden dazu führen, dass Moskau keinen Zugriff mehr auf dringend benötigte Technologien aus dem Westen hat und vom internationalen Finanzmarkt abgeschnitten wird. Das dürfte die russische Wirtschaft weiter schwächen – aber nicht zu ihrem Zusammenbruch führen. Die russische Wirtschaft ist wegen der hohen Energiepreise in einer besseren Verfassung als bei der Krim-Annexion 2014. Moskaus Staatsschulden sind im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt mit 19 Prozent ausgesprochen niedrig, die Devisenreserven mit rund 630 Milliarden Greenback sehr hoch.
Der Haushalt ist aufgrund hoher Öl- und Gaspreise weitgehend ausgeglichen, Russland hat über viele Jahre Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftet. Die Verwendung der Devisenreserven, die in Greenback, Euro, Pfund, Franken und Yen gehalten werden, ist jetzt allerdings durch die Sanktionen stark eingeschränkt. Welchen Anteil die jeweiligen Währungen an den gesamten Devisenreserven haben, ist nicht bekannt. Schon im vergangenen Jahr conflict zu beobachten, dass etwa der Dollarbestand eher verringert und im Gegenzug die Anteile der Goldreserven und des chinesischen Yuan erhöht wurden.
Huge Auswirkungen für Russland, aber auch für die westliche Welt, dürfte der Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift haben. Fraglich ist, inwieweit gegenseitig bestehende finanzielle Forderungen noch beglichen werden. Denkbar ist auch, dass Russland als Gegensanktion Energielieferungen in den Westen unterbindet, obwohl der Energiehandel weiter über Swift abgewickelt werden kann. Putins kaum verhohlene nukleare Drohung zeigt, dass er keine roten Linien mehr kennt.
Als Exportmarkt hat Russland an Bedeutung verloren
All diese Entwicklungen werden die russische Volkswirtschaft langfristig in ihrer Entwicklung und Modernisierung erheblich zurückwerfen. Westliche Länder streben nun mit größtem Nachdruck die Unabhängigkeit von russischen Energiequellen an. Moskaus verstärkte Kooperation mit Peking wird zwar etwa beim Technologieaustausch einige Defizite ausgleichen, Russland hat aber gegenüber China eine schwache Verhandlungsposition. Für Peking wiederum besteht die Möglichkeit, an zusätzliche Energiemengen und Rohstoffe aus Russland zu kommen – und zwar wegen des Ost-West Konflikts zu günstigen Preisen.
China wird seinen Einfluss auf Russland steigern und die Bedeutung des Yuan als Reservewährung erhöhen können. Peking zählt zu den Gewinnern der Krise. Für die westliche Welt bedeutet der Krieg in der Ukraine steigende Inflationsraten und größere konjunkturelle Risiken. Vor allem diejenigen europäischen Länder, die wie Deutschland in hohem Maße von russischen Energielieferungen abhängig sind, werden unfavourable Auswirkungen zu spüren bekommen. Für Nettoexporteure von Energie wie die USA hat der Anstieg der Energiepreise dagegen keine unfavourable Wirkung, solange die allgemeine Inflation unter Kontrolle bleibt.
Als Exportmarkt für den Westen hat Russland in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung verloren, weil Moskau die Modernisierung der Wirtschaft vernachlässigt, die vielfältige Kooperationsmöglichkeiten mit westlichen Ländern eröffnet hätte. Angesichts des bereits niedrigen Niveaus an Güterexporten dürften außerhalb Russlands weitere Rückschläge im Zuge der Ukraine-Krise verkraftbar bleiben. Sicher ist, dass Moskau seinen Handels- und Kapitalverkehr mit China intensiviert.
Die Friedensdividende ist Geschichte
Kurzfristige Auswirkungen wird die Krise auch auf die westlichen Zentralbanken haben. Die erhöhten Konjunkturrisiken dürften sie veranlassen, beim Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik behutsamer, als zuletzt geplant, vorzugehen, was den Zinsanstieg eher verzögern wird. Die Notenbanken werden auf die energiepreisbedingten Inflationsimpulse nicht in gleicher Weise reagieren wie auf eine nachfrageinduzierte Inflation. Denn drastische Energiepreissteigerungen sind stets ein besonderes Risiko für die Konjunktur und haben in der Vergangenheit häufig Rezessionen hervorgerufen. Diesem Risiko werden die Zentralbanken Rechnung tragen.
Auch wenn es noch schwierig ist, den Ausgang der Kriegs – und möglicher politischer Verhandlungen – abzusehen, zeichnen sich doch vier Traits ab: Erstens werden sich die westlichen Länder langfristig vom Energieimport aus Russland unabhängiger machen. Russland muss sich deshalb neue Märkte etwa in Asien suchen. Zweitens hat Präsident Putin seinen Vertrauensvorschuss in der westlichen Welt für lange Zeit verspielt und wird kein Entgegenkommen mehr erwarten dürfen.
Drittens wird der Westen angesichts seiner sogar atomaren Bedrohungen massiv aufrüsten. Die Friedensdividende ist endgültig Geschichte. Viertens werden höhere Rüstungsinvestitionen des Westens auch Russland zwingen, weiter einen sehr großen Anteil des Volkseinkommens in das Militär und nicht in die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft zu investieren. Das alles weist in eine zutiefst bedauerliche Richtung.
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